Mord an der Malerei
Für seine erste Einzelausstellung 1948 in Paris schuf der Surrealist René Magritte eine Gruppe von verstörenden Gemälden. Rüde gemalt, vulgär in der Thematik und begleitet von derben Texten, sorgten die Bilder für prompte Empörung. In Retrospektiven zum Werk Magrittes meist nur vereinzelt gezeigt, werden die Arbeiten jetzt in Frankfurt erstmals außerhalb Frankreichs und Belgiens zusammengeführt.
René Magritte, der Meister der Bilderrätsel und gepflegten Alpträume, war eigentlich ein Biedermann. In Brüssel lebte er mit Gattin Georgette zwischen Häkeldeckchen und schweren Möbeln, das Malen erledigte er mechanisch wie Büroarbeit, der Zwang zu immer neuen Einfällen zermürbte ihn bisweilen.
Und er war frustriert. Unter seinen Pariser Surrealistenfreunden galt der Belgier als Außenseiter. Drei Jahre lang, bis 1930, hatte er in der Stadt gelebt, doch niemals richtig Fuß gefasst. Zur großen Surrealistenschau 1947 in Paris war er nicht einmal mehr eingeladen - das kam einer Exkommunikation gleich.
Doch dann, im Frühjahr 1948, ließ Magritte buchstäblich die Sau heraus. Endlich hatte er eine Einzelausstellung in einer Pariser Galerie, und jetzt sollten sie ihn kennen lernen, aber anders als erwartet. Innerhalb von wenigen Wochen produzierte er eine Serie von Bildern, die wie ein Fremdkörper in seinem Schaffen wirken: vulgäre Frauenakte vor grob gemusterten Tapeten, ein pinkelnder Mann am Baum, Bilder wie billige Bar-Dekorationen, wild und expressiv hingepinselt, betont "schlechte" Malerei. Es war, sagt Kuratorin Esther Schlicht, die schiere Wut, die ihn zu diesem Ausbruch trieb:
"Er hat sich mit den Pariser Surrealisten überworfen, insbesondere mit André Breton einen heftigen Streit, auch über die Neudefinition des Surrealismus nach dem Krieg gehabt, so dass sicher ein wesentlicher Impuls war, den Parisern eins auszuwischen."
Magritte, der Rächer der Surrealisten. Die Schau war ein gemaltes Manifest, eine Mischung aus grandioser Selbstironie und übermütiger Vergeltung. Sie war eine Art Mord an der Malerei und ihren ästhetischen Konventionen, aber auch die Emanzipation von Bretons elitärem Männerklub.
Das Publikum war schockiert, zumal die Schau begleitet war von einem Katalog mit reichlich derben Texten; die letzten Freunde wandten sich entrüstet ab und natürlich wurde nichts verkauft, aber Magritte hatte sein Mütchen gekühlt.
Als "Période vache", als "Kuhperiode", hat Magritte die Episode damals bezeichnet – "vacherie" heißt im Französischen aber auch "Gemeinheit", "Schweinerei" oder so viel wie "billiges Gelumpe". Jetzt also hängt der ganze Schweinekram in Frankfurt, und wir sind erst einmal belustigt.
Ein Schinken auf einem karierten Hemd, beschienen von einer infantil gemalten Sonne; ein Nashorn, das scheinbar schwerelos eine antike Säule emporklettert oder muskelbepackte Titanen, mit lockerem Gestus comichaft hingesudelt. Der Surrealist als Schmierfink, und immer wieder finden sich Motive, mit denen Magritte sich selber karikiert:
"Zum Beispiel ein Bild, auf dem wir einen Männerkopf sehen, dessen Gesicht von Pfeifen übersät ist, die ihm aus Auge, Mund, Nase, Stirn, überall herauswachsen. Also wo er selbst dieses Motiv der Pfeife, mit dem er ja identifiziert wird, im Grunde persifliert. Es gibt so ein ganzes Arsenal an sehr erotisch konnotierten Motiven, die Nase, die Pfeife, allerlei Auswüchse, die Figuren aus den unterschiedlichsten Körperteilen herauswachsen, wobei Magritte sich gegen diese psychoanalytische Deutung immer absolut gewehrt hätte."
Er wusste wohl, warum. Ergänzt werden die gezeigten Malereien durch illustrierte Briefe, gelochte Skizzenblättchen und vergilbte Fresszettelchen, auf denen Magritte seine Bildideen notierte: einen Penis mit Frauenkopf und dergleichen Pennälerspäße, eine weibliche Hand, die einen Schornstein umklammert, und selbst der Triumphbogen an den Champs Elysées verwandelt sich unter seinen Augen in - na was denn wohl.
Es sind Dokumente, die einen sehr intimen, ja indiskreten Blick in das hormongesteuerte Hirn des Malers erlauben, Korrespondenzen etwa, in denen er seinem Kumpan eine "gute Erektion" und einen "guten Orgasmus" wünscht. Freud wusste schon Bescheid: Surrealismus ist Sublimation.
Auch Madame Magritte hatte damit ihre liebe Not; nicht zuletzt auf ihren ausdrücklichen Wunsch kehrte der Maler bald wieder in seine normale Bilderwelt zurück.
Das ist im Ganzen amüsant und man könnte die Sache im Grunde als boulevardeske Fußnote einer Surrealistenfehde abtun, aber die einstmals so geschmähten Bilder entpuppen sich im Kontext der jüngsten Kunstgeschichte als durchaus folgenreich. 1981 waren vereinzelte Bilder der "Période vache" auf der Kölner "Westkunst"-Ausstellung gezeigt worden, wo sie unter den flink gepinselten Produkten der sogenannten "Jungen Wilden" auf erhebliche Resonanz stießen.
Der andere Magritte, der, den wir kennen, ist dagegen - was die Malerei als Malerei betrifft - ein ziemliches Mittelmaß: penibel, scheinbar emotionslos und keineswegs so perfekt, wie es Reproduktionen auf Postkarten oder in Büchern erscheinen lassen. Aber, sagt Esther Schlicht:
"Ich glaube, dass ihm die Malerei als solche im Grunde nie wirklich wichtig war, also dass er sich in dem Sinne nie als Maler im klassischen Sinne verstanden hat, sondern dass es ihm wirklich immer auf die Idee seiner Bilder ankam und die Malerei, so was wie Stil oder vielleicht auch so was wie Könnerschaft, für ihn gar nicht so sehr im Vordergrund stand."
"Magritte ist ein großer Maler, Magritte ist kein Maler", schrieb sein Freund und Biograf Louis Scutenaire schon früh und meinte damit, dass Magritte die Malerei primär als ein Instrument des Denkens begriff und nicht als bravouröse Demonstration handwerklicher Könnerschaft.
Moderne Maler wie Kippenberger oder Polke hätten im Magritte der "Période vache" wohl einen Geistesverwandten erkannt. Und das macht diese merkwürdigen Bilder auch heute noch von Belang.
Und er war frustriert. Unter seinen Pariser Surrealistenfreunden galt der Belgier als Außenseiter. Drei Jahre lang, bis 1930, hatte er in der Stadt gelebt, doch niemals richtig Fuß gefasst. Zur großen Surrealistenschau 1947 in Paris war er nicht einmal mehr eingeladen - das kam einer Exkommunikation gleich.
Doch dann, im Frühjahr 1948, ließ Magritte buchstäblich die Sau heraus. Endlich hatte er eine Einzelausstellung in einer Pariser Galerie, und jetzt sollten sie ihn kennen lernen, aber anders als erwartet. Innerhalb von wenigen Wochen produzierte er eine Serie von Bildern, die wie ein Fremdkörper in seinem Schaffen wirken: vulgäre Frauenakte vor grob gemusterten Tapeten, ein pinkelnder Mann am Baum, Bilder wie billige Bar-Dekorationen, wild und expressiv hingepinselt, betont "schlechte" Malerei. Es war, sagt Kuratorin Esther Schlicht, die schiere Wut, die ihn zu diesem Ausbruch trieb:
"Er hat sich mit den Pariser Surrealisten überworfen, insbesondere mit André Breton einen heftigen Streit, auch über die Neudefinition des Surrealismus nach dem Krieg gehabt, so dass sicher ein wesentlicher Impuls war, den Parisern eins auszuwischen."
Magritte, der Rächer der Surrealisten. Die Schau war ein gemaltes Manifest, eine Mischung aus grandioser Selbstironie und übermütiger Vergeltung. Sie war eine Art Mord an der Malerei und ihren ästhetischen Konventionen, aber auch die Emanzipation von Bretons elitärem Männerklub.
Das Publikum war schockiert, zumal die Schau begleitet war von einem Katalog mit reichlich derben Texten; die letzten Freunde wandten sich entrüstet ab und natürlich wurde nichts verkauft, aber Magritte hatte sein Mütchen gekühlt.
Als "Période vache", als "Kuhperiode", hat Magritte die Episode damals bezeichnet – "vacherie" heißt im Französischen aber auch "Gemeinheit", "Schweinerei" oder so viel wie "billiges Gelumpe". Jetzt also hängt der ganze Schweinekram in Frankfurt, und wir sind erst einmal belustigt.
Ein Schinken auf einem karierten Hemd, beschienen von einer infantil gemalten Sonne; ein Nashorn, das scheinbar schwerelos eine antike Säule emporklettert oder muskelbepackte Titanen, mit lockerem Gestus comichaft hingesudelt. Der Surrealist als Schmierfink, und immer wieder finden sich Motive, mit denen Magritte sich selber karikiert:
"Zum Beispiel ein Bild, auf dem wir einen Männerkopf sehen, dessen Gesicht von Pfeifen übersät ist, die ihm aus Auge, Mund, Nase, Stirn, überall herauswachsen. Also wo er selbst dieses Motiv der Pfeife, mit dem er ja identifiziert wird, im Grunde persifliert. Es gibt so ein ganzes Arsenal an sehr erotisch konnotierten Motiven, die Nase, die Pfeife, allerlei Auswüchse, die Figuren aus den unterschiedlichsten Körperteilen herauswachsen, wobei Magritte sich gegen diese psychoanalytische Deutung immer absolut gewehrt hätte."
Er wusste wohl, warum. Ergänzt werden die gezeigten Malereien durch illustrierte Briefe, gelochte Skizzenblättchen und vergilbte Fresszettelchen, auf denen Magritte seine Bildideen notierte: einen Penis mit Frauenkopf und dergleichen Pennälerspäße, eine weibliche Hand, die einen Schornstein umklammert, und selbst der Triumphbogen an den Champs Elysées verwandelt sich unter seinen Augen in - na was denn wohl.
Es sind Dokumente, die einen sehr intimen, ja indiskreten Blick in das hormongesteuerte Hirn des Malers erlauben, Korrespondenzen etwa, in denen er seinem Kumpan eine "gute Erektion" und einen "guten Orgasmus" wünscht. Freud wusste schon Bescheid: Surrealismus ist Sublimation.
Auch Madame Magritte hatte damit ihre liebe Not; nicht zuletzt auf ihren ausdrücklichen Wunsch kehrte der Maler bald wieder in seine normale Bilderwelt zurück.
Das ist im Ganzen amüsant und man könnte die Sache im Grunde als boulevardeske Fußnote einer Surrealistenfehde abtun, aber die einstmals so geschmähten Bilder entpuppen sich im Kontext der jüngsten Kunstgeschichte als durchaus folgenreich. 1981 waren vereinzelte Bilder der "Période vache" auf der Kölner "Westkunst"-Ausstellung gezeigt worden, wo sie unter den flink gepinselten Produkten der sogenannten "Jungen Wilden" auf erhebliche Resonanz stießen.
Der andere Magritte, der, den wir kennen, ist dagegen - was die Malerei als Malerei betrifft - ein ziemliches Mittelmaß: penibel, scheinbar emotionslos und keineswegs so perfekt, wie es Reproduktionen auf Postkarten oder in Büchern erscheinen lassen. Aber, sagt Esther Schlicht:
"Ich glaube, dass ihm die Malerei als solche im Grunde nie wirklich wichtig war, also dass er sich in dem Sinne nie als Maler im klassischen Sinne verstanden hat, sondern dass es ihm wirklich immer auf die Idee seiner Bilder ankam und die Malerei, so was wie Stil oder vielleicht auch so was wie Könnerschaft, für ihn gar nicht so sehr im Vordergrund stand."
"Magritte ist ein großer Maler, Magritte ist kein Maler", schrieb sein Freund und Biograf Louis Scutenaire schon früh und meinte damit, dass Magritte die Malerei primär als ein Instrument des Denkens begriff und nicht als bravouröse Demonstration handwerklicher Könnerschaft.
Moderne Maler wie Kippenberger oder Polke hätten im Magritte der "Période vache" wohl einen Geistesverwandten erkannt. Und das macht diese merkwürdigen Bilder auch heute noch von Belang.