Monumental und zerbrechlich zart

Von Ulrike Gondorf · 24.09.2011
Vor 100 Jahren schuf der Bildhauer Wilhelm Lehmbruck die "Kniende", das überlebensgroße, ganzfigurige Bildnis einer knienden weiblichen Gestalt. Das Duisburger Museum, das seinen Namen trägt, nimmt das zum Anlass für eine große Ausstellung.
Ihre Verehrer nennen sie die Mona Lisa des 20. Jahrhunderts und diesem Ruf angemessen ist die Geburtstagsfeier, die ihr in Duisburg ausgerichtet wird. Die lichtdurchflutete große Glashalle, die der Besucher zuerst betritt, beherbergt eine illustre Versammlung von Meisterwerken.

"Es ist wirklich fast eine Rote-Teppich-Veranstaltung. Wir haben Matisse, wir haben Delaunay, wir haben Rodin, Bernhard Hoetger, der vielleicht nicht mehr so bekannt ist, damals aber eine große Rolle gespielt hat, Maillol natürlich."

Kuratorin Dr. Marion Bornscheuer hat die Ausstellung gestaltet. Gleich am Eingang empfängt die Kniende. Das Lehmbruck-Museum besitzt den ersten Bronzeguss, der erst 1925 angefertigt wurde. Nach dem Tod des Künstlers, der seinem Leben 1919 ein Ende gesetzt hat, aber auf seinen ausdrücklichen Wunsch. Die Wucht und Dauerhaftigkeit der schwarz patinierten Bronze erscheint in einem spannenden Widerspruch zur Fragilität und Verletzlichkeit der ganz in sich gekehrten Figur.

Die Kniende, im Herbstsalon 1911 in Paris zum ersten Mal ausgestellt, ist monumental, überlebensgroß, und doch zerbrechlich zart. Eine schmale, nackte, mädchenhafte Gestalt, die sich auf ihr rechtes Knie niedergelassen hat, den rechten Arm in einer auf sich selbst verweisenden Geste bis zur Brust erhoben, den linken ausgestreckt auf dem angewinkelten Oberschenkel, über den ein Tuch fällt. Den Kopf und den Blick hält sie gesenkt. Eine unentrinnbare Aura des Geheimnisses umgibt sie.

Marion Bornscheuer: "Die Kniende verlockt ihren Betrachter zu einem Dialog."

Die Plastiken, die die Ausstellung um die Kniende versammelt, lassen im Vergleich ihre Besonderheit deutlich hervortreten. Wie Lehmbruck etwa durch seine überlängten Proportionen und die bewegte Oberfläche der Bronze den Eindruck des Verletzlichen und Vergeistigten zu erzeugen wusste, springt einen geradezu an beim Blick auf ihre volle, barock proportionierte und glatt polierte Nachbarin: den "Sommer" von Aristide Maillol. Die unendlichen Varianten des Themas "knien" spielt eine ganze Kollektion kleiner Statuen von der Antike bis zum Jugendstil durch. Sie zeigt, wie Lehmbruck auch hier einen eigenen Weg eingeschlagen hat.

Er riskierte eine heikle Balance auf ganz schmaler Standfläche, die die Pose in Bewegung zu halten scheint. Den intensivsten Dialog nimmt die Figur mit einem frühen Werk aus der berühmten Serie der Rückenreliefs von Henri Matisse auf. Ähnlich durchgestaltet, sozusagen psychologisiert hat auch Lehmbruck den Rücken der Knieenden gestaltet. In all diesen Aspekten erweist sich der Bildhauer 1911 als aufsehenerregend modern.

Marion Bornscheuer: "Die Kniende an sich ist zwar nicht abstrakt, aber sie hat ein neues Formvokabular, denn sie baut sich in der ganzen Grundkomposition aus Dreiecksformen auf. Das könnte eine Parallele sein zu dieser neuen Art zu komponieren."

Im zweiten Teil der Ausstellung wird dieses Thema der Modernität noch einmal vertieft. Hier sieht man weitere wichtige Lehmbruck-Werke wie die berühmte Büste seine Frau Anita und ein hinreißendes Gipsmodell des Torsos "Der Mensch", das noch die Spuren der Werkzeuge und sogar der Hände des Künstlers trägt. Sie werden konfrontiert mit Gemälden und Skulpturen seiner Pariser Künstlerkollegen, die den großen Aufbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachvollziehen lassen:

Marion Bornscheuer: "Er hat sich in Paris durchsetzen können, hat Seite an Seite ausgestellt mit den Top-Künstlern wie Brancusi, Archipenko, Rodin, Matisse, Maillol, da ist das enorme Potential zu erkennen, das Lehmbruck in Paris entwickelt hat."

Nach dieser Konzentration epochemachender Werke verliert sich der Schluss der Ausstellung auf einem Nebenweg. In ausufernder Breite widmen sich noch einmal drei Räume dem Thema Tanz in Paris. Es ist geprägt von den Ballets Russes und den überragenden Figuren Isadora Duncan und Vaslaw Nijinsky. Bilder, Statuetten, ein Film der Duncan, Kostümentwürfe, Theaterplakate, Programmhefte und Fotos illustrieren es interessant, aber der Zusammenhang mit der Knienden bleibt eher vage. Dass die Haltung der Figur zu erklären sein könnte aus der Choreographie der Zeit, scheint doch nur eine Facette am Rande. Jedenfalls ist sie immer noch unnahbar-rätselhaft, wenn man ihr auf dem Rückweg in der Glashalle zum Abschied seine Reverenz erweist. Zum Glück.

Informationen des Lehmbruck-Museums Duisburg
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