"Mollath muss sich einfach wehren"

Moderation: Dieter Kassel · 29.08.2013
"Ich veröffentliche nur das, was die Gerichte selber zum Besten gegeben haben", sagt Gerhard Strate, der Anwalt des jahrelang gegen seinen Willen in der Psychiatrie untergebrachten Gustl Mollath. Die Publikation sei für eine Debatte um die Rolle der Psychiatrie und ihr Verhältnis zur Justiz von enormer Bedeutung.
Dieter Kassel: Viel ist über den Fall Gustl Mollath schon berichtet worden, er selber hat inzwischen auch schon öffentlich geredet, in der Fernsehsendung "Beckmann" und an anderen Stellen, und immer wieder ging es vor allem auch um die psychiatrischen Gutachten, die zu seiner sieben Jahre andauernden Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen geführt haben. Nun kann man diese Gutachten zusammen mit ärztlichen Stellungnahmen und zahlreichen Gerichtsdokumenten selber lesen. Jeder kann die Originaldokumente lesen, weil Mollaths Anwalt, Dr. Gerhard Strate, sie ins Internet gestellt hat. Und deshalb wollen wir mit ihm jetzt sprechen – schönen guten Tag, Herr Strate!

Gerhard Strate: Ja, schönen guten Tag!

Kassel: Warum haben Sie das gemacht?

Strate: Also wir haben immer wieder die Situation gehabt in der Vergangenheit, ich hatte sie zum Schluss bei einem sogenannten Streitgespräch mit zwei Redakteuren der "Zeit", dass immer wieder Bezug genommen wurde auf diese Gutachten. Diese Gutachten kursierten schon seit einiger Zeit, und zwar waren sie offenkundig auch lanciert aus dem Kreis der Gutachter selbst, die dann offenbar als Selbstschutzmaßnahme dies bestimmten, vertrauenswürdig ihnen erscheinenden Journalisten überreicht hatten.

Das ist natürlich eine Situation, die schon sehr vertrackt ist, weil Herr Mollath hat der Weitergabe dieser Gutachten nie zugestimmt. Nichtsdestotrotz wurde daraus immer wieder zitiert, und auch immer erneut die Suggestion zu erwecken versucht, dass Herr Mollath dann doch vielleicht irgendwo ein bisschen verrückt sei, auch wenn er in seinem öffentlichen Auftreten einen ganz normalen Eindruck macht.

Herr Mollath und ich haben deshalb besprochen, dass wir die Gutachten, also vor allen Dingen die drei Gutachten, die jetzt seine paranoide Geisteshaltung behaupteten, dass wir die vollen Umfangs – geschwärzt allenfalls um einige wenige Sentenzen, die unmittelbar intime Bereiche betrafen – veröffentlichen. Das ist jetzt geschehen und weckt offenbar auch ein sehr großes Interesse.

Kassel: Das ist natürlich der Teil Ihrer Veröffentlichungen, der vermutlich am häufigsten angeklickt wird im Internet. Aber dieses Gesamtbouquet an Dokumenten ist ja größer: gerichtliche Unterlagen, Briefe an Ihre Kanzlei. Ist das eigentlich komplett legal, diese Unterlagen zu veröffentlichen?

" Das ist ein Ausdruck der Stärke unserer Position, dass wir das jetzt veröffentlichen"

Strate: Na ja, also ich habe natürlich jetzt schon Anfragen beziehungsweise kollegialiter sich an mich wendende Anwälte, die im Auftrag des einen oder anderen Gutachters Urheberrechtsverletzungen behaupten. Ich gehe auch sicher davon aus, dass ich in der nächsten Zeit, sicherlich schon heute, das erste Schreiben bekomme, wo ich abgemahnt werde, die Veröffentlichung zu unterlassen und die Papiere wieder vom Netz herunterzunehmen. Das führt natürlich bei mir zu schlaflosen Nächten, weil ich natürlich angstvoll immer an das denke, was die klugen Kollegen dann zur Wege bringen werden.

Insgesamt bin ich aber, denke ich, hier gut aufgestellt, denn: Mollath muss sich einfach wehren! Und er muss deutlich machen, auf welcher trivialen Ebene zum Teil diese Gutachten einfach ihre Fakten selektiert haben, des Weiteren ihre rhetorischen Figuren aufbauen über angebliche Verrücktheiten des Herrn Mollath. Das ist ein Ausdruck der Stärke unserer Position, dass wir das jetzt veröffentlichen, damit hier auch jedermann sieht, wie kleingemixt zum Teil diese Argumentationsführungen sind.

Kassel: Aber wie gesagt, das sind ja nicht nur diese Gutachten, die Sie veröffentlichen, es gibt ja auch Gerichtskorrespondenz, zum Beispiel auch die Ablehnung Ihres Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus Regensburg, erst in Nürnberg wurde ja dann die Wiederaufnahme zugelassen.

Strate: Ja, das ist juristisch geklärt, also da habe ich gar kein Problem mit. Wir haben den Paragrafen 353d Nummer drei des Strafgesetzbuches, der verbietet die Veröffentlichung von Dokumenten im Zusammenhang mit laufenden Hauptverhandlungen. Das war ja während der Phase des Wiederaufnahmeverfahrens nicht der Fall, wir hatten ja dort ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren, gegen dessen Rechtskraft wir angerannt waren mit diesem Wiederaufnahmeantrag.

Nichtsdestotrotz war das eine Phase des Verfahrens, in dem die Veröffentlichung ohne weiteres zulässig war, das ist uns inzwischen auch bescheinigt worden durch eine Entscheidung des Amtsgerichtes Hamburg. Dort hatte die Staatsanwaltschaft hier in Hamburg auf Betreiben der Augsburger Staatsanwaltschaft einen Antrag gestellt, dass diese Dokumente von dem zentralen Server, wo sie bereitliegen, zum Abruf bereit liegen, gelöscht werden. Dem hat das Amtsgericht Hamburg nicht stattgegeben, die Staatsanwaltschaft ist offenkundig auch nicht in die Beschwerde gegangen.

Kassel: Aber ich sehe es, Herr Strate, gar nicht nur juristisch. Ich frage mich, wenn wir zunächst mal bei Herrn Mollath bleiben, ich möchte es gleich erweitern, wie man es auch weiter nützen kann, so was zu veröffentlichen, aber Sie müssen natürlich immer im Interesse Ihres Mandanten handeln, wenn Sie in dieser Art und Weise doch möglicherweise die Gerichte in Regensburg, in Nürnberg, in Augsburg gegen sich aufbringen. Fürchten Sie nicht – Sie reden ja auch sehr offen in Interviews darüber, wie haarsträubend Sie zum Teil das finden, was da geschehen ist –, fürchten Sie nicht, dass das die Position Ihres Mandanten bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens schwächt?

""Ich veröffentliche nur das, was die Gerichte selber zum Besten gegeben haben""

Strate: Ach, wissen Sie, ich mache das Geschäft jetzt hier mehr als 30 Jahre, und ich weiß, dass man der Justiz, vor allen Dingen der Strafjustiz, nicht beikommen kann dadurch, dass man irgendwie immer freundlich mit denen umgeht, und möglichst all das tut, was ihnen genehm ist. Das war noch nie meine Art des Herangehens. Manchmal muss man einen Kampf auch führen, und zum Teil auch nicht nur mit dem Florett, sondern wirklich mit dem Säbel.

Das tue ich hier allerdings gar nicht, ich veröffentliche nur das, was die Gerichte selber zum Besten gegeben haben, und deshalb sollten sie das fürchten. Das ist für mich völlig unerfindlich, weshalb dort zum Teil ein Ingrimm entsteht darüber, dass ich das nun auch alles jedermann zu lesen gebe. Das ist mir völlig nicht nachvollziehbar und unerfindlich.

Kassel: Ich habe die halbe Nacht mit diesen Unterlagen verbracht und muss sagen, dass ich teilweise die anderen Dinge, also die anderen Dinge neben den forensisch-psychiatrischen Gutachten fast noch haarsträubender fand. Insofern könnte ich die Kollegen wieder verstehen, aber ich weiß natürlich, was Sie meinen. Ich habe mich aber auch, Herr Strate, gefragt: Haben Sie es nur gemacht – das haben Sie ja vorhin schon recht gut erklärt – im Sinne von Herrn Mollath, oder ist es auch im Sinne aller Menschen, um mal zu sehen, wie solche Gutachten wirklich gemacht werden und wie sie am Ende aussehen?

"Die Psychiatrie ist es nicht gewohnt, dass sie sich selbst kritisch betrachtet"

Strate: Also natürlich zunächst einmal im Sinne von Herrn Mollath, also dass für Herrn Mollath so eine breite Grundströmung in der öffentlichen Berichterstattung besteht, ist auch ein wesentliches Produkt dieses Umstandes, nämlich dass wir alle Dokumente für jedermann, jederfrau nachlesbar ins Internet gestellt haben. Jeder konnte überprüfen, stimmt das, was von dort aus vorgetragen wird, stimmt das, dass diese Gutachten zum Teil wirklich – vor allen Dingen das Erstgutachten, das ihm überhaupt jetzt die Unterbringung verschafft hat – auf wirklich ganz trivialem Niveau arbeitet und argumentiert. Das kann jetzt jeder überprüfen.

Das ist erst mal ganz im Sinne von Mollath. Ich meine aber auch, dass vor allen Dingen in der Diskussion um die Rolle der Psychiatrie und ihr Verhältnis zur Justiz die öffentliche Darstellung dieser Gutachten auch von enormer Bedeutung ist. Die Psychiatrie ist es ja nicht gewohnt, dass sie sich selbst kritisch betrachtet, sondern das ist eine – vor allen Dingen im Bereich der forensischen Psychiatrie ist das ein Kreis von 40, 50 Professoren, die sich wechselseitig in Lehrbüchern und Artikeln hochloben, und keiner mag den anderen mal massiv aufs Korn nehmen.

Da gibt es einige ganz, ganz wenige Ausnahmen, eine rühmliche Ausnahme ist etwa Professor Nedopil, der auch in einem sehr klaren Interview im "Spiegel" Position bezogen hat. Aber insgesamt ist die Psychiatrie in ihrer Wissenschaftlichkeit ... also man mag da eigentlich gar nicht von Wissenschaftlichkeit reden, aber dass sie nicht eine Wissenschaft ist, das hat sie mit der Juristerei beispielsweise gemein. Aber trotzdem, in dem intellektuellen Niveau ist die Psychiatrie zum Teil wirklich sehr depraviert. Und dass trotzdem unendlich viele Menschen von diesen Psychiatern abhängig sind, das ist schon erschreckend, und dafür ist es eigentlich gut, dass diese Dokumente auch in der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Kassel: Wir reden hier im Deutschlandradio Kultur heute Vormittag mit Gerhard Strate, er ist der Anwalt von Gustl Mollath und hat die psychiatrischen Gutachten, die über Mollath erstellt wurden, zusammen mit zahlreichen anderen Unterlagen im Internet veröffentlicht auf seiner Seite. Ich habe das gelesen, auch am späten Abend, dann ist man ja manchmal in merkwürdiger Stimmung, Herr Strate – ich bin kein Paranoiker, aber ich habe ein bisschen Angst bekommen. Kann man aus diesen Gutachten schließen, wenn man erst mal drin ist in dieser Situation, hat man wenig Chancen, wenn man es so macht wie Herr Mollath, die Gespräche verweigern, haben wir gesehen, schützt man sich auch nicht unbedingt, aber viele Experten, ich glaube, auch Sie, sagen, diese Gespräche führen, die dann zu den Gutachten führen, sollte man eher auch nicht.

Strate: Na, er hat sich ja einem Psychiater durchaus geöffnet, das war Professor Pfäfflin. Der hat die Exploration durchaus auch sehr sorgfältig gemacht, aber Pfäfflin war dann schließlich der dritte oder vierte in der Reihe, und der wollte dann nicht mehr abspringen und plötzlich erklären, ja, ihr habt alle falsch gelegen. Da ist in diesem Gutachten, das hat durchaus ein gewisses Niveau, ist plötzlich ein Sprung, und man weiß nicht, wieso kommt der jetzt plötzlich zu dem Ergebnis hier, Mollath ist ja nun doch verrückt.

All das, was hier präsentiert wird, ist meines Erachtens typisch für die Psychiatrie, und das macht einem natürlich Angst, das sprechen Sie richtig an, aber ich denke auch, wenn man sich damit auseinandersetzt, intellektuell auseinandersetzt, öffentlich auseinandersetzt, dann kann es ja auch eine Wende zum Besseren geben.

Kassel: Aber glauben Sie, dass das kommt? Zwei Berufsgruppen müssten sich ja grundlegend verändern: die Staatsanwälte und Richter, die – so hat das eine Frau, die selber Gutachterin ist in Bayern, in der Fernsehsendung "Beckmann" gesagt – die sich zum Teil bewusst, und das ist ja auch bekannt in der Szene, die Gutachter aussuchen, von denen sie schon wissen, welches Gutachten sie bekommen, die müssten sich verändern, und die Gutachter selber ja auch.

Strate: Da liegen Sie völlig richtig. Und nach einer gewissen Zahl von Lebensjahren weiß man natürlich, dass die Menschen sich nun ungerne verändern, aber nichtsdestotrotz, die Standarte der Hoffnung bleibt aufgepflanzt.

""Sein öffentliches Auftreten ist von wirklich großer Beherrschtheit""

Kassel: Wir haben Gustl Mollath in dieser Fernsehsendung erlebt, er war gestern bei den Kollegen von Südwestrundfunk in der Radiosendung, das heißt, man lebt ja ein bisschen öffentlich. Aber Frage trotzdem an Sie, der Sie ja mindestens am Telefon doch Kontakt mit ihm halten: Wie geht es ihm denn jetzt nach ungefähr drei Wochen Freiheit?

Strate: Also ich glaube, Gustl Mollath braucht natürlich auch die Zeit, um wieder sich selber auch ins Lot zu bringen. Ich glaube aber auch – also jedenfalls in dieser neuen Situation ins Lot zu bringen, er war immer ein sehr gefestigter Charakter –, aber ich glaube, es geht im gut. Das Interview gestern bei "Leute" vom Südwestfunk, da hat er das sehr gut gemacht, und ich glaube, auch sonst sein öffentliches Auftreten ist von wirklich großer Beherrschtheit. Der Mann redet ja gestanzt, wenn der einen Satz beendet, weiß er ganz genau, wie er ihn begonnen hat. Das findet man nicht bei vielen Politikern, und sonst Leuten, die im öffentlichen Leben stehen.

Kassel: Und manchmal bei mir auch nicht, das macht mir auch schon wieder Sorgen. Aber ganz im Ernst, mal eine ernste Schlussfrage: Das Verfahren wird wieder aufgenommen, Gustl Mollath betont immer wieder, dass er sich von dieser Wiederaufnahme des Verfahrens eine Rehabilitierung erhofft aus juristischer Sicht. Wird das eine Rehabilitierung?

Strate: Also da ist er etwas sehr optimistisch, da bin ich etwas skeptisch, nicht im Sinne, dass er nicht rehabilitiert werden würde, das Ergebnis wird die vollständige Aufhebung dieses Urteils vom 08.08.2006 in Nürnberg-Fürth sein, dessen bin ich mir sicher. Aber welchen Umfang dann die Beweisaufnahme haben wird – ich glaube eher, das die Strafkammer, die hier zuständig ist, die 6. Strafkammer in Regensburg, schon geneigt sein wird, dieses ganze Verfahren auf relativ kleiner Flamme zu beenden. Also wenn all das, was hier zum Teil als Fälschung auch eine Rolle gespielt hat, vor allen Dingen dieser Vorwurf der Reifenstecherei, der völlig an den Haaren herbeigezogen ist, wenn das zur Sprache kommen sollte, dann wäre das wirklich für die bayrische Justiz ein neues Waterloo, und das wird niemand wollen.

Kassel: Sagt Gerhard Strate, der Anwalt von Gustl Mollath, und die erwähnten Dokumente findet man auf der Seite der Kanzlei, die finden Sie im Internet unter strate.net, dann unter Dokumente. Herr Strate, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit!

Strate: Nicht dafür!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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