Möbelpräsentation als Gesamtkunstwerk
1930 durfte sich der Deutsche Werkbund erstmals seit dem Ersten Weltkrieg in der französischen Hauptstadt präsentieren. Der Auftritt auf der Jahresausstellung der französischen Inneneinrichter im Grand Palais war ein Paukenschlag, denn der Werkbund setzte radikal auf die Moderne, indem er den Bauhaus-Gründer Walter Gropius als Kurator bestellte. Im Zentrum der Ausstellung stand eine ganz neue, radikale Wohn-Utopie, ein avantgardistischer Vorschlag für ein Wohnhotel, das die Franzosen faszinierte und in Erstaunen versetzte. Zum 100-jährigen Werkbundjubiläum hat das Berliner Bauhaus-Archiv die Ausstellung von 1930 nachgestellt.
Stolz und selbstbewusst zeigte sich die Bauhaus-Moderne im Grand Palais, dessen ornamentale Glasarchitektur im Vergleich zu den avantgardistischen Bauhaus-Produkten reichlich antiquiert aussah. 1928 war Bauhaus-Gründer Walter Gropius als Direktor der Schule zurückgetreten. Er überlies Hannes Meyer das Feld, der alles tat, um sich von seinem Vorgänger abzugrenzen. „Massen- statt Luxusbedarf“ hieß seine Devise, ein revolutionärer Satz, den Gropius so niemals unterschrieben hätte. Im Gegenteil, in Paris zeigten er und seine früheren Kollegen Herbert Bayer, Marcel Breuer und László Moholy-Nagy, wie modern und kultiviert das Bauhaus während der Ära Gropius war, sagt Christian Wolsdorf vom Berliner Bauhaus-Archiv:
„Die Pariser Ausstellung ist von mehreren Presseagenturen gut fotografiert worden, was ein großer Vorteil ist. Wir haben viele Fotos, wir haben im Nachlass Gropius‘ eine sehr umfangreiche Pressedokumentation, wir können also zwar nicht gerade aus dem Vollen schöpfen, alle Werkpläne fehlen, wir sind nur auf die Fotos angewiesen und können daraus doch natürlich sehr viel entnehmen, und letzten Endes ermöglicht uns das eine Teilrekonstruktion von einigen der spannendsten Bereiche dieser Ausstellung.“
Mit damals neuester Messetechnik wurde ein Gesamtkunstwerk gestaltet, eine perfekt durchgestylte Welt. Ob Tischleuchten von Wilhelm Wagenfeld oder Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, das gezeigte Produktdesign war avantgardistisch und nobel zugleich. Und auch die Kunst ging neue Wege. Im Theaterraum drehten sich Ballettfiguren von Oskar Schlemmer, und der Ungar László Moholy-Nagy zeigte eine kinetische Lichtskulptur, zu einer Zeit, als es diesen Begriff für solche Kunstwerke noch gar nicht gab.
Christian Wolsdorf: „Das ist ein Apparat, der mit einem Elektromotor angetrieben wird, sich langsam dreht und viele bewegliche Teile hat. Ausgestellt worden in Paris ist er allerdings in einem Kasten. In diesem Kasten sind 220 unterschiedlich farbige Glühbirnen montiert, die nach einem genau überlieferten Plan erleuchtet werden müssen, das sieht ein bisschen aus wie Jahrmarkt.“
Was die Franzosen damals beeindruckt hat, ist jetzt in Berlin noch einmal zu sehen. Eine Ausstellung, die auf eine ganz neue Ästhetik setzt, auf Bewegung und auf vielfältige Perspektiven. Mitten in einem Ausstellungsraum steht das große Modell der Dessauer Bauhaus-Schule, flankiert von Bauhaus-Stühlen, die gleich serienweise von der Decke hängen. Fototafeln mit zeitgenössischer Architektur schweben in der Luft, auf ihnen sind all die neuen Häuser mit Flachdach zu sehen, deren Bedeutung Annemarie Jaeggi, Leiterin des Berliner Bauhaus-Archivs, so erklärt:
„Gropius und die Architekten des Neuen Bauens wollten ja weg von diesem starren alten System, vorne hui und hinten pfui, um es etwas übertrieben auszudrücken, also dass die Fassade immer was hergibt, aber dann die Seiten oder die rückwertige Seite unglaublich abfällt. Also dieses starre Schema wollte man durchbrechen, und ein Gebäude sollte im Grunde genommen mehr eine Skulptur sein, und man musste sie vollständig umkreisen und umschreiten, um sie wahrzunehmen.“
Herzstück der Ausstellung ist der Gesellschaftsraum für ein Wohnhotel. Metallstege und Rampen bieten den Besuchern unterschiedliche Perspektiven auf einen außergewöhnlichen Raum mit Clubatmosphäre. Ein Ort mit Cafébar, Tanzfläche, Spieltisch und Grammophon. Hier sollte der moderne Städter heimisch werden, und wir staunen kaum weniger als damals die Franzosen. Nicht weil wir den kollektiven Lebensentwurf so begehrenswert finden, sondern weil ästhetisch alles – wirklich alles – stimmt. Die Unordnung von Zuhause hat hier keinen Platz. Schon ein wenig Müll wäre ein Sakrileg wider den Geist der klassischen Moderne, die ja bekanntlich puristisch und ein wenig verbissen war.
Walter Gropius hatte sich informiert, er hatte Franz Müller-Lyer gelesen, der den Beginn einer neuen urbanen Gesellschaft beschrieb. Die Kleinfamilie war jetzt kein Vorbild mehr, und es ging um ein neues Selbstverständnis der Frau. Ein Wohnhotel mit kleinen Wohnzellen und großzügigen Gemeinschaftsräumen war die architektonische Antwort. Wohnen wie auf einem Luxusdampfer, das war die Botschaft an das staunende Publikum. Das vorgestellte Apartment für ein kinderloses Ehepaar, ein kleines Refugium, das konsequent auf Partnerschaft setzt. Statt eines großen Ehebetts gibt es zwei getrennte Zimmer, wo Mann und Frau selbstbestimmt und gleichberechtigt neben- und miteinander leben sollen, erklärt Christian Wolsdorf:
„Wenn Sie sich die Gropiussche Konzeption des Wohnhochhauses angucken, das ist so das, was er in Amerika einerseits in klassischen Apartmenthäusern in New York und in den anderen amerikanischen Städten gesehen hat, noch angereichert mit etwas, was er allerdings damals nur aus Beschreibungen aus Russland kannte, diese Art von Kommune-Räumen aus den Kommune-Häusern an die amerikanischen Apartmenthäuser rangeklebt, und das dann mit einer entsprechenden Erläuterung versehen, das ist die Gropiussche Wohnhauskonzeption von 1930.“
Das Wohnhotel wurde nie gebaut, zunächst war Weltwirtschaftskrise und es gab kein Geld, dann kamen die Nazis, die solche Wohnutopien als „jüdischen Baubolschewismus“ diffamierten.
Heute leben wir mit einigen Folgen des soziologischen Befunds der späten 20er Jahre: Wir haben emanzipierte Frauen, berufstätige und mobile Ehepaare und wenig Kinder. Doch die einst strahlende Utopie ist längst zum Problemfall geworden. Eine überalterte Gesellschaft ohne viel Nachwuchs muss sich sozial ganz neu erfinden. Da bekommen auch Architekten noch viel zu tun. Der autonome Mensch im Stahlrohrsessel ist ein Auslaufmodell. Schade, er sah immer so stolz und selbstbewusst aus.
Service:
Die Ausstellung „Leben im Hochhaus – Werkbundausstellung Paris 1930“ ist vom 21.11.2007 bis zum 7.4.2008 im Berliner Bauhaus-Archiv zu sehen.
„Die Pariser Ausstellung ist von mehreren Presseagenturen gut fotografiert worden, was ein großer Vorteil ist. Wir haben viele Fotos, wir haben im Nachlass Gropius‘ eine sehr umfangreiche Pressedokumentation, wir können also zwar nicht gerade aus dem Vollen schöpfen, alle Werkpläne fehlen, wir sind nur auf die Fotos angewiesen und können daraus doch natürlich sehr viel entnehmen, und letzten Endes ermöglicht uns das eine Teilrekonstruktion von einigen der spannendsten Bereiche dieser Ausstellung.“
Mit damals neuester Messetechnik wurde ein Gesamtkunstwerk gestaltet, eine perfekt durchgestylte Welt. Ob Tischleuchten von Wilhelm Wagenfeld oder Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, das gezeigte Produktdesign war avantgardistisch und nobel zugleich. Und auch die Kunst ging neue Wege. Im Theaterraum drehten sich Ballettfiguren von Oskar Schlemmer, und der Ungar László Moholy-Nagy zeigte eine kinetische Lichtskulptur, zu einer Zeit, als es diesen Begriff für solche Kunstwerke noch gar nicht gab.
Christian Wolsdorf: „Das ist ein Apparat, der mit einem Elektromotor angetrieben wird, sich langsam dreht und viele bewegliche Teile hat. Ausgestellt worden in Paris ist er allerdings in einem Kasten. In diesem Kasten sind 220 unterschiedlich farbige Glühbirnen montiert, die nach einem genau überlieferten Plan erleuchtet werden müssen, das sieht ein bisschen aus wie Jahrmarkt.“
Was die Franzosen damals beeindruckt hat, ist jetzt in Berlin noch einmal zu sehen. Eine Ausstellung, die auf eine ganz neue Ästhetik setzt, auf Bewegung und auf vielfältige Perspektiven. Mitten in einem Ausstellungsraum steht das große Modell der Dessauer Bauhaus-Schule, flankiert von Bauhaus-Stühlen, die gleich serienweise von der Decke hängen. Fototafeln mit zeitgenössischer Architektur schweben in der Luft, auf ihnen sind all die neuen Häuser mit Flachdach zu sehen, deren Bedeutung Annemarie Jaeggi, Leiterin des Berliner Bauhaus-Archivs, so erklärt:
„Gropius und die Architekten des Neuen Bauens wollten ja weg von diesem starren alten System, vorne hui und hinten pfui, um es etwas übertrieben auszudrücken, also dass die Fassade immer was hergibt, aber dann die Seiten oder die rückwertige Seite unglaublich abfällt. Also dieses starre Schema wollte man durchbrechen, und ein Gebäude sollte im Grunde genommen mehr eine Skulptur sein, und man musste sie vollständig umkreisen und umschreiten, um sie wahrzunehmen.“
Herzstück der Ausstellung ist der Gesellschaftsraum für ein Wohnhotel. Metallstege und Rampen bieten den Besuchern unterschiedliche Perspektiven auf einen außergewöhnlichen Raum mit Clubatmosphäre. Ein Ort mit Cafébar, Tanzfläche, Spieltisch und Grammophon. Hier sollte der moderne Städter heimisch werden, und wir staunen kaum weniger als damals die Franzosen. Nicht weil wir den kollektiven Lebensentwurf so begehrenswert finden, sondern weil ästhetisch alles – wirklich alles – stimmt. Die Unordnung von Zuhause hat hier keinen Platz. Schon ein wenig Müll wäre ein Sakrileg wider den Geist der klassischen Moderne, die ja bekanntlich puristisch und ein wenig verbissen war.
Walter Gropius hatte sich informiert, er hatte Franz Müller-Lyer gelesen, der den Beginn einer neuen urbanen Gesellschaft beschrieb. Die Kleinfamilie war jetzt kein Vorbild mehr, und es ging um ein neues Selbstverständnis der Frau. Ein Wohnhotel mit kleinen Wohnzellen und großzügigen Gemeinschaftsräumen war die architektonische Antwort. Wohnen wie auf einem Luxusdampfer, das war die Botschaft an das staunende Publikum. Das vorgestellte Apartment für ein kinderloses Ehepaar, ein kleines Refugium, das konsequent auf Partnerschaft setzt. Statt eines großen Ehebetts gibt es zwei getrennte Zimmer, wo Mann und Frau selbstbestimmt und gleichberechtigt neben- und miteinander leben sollen, erklärt Christian Wolsdorf:
„Wenn Sie sich die Gropiussche Konzeption des Wohnhochhauses angucken, das ist so das, was er in Amerika einerseits in klassischen Apartmenthäusern in New York und in den anderen amerikanischen Städten gesehen hat, noch angereichert mit etwas, was er allerdings damals nur aus Beschreibungen aus Russland kannte, diese Art von Kommune-Räumen aus den Kommune-Häusern an die amerikanischen Apartmenthäuser rangeklebt, und das dann mit einer entsprechenden Erläuterung versehen, das ist die Gropiussche Wohnhauskonzeption von 1930.“
Das Wohnhotel wurde nie gebaut, zunächst war Weltwirtschaftskrise und es gab kein Geld, dann kamen die Nazis, die solche Wohnutopien als „jüdischen Baubolschewismus“ diffamierten.
Heute leben wir mit einigen Folgen des soziologischen Befunds der späten 20er Jahre: Wir haben emanzipierte Frauen, berufstätige und mobile Ehepaare und wenig Kinder. Doch die einst strahlende Utopie ist längst zum Problemfall geworden. Eine überalterte Gesellschaft ohne viel Nachwuchs muss sich sozial ganz neu erfinden. Da bekommen auch Architekten noch viel zu tun. Der autonome Mensch im Stahlrohrsessel ist ein Auslaufmodell. Schade, er sah immer so stolz und selbstbewusst aus.
Service:
Die Ausstellung „Leben im Hochhaus – Werkbundausstellung Paris 1930“ ist vom 21.11.2007 bis zum 7.4.2008 im Berliner Bauhaus-Archiv zu sehen.