Möbel aus Blech

Von Oliver Seppelfricke |
„Cité“, ein Kufensessel, „Antony“, ein Stuhl aus Sperrholz oder der Tisch „Trapèze“ – diese aus Stahlblech gebogenen Möbel hat der französische Konstrukteur Jean Prouvé (1901-1984) entworfen. Pate standen dabei Industriemaschinen. Eine Ausstellung über Leben und Werk Prouvés, der zwischen den beiden Weltkriegen sein Werk aufbaute und danach besonders als Lehrer und Ingenieur wirkte, zeigt jetzt das Vitra Design Museum.
„Im Allgemeinen ist der Baubereich rückständig. Es ist eine Tatsache“, so fährt Jean Prouvé seinen Vortrag am Pariser Konservatorium für Kunsthandwerk fort, „dass sich die hochindustrialisierten Gegenstände, egal ob sie fahren, fliegen oder stehen, in einer stetigen Entwicklung befinden. Dass sich ihre Qualität ständig verbessert. Und sogar ihre Preise niedriger werden. Die einzige Industrie, die nicht funktioniert, ist die Bauindustrie.“ Er war ein Mann der klaren Worte. Und ein Querkopf, der sich mit seinen Ansätzen und Ideen bewusst zwischen alle Stühle setzte. Ein Mann, der aussah wie ein General. Und der auch so wirkte. Professor Bruno Reichlin ist Kurator der Schau im Vitra Design Museum:

„Ja, absolut. Er hat etwas sehr Militärisches. Streng in der Haltung. Immer so beherrscht. Man weiß von seiner Führung in der Firma. Er hat viel, große Autorität gehabt. Charisma.“

Als Sohn eines Schmieds 1924 in der Art-Nouveau-Hochburg Nancy geboren, machte Jean Pruové zunächst eine Schmiedelehre. Arbeitete für Emil Gallé, den großen Meister, schuf schmiedeeiserne Gartentore von höchster technischer Raffinesse und gründete dann seine eigene Werkstatt. Bald schon erhielt er wegen seines ausgeprägten Interesses an neuen Lösungen für alte Materialprobleme viele Aufträge aus der Industrie. Glasdecken und Schutzgitter für neue Aufzüge, bewegliche Fassadenteile für moderne Neubauten sollte er herstellen.

Prouvé war ein Techniker genauso wie ein Designer, ein Tüftler und auch ein Erfinder. Mitte der zwanziger Jahre beginnt er, eigene Möbel zu entwerfen. Ganz aus dem Geist seiner Überzeugung heraus, dass man nichts entwerfen solle, was man nicht auch bauen könne. Für Studentenwohnheime entwirft er Tische und Stühle. Die damals mit ihrer strengen und logischen Formsprache auffielen. Und die heute zu den gesuchten Klassikern des Design gehören. Viele der damals preiswerten Möbel für den Langzeitgebrauch sind heute rare Sammlerstücke. Bruno Reichlin:

„Früher waren es Architekten und Konstrukteure, die für Prouvé Interesse hatten. Und jetzt ist der Schritt gekommen, dass kluge Antiquare das anbieten. Und die Ingenieure und die Professsoren bieten die Legitimation. Man hat einen Prouvé zuhause und sitzt auf einem Stück Kulturgeschichte und die Wissenschaft gibt ihren Segen.“

Als er in ein Architekturlexikon aufgenommen werden sollte, weigerte er sich und untersagte den Eintrag. „Ich bin weder ein Architekt noch ein Ingenieur, sondern ein Mensch der Fabrik“, ein „homme d´usine“, wie Prouvé sagte. Und nichts könnte sein Schaffen besser kennzeichnen. Architektur und Design waren für ihn kein genialer Entwurf eines isolierten Individuums in der Denkerklause. Sondern sie entstanden aus der Praxis heraus.

In enger Zusammenarbeit mit den Handwerkern und Arbeitern, die die Möbel herstellten, und in der konkreten Herausforderung durch ein bestimmtes Material. Sein bester Ratgeber, so sagte er einmal, ist der Mann an der Presse. Vor allem mit seinen Blecharbeiten ist Jean Prouvé schon in den fünfziger Jahren berühmt geworden. Bruno Reichlin:

„Es ist die Zeit, wo die Autoindustrie und die Bahnfabrikation unheimlich interessante Gegenstände herausbringen. Metalle. Wenig Gewicht. Stabile Formen. Gute Verarbeitung. Blech ist sehr wenig Material. Alles kommt aus der Form. Stabilität und Kraft. Und nicht aus der Masse. Das muss gerade für einen wie er als Kunstschmied eine Erfahrung gewesen sein. Er weiß, um was es geht.“

Die Schau im Vitra Design Museum versammelt nun zahlreiche Architekturmodelle, Zeichnungen und originale Baumaterialien, die Prouvé verwandte oder sogar neu schuf. Das Neopren im Bau oder der Prototyp eines Obdachlosenhauses gehen auf ihn zurück. Immer war für Prouvé das Material der Ausgangspunkt des Gestaltens:

„Material ist die ganze Technik der Verarbeitung. Was man mit dem Material machen kann. Was es leistet. Welche Gegenstände man machen kann. Das Material hat ihn interessiert. Weil es eine ganze Industrie ist. Weil Material Maschinen bedingt. Maschinen als ein Wissen über Produktionsverfahren. Es ist eine Denkweise.“

„Cité“, ein Kufensessel, „Antony“, ein Stuhl aus Sperrholz oder der Tisch „Trapèze“ – alle diese aus Stahlblech gebogenen Möbel hat Prouvé entworfen. Pate standen dabei Industriemaschinen. Wie ein Stahlrahmen für ein Flugzeug oder das Chassis eines Automobils. Damals standen diese Möbel in Studentenwohnheimen. Heute stehen sie in den Lofts der Kreativen. Den langen Weg eines lange Zeit unterschätzten Querkopfes und Genies kann man nun in Weil am Rhein genauestens nachvollziehen.


Service:
Die Ausstellung „Jean Prouvé. Die Poetik des technischen Objekts“ ist bis zum 28. Januar 2007 im Vitra Design Museum zu sehen.