Moderne Politik, alte Partei

Moderation: Gabi Wuttke |
Der Sprecher der Herrhausen Gesellschaft, Wolfgang Nowak, plädiert für einen Generationswechsel in der Politik. Die heute 40-Jährigen wüssten, dass Deutschland dringend Reformen brauche. Kanzler Schröder wirft er vor, seine Chancen für diese Reformen nicht genutzt zu haben. Schröder sei an seiner eigenen Partei und an den Gewerkschaften gescheitert.
Wuttke: Wie stellt die Generation der heute 40-Jährigen sich Deutschland im Jahr 2025 vor und wie die heute 60-Jährigen? Darüber diskutieren heute und morgen in Weimar die Gäste der Alfred Herrhausen Gesellschaft, die zur Deutschen Bank gehört. "Strategien für die Gesellschaft von morgen" hat man diese Konferenz genannt. Eines der entscheidenden Stichworte, auch für das Radiofeuilleton ist, Generationenwechsel. Wolfgang Nowak ist der Sprecher der Herrhausen Gesellschaft. Guten Morgen, Herr Nowak.

Nowak: Guten Morgen.

Wuttke: Unter welchem Stern steht diese Konferenz, wo doch das rot-grüne Generationenprojekt sich gerade nach nur sechs Jahren von der Zukunft verabschiedet?

Nowak: Eigentlich hatten wir eine solche Aktualität für unsere Konferenz nicht erwartet. Aber nachdem das Jahr 1968 dann am 22. Mai um 18 Uhr 30 von Herrn Müntefering beendet wurde. Die Zeit der 68er ist endgültig, man kann fast sagen, versandet, abgelaufen und es bleibt eine große Leere. Welche Generation kommt dann und welche Generation fährt eigentlich das Projekt Deutschland dann weiter? Denn diejenigen, die am 22. aufgegeben haben, haben offensichtlich kein Konzept, sonst hätten sie nicht aufgegeben.

Wuttke: Worin besteht für Sie die Leere?

Nowak: Die Leere ist eigentlich, dass jetzt keiner sagt, wie Deutschland, und Sie haben es am Anfang angesprochen, in zehn, zwanzig Jahren aussehen soll. Alle sind sich einig, was wir nicht wollen und alle sind sich, glaube ich, auch einig, dass sie Reformen wollen, aber welche Reformen sie auch nicht wollen. Die Gewerkschaften haben schon mit Häuserkampf gedroht, wenn an ihrem Wahrheitsanspruch gerüttelt wird.

Wir sind in einer Ratlosigkeit, wir wissen, dass wir uns die Gegenwart nicht mehr länger leisten können, wir wissen, dass wir die Zukunft durch Schulden verbraucht haben, aber keiner sagt, wie es weitergeht, sondern, wenn man vieles liest und davon hört, sehnt man sich nach der guten alten Zeit.

Und die 40-Jährigen, die jetzt eigentlich in der Industrie, im Rundfunk, in den Medien vor allen Dingen leitende Positionen bekommen haben, wo sind sie in der Politik? Diese Ratlosigkeit einer Politik, bitte erlauben Sie mir, die Ratlosigkeit einer Bevölkerung und Sorge um den Arbeitsplatz, das ist eine brisante Mischung. Anstatt nun zu sagen, was nicht geht, wollen wir in Weimar die junge Generation zusammenbringen, um vielleicht einmal zu sagen, was denn eigentlich in Deutschland geht.

Wuttke: Wenn keiner weiß, wie die Zukunft aussehen kann, was sind die Themenfelder, zwischen denen Sie sich bewegen während dieser beiden Tage in Weimar?

Nowak: Ein Thema ist, das ist ja durch diese wirklich unsägliche Heuschreckendebatte deutlich geworden, wie sieht das Unternehmen der Zukunft aus? Was für Unternehmen werden in Deutschland in 20 Jahren sein oder wie wird Deutschland ein Standort für Unternehmen sein? Im Augenblick versuchen wir alle diejenigen zu verteufeln, die das Angebot der Globalisierung wahrnehmen und bedrohen sie dann mit Ausschluss oder indem wir diese Leute als Ungeziefer bezeichnen.

Die zweite Frage ist, wir haben eine Reihe von sehr jungen Politikern, die Fraktionschefs sind, zum Beispiel in Niedersachsen, in Sachsen, eingeladen und wollen von ihnen einmal wissen, das sind ja die jetzt 30- bis 40-Jährigen, wie erklären sie in 20 Jahren ihren Wählern, warum sie im Jahre 2005 nicht gehandelt haben oder so und so gehandelt haben?

Ich glaube, diese Zukunftsdimension haben wir ausgeblendet und ich glaube auch, dass die Zukunftssicht eines 60-Jährigen, der ich ja bin, etwas anders aussieht, als diejenige eines 40-Jährigen, dem ich einen Haufen Schulden hinterlasse.

Wuttke: Aber meinen Sie denn tatsächlich, man hat die Zukunft nur ausgeblendet? Hat man sie doch aus bestimmten Gründen auch viele Jahre lang, nehmen wir jetzt einfach mal die Zäsur 1989, nicht sehen wollen?

Nowak: Man hat sie nicht sehen wollen, glaube ich. 1989 war den Wenigsten klar, dass die Gewissheiten des Kommunismus, Sozialismus aber auch die Gewissheiten des Kapitalismus nicht mehr tragen, dass man einen neuen Anfang sehen muss. Die Einzigen, die es gemacht haben, waren die englischen Sozialdemokraten. In Deutschland hat man das Gefühl gehabt, das alte Westdeutschland hätte plötzlich gesiegt und man hat auch wieder nichts gemacht. Wir haben uns in Deutschland permanent verspätet und haben die Grenzen geöffnet und glauben immer noch da dran, als könnten wir uns hinter Grenzen abschotten.

Dieses Land ist in keinem guten Zustand und ich glaube, wer auch immer im Herbst gewählt wird, wenn er es nicht hinkriegt, dieses Land zu reformieren mit neuen Gesichtern, mit neuen Ideen und vor allen Dingen es gelingt, die Parteien und Regierung zu öffnen für diejenigen, die ja bereit stehen.

Wenn Sie die ganze Literatur lesen, beispielsweise Christoph Käse oder Gabor Steingart oder der Schirrmacher, das sind ja Leute, die haben sich Gedanken gemacht, nur leider nicht in Parteien. Wir wollen versuchen, dass hier mal etwas zusammenkommt und dass die Parteien nicht die Generation der 40-Jährigen, die wirklich aktiv ist, durch ihr Verhalten aussperren.

Wuttke: Neue Gesichter, neue Wege, das wollte auch Rot-Grün 1998 beschreiten. Sie selbst, Herr Nowak, waren ja an der Zukunft sozusagen 1999 selbst mit beteiligt, Sie waren Mitverfasser des Schröder-Blair-Papiers zur Neuen Mitte. Tony Blair ist gerade wiedergewählt worden, Gerhard Schröder hat Neuwahlen angekündigt. Die Neue Mitte steht, den letzten Umfragen zufolge, überhaupt nicht mehr hinter ihm. Was also sagen Sie, ist in Bezug auf die Neue Mitte in Deutschland falsch gelaufen?

Nowak: Ich halte das Schröder-Blair-Papier für einen Beginn und großen Wurf. Ich stehe dazu, nicht weil es meine Vergangenheit ist, sondern weil ich in dieser modernen Politik eine Öffnung sehe. Schröder hat eine moderne Politik verkündet und hatte eine alte Partei. Es ist nicht gelungen, die SPD daran zu gewöhnen, dass Opposition und Regieren etwas anderes ist und dass man sich auch modernisieren muss. Blair hat mit einer modernisierten Partei die Regierungsverantwortung übernehmen können.

Wuttke: Das heißt, es ist nicht die Ökonomie schuld, sondern die SPD?

Nowak: Ich glaube, es ist immer so leicht zu sagen, die Ökonomie hat Schuld. Eine Regierung hat die Verantwortung für ein Land. Sie kann nicht, wenn sie nicht handelt, die Verantwortung auf andere zuschieben. Die Ökonomie in Deutschland wird nicht von bösen Kapitalisten heimgesucht, sondern die Löhne sind bei uns zu hoch. Nicht weil die Leute zu viel verdienen, sondern weil auf den Löhnen eine hohe Steuer liegt, eine Steuerlast von Abgaben und da brauchen wir tatsächlich neue Leute.

Die 40-Jährigen, die wissen, dass ihre Renten, wie Herr Blüm gesagt hat, eben das Gegenteil von dem sind, nämlich unsicher sind. Ich glaube, dass sie eine andere Art der Vorsorge betreiben, als diejenigen, die denken, weiter so, das ist immer noch am besten, als was Neues zu wagen.

Dass man das nicht will, ich glaube, das Unbehagen der Wähler, das ist in Nordrhein-Westfalen in allen Wahlen deutlich geworden. Das wird die CDU/CSU genauso treffen, wenn sie immer noch glaubt, dass, wenn sie mit Verbänden spricht, dass das die Menschen sind und nicht die Leute, die außerhalb von Verbänden stehen, die keine Lobby haben, denn die wollen Reformen, die sehen ein, es kann so nicht weitergehen.

Wuttke: Lassen Sie uns vielleicht noch einmal auf den Punkt Blair und Schröder, den Unterschied zwischen Großbritannien und Deutschland zu sprechen kommen. Blair war ja offensichtlich, wenn man sich die Situation, auch die wirtschaftliche Situation in Großbritannien ansieht, der politisch Klügere, weil er sich entschieden hat, auf dem Erbe von Maggie Thatcher aufzubauen. Das hat Gerhard Schröder in dem Maße nicht getan. Es gibt jetzt schon Mutmaßungen, dass Angela Merkel und die Union das ernten könnten, was Rot-Grün gesät hat. Sie wiederum sagen, es ist eigentlich gar nichts gesät worden, was aufgehen kann. Wo steht die Union als Wahlsiegerin?

Nowak: Es ist nicht viel gesät worden. Das Hartz-Programm, es ist schon das Tragische an diesem Programm, das Traurige ist, dass es eben nicht ein Schröder-Programm ist, sondern dass man da einen Außenstehenden sucht und ihn benennt. Blair hatte eine reformierte Partei und er hat natürlich die Grausamkeiten der Thatcher Ära hinter sich und konnte als eine Art Thatcher mit menschlichem Antlitz antreten.

Die CDU steht davor, sie muss beides machen, sie muss grundlegende Reformen machen, sie muss in ihre eigenen Erbhöfe eingreifen und sie muss es sozial verträglich gestalten und muss die Menschen überzeugen. Ich glaube, die Menschen wären bereit dazu.

Die Neue Mitte damals hat ja auch Schröder vertraut, sie hat ihm ein zweites Mal vertraut, sie hat sich jetzt abgewandt. Es gibt eben nicht mehr den Stammwähler, den man einfach sozusagen wie Stimmvieh mitziehen kann, sondern es gibt immer mehr beunruhigte Menschen, die feststellen, dass immer mehr nicht stimmt.

Sollte die CDU/CSU sich jetzt auch wieder nach Landtagswahlen richten, nach Erbhöfen richten und was der oder jener sagt und nach Eifersüchteleien gegenüber Frau Merkel, dann haben wir in Deutschland eine Systemkrise. Dann haben wir nicht nur eine Parteienverdrossenheit, sondern wir sehen, es kommt nicht weiter. Dieses, dass es weitergehen muss, das ist die Welle, die im Augenblick Frau Merkel trägt. Das ist die Welle, unter der Herr Schröder begraben ist.

Schröder hatte mit dem Schröder-Blair-Papier eine Chance und im Jahr 2000 waren 15 Staats- und Regierungschefs bei ihm zu einem Gipfel, "Modernes Regieren" hieß das Ganze, wo das Schröder-Blair-Papier sozusagen von vielen Ländern, von Brasilien bis Südafrika in Deutschland sozusagen in einem Manifest abgesegnet worden ist. Er hat diese Chance verfallen lassen.

Die Ideen sind da, es fehlt nur an Leuten, die auch einem Gewerkschaftsführer sagen, wir müssen sie umsetzen, auch wenn es eure Erbhöfe gefährdet. Ich klinge etwas resigniert, das liegt nicht am frühen Morgen, sondern wir wissen seit Jahren, was wir tun müssen, es ist ja nicht so, dass die CDU jetzt alles neu erfinden muss, nur wir haben Politiker, die sich nicht trauen. Das ist das, was einen so nachdenklich stimmt.

Deswegen wollen wir einmal die 40-Jährigen ein bisschen aufstacheln und hoffen, dass sie sich trauen, denn sie sind diejenigen, die dann, wenn sie 60 oder 70 sind, ein Deutschland vorfinden, dass sie sich später nicht wünschen.

Wuttke: Nach all dem, was Sie gesagt haben, möchte ich Sie aber trotzdem fragen, Sie klingen persönlich sehr resigniert als Mitverfasser dieses Papiers. Warum?

Nowak: Weil es eine Chance war. Einer der tragenden Gedanken des Schröder-Blair-Papiers ist, dass man den Menschen befähigen muss, Chancen wahrzunehmen. Es ist den Verfassern des Papiers und auch mir nicht gelungen, den Bundeskanzler und die Sozialdemokratie zu befähigen, diese Chancen wahrzunehmen. Es wird wahrscheinlich dann vieles, was sie im Papier finden, wird von Herrn Köhler in schönen Worten gesagt und findet großen Anklang.

Es ist also nicht so, dass da die Ideen sind, die keiner hören will. Es sind da Ideen drin, die auf taube Ohren stoßen in Gewerkschaften und in der traditionellen SPD, die sich jetzt sozusagen in einem Auflösungsprozess befindet. Resigniert bin ich deswegen, wenn man das Jahr 2000 und 1999 sieht, wir haben sechs Jahre Zeit verloren. Das ist sehr viel in einer Welt, wenn wir nach China blicken, die sich rasant entwickelt.

Wuttke: Warum haben Sie ihn nicht überzeugen können?

Nowak: Wissen Sie, ich bin ein Ein-Mann-Betrieb gewesen. Der Schröder hatte die Idee einfach verloren und auch kein Interesse mehr daran. Es sind viele Gründe, die ich jetzt hier nicht erläutern möchte. Es liegt auch an seinem Umfeld, an der Konstellation im Kanzleramt.

Aber man muss Schröder eins zugute halten: Es war niemand in der Partei, der ihm als Kanzler die Aufgabe abgenommen hat, diese neuen Ideen umzusetzen. Der große Propagator des Dritten Weges, Bodo Hombach, ist gegangen. Der fantastische Wirtschaftsberater Herrn Schröders, Herr Gretschmann, hat resigniert oder ist nach Brüssel, ist ein hochangesehener Generaldirektor dort.

Das heißt, man hat eingesehen, ich war der Letzte, der das dann eingesehen hat, dass dieser Regierung die Kraft gefehlt hat, das zu tun, von dem sie immer geschwärmt hat, die Kraft das Neue zu machen. Man muss hoffen, dass das der neuen Regierung gelingt, diese Kraft zu mobilisieren. Das wird man sehen müssen, manches stimmt optimistisch, aber vieles auch pessimistisch.

Wuttke: Hätte Franz Müntefering die Bühne als Parteivorsitzender frühzeitiger erklimmen sollen?

Nowak: Er hätte sie nie erklimmen dürfen. Die Ankunft Münteferings war die Absage an eine moderne SPD, die die Globalisierung als Chance begreift und die versucht, in Deutschland die Chancen der Globalisierung in Politik umzusetzen. Müntefering war die alte nordrhein-westfälische SPD, die jetzt auch untergegangen ist und zu recht untergegangen ist, bei der es Denkverbote, Beschlusslagen gab und klare Weisungen.

Es reicht halt nicht, dass man aus dem Sauerland kommt und da stolz darauf ist, dass man nichts anderes gesehen hat. Sie können ein Land wie unseres, das sich nicht außerhalb, sondern mitten in der Welt befindet, das können sie nicht mehr regieren, indem sie in die Vergangenheit zurückblicken.

Es war ein Fehler, dass Franz Müntefering Parteiführer geworden ist. Das ist meines Erachtens, das, was dann auch Schröder zum Sturz oder zum Untergang, was auch immer da abgeht, wir erleben ja die dunkle Seite der Ohnmacht gerade in Berlin, zu diesem schrecklichen Schauspiel da gebracht hat.

Natürlich ist man resigniert, wenn man ein Papier geschrieben hat und daran geglaubt hat und es dann einfach ignoriert wird. Dem Land hat es nicht gut getan, England hat es gut getan. Natürlich hat er Fehler gemacht, der Blair, der Irakkrieg. Ich kann es heute noch nicht nachvollziehen, warum, aber er hat das Land voran gebracht. Sie haben viel weniger Arbeitslose, es ist viel mehr Optimismus im Land, die Städte brodeln und wir warten mal wieder ab, wir haben jetzt Neuwahlen.

Informationen zu Wolfgang Nowak:

Wolfgang Nowak ist Leiter der Herrhausen Gesellschaft, Nowak ist ein politischer und kultureller Grenzgänger: er war bis kurz nach der Bundestagswahl 2002 Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeskanzleramt. Als einer der Mitautoren des Schröder Blair Papiers von 1999 prägte er den Begriff der "Neuen Mitte", der am Anfang des rot-.grünen Projekts stand. Nach der Wiedervereinigung beriet Nowak den damaligen sächsischen MP Biedenkopf beim Aufbau eines neuen Schulsystems und wurde Kultusstaatsekreät in Dresden.

Heute eröffnet Nowak in Weimar eine Tagung der Alfred Herrhausen Gesellschaft mit dem programmatischen Titel "Strategien für die Gesellschaft von Morgen"