Moderne Mirakel-Kiste
Mit „Romdeutsch“ hat der Professor für Alte Geschichte, Karl Wilhelm Weeber, ein Buch für alle geschrieben, die Latein in der Schule nicht mochten. Anhand zahlreicher Begriffsbeispiele und Sprichwörter zeigt er, wie präsent die Sprache der Römer im Alltagsdeutsch ist.
In diesem Buch steht nur, was an Latein so großen Spaß macht. In diesem Buch steht nichts von alledem, was vielen in der Schulzeit die Freude verdorben hat.
Dieses Buch ist eine moderne lateinische Mirakel-Kiste. Wer es liest, kann nachher besser deutsch. Und wer es liest und bisher noch kein Latein kann, hat hinterher Lust, Latein zu lernen. Und Mirakel über Mirakel, wer dieses Opus liest, hat allein beim Lesen schon viel Latein gelernt.
Selbst fürs Radio, an dieser Stelle, auf dieser Welle, ist Romdeutsch als Hör- und Verstehenshilfe gut geeignet:
„Echt crass dieser Hokuspokus, den ihr hier im Radiofeuilleton und in Fazit fabriziert!“
In diesem Satz sind alle sinntragenden Worte reinstes, schönstes Latein. Aber nicht alle Worte stammen aus grauester Vorzeit.
Crassus meint fett und voll, voll-fett sozusagen; aus den Einsetzungsworten des Abendmahls im Lateinischen „Hoc est Corpus meus“, „dies ist mein Leib“, wurde verballhornt, wer verstand schon Latein? „Hokuspokus“. Radio kann man mit radiare, sich verbreiten zusammenbringen, radio = ich verbreite mich. Und das Feuilleton kommt über das Französische „feuille"= Blättchen aus dem Lateinischen folium = Blatt zu uns; ein Feuilleton war in Frankreich das den Zeitungen beigelegte Kultur-Blatt.
„Fazit“, die abendliche Kultursendung von Deutschlandradio Kultur heißt übersetzt: „Er/sie/es hat was gemacht“ und kommt vom lateinischen Wort „facere“ – das ist gemacht worden, das war der Tag, sozusagen.
Und „fabriziert“ ist alltagssprachlich fast normal geworden, „fabricare“ heißt also bewerkstelligen, anfertigen. Im Namen des Rundfunks ist „Kultur“ ganz und gar Latein, abgeleitet von „colere“; drei Bedeutungen des Wortes „colere“ stehen Pate auch für die heutige Kultur-Auffassung: bebauen, pflegen, verehren. Kultur ist ein Lebensmittel, ganz geerdet, landwirtschaftlich geradezu, hat mit Bewahrung zu tun und will praktiziert, gepflegt sein und genießt hohe Priorität (prior = der erste).
Aber Karl-Wilhelm Weeber ist nicht der lateinischen Hochkultur verpflichtet, sondern zeigt die deutsche Alltagskultur, die bis in die kleinsten Verästelungen lateinisch geprägt ist.
Keine noch so abgetörnte, prollige Muckibude und keine Location wie ein Solarium kommt ohne Latein aus. Auch das ist Szenesprache, deutsche Szenesprache, dem Lateinischen entlehnt.
Abgetörnt kommt übers Englische turn von tornare, drehen, Drechsler. Bei der Muckibude stehen Muckis, Muskeln, Pate, von musculi, Mäuschen. Denn die Muskelbewegungen unter der Haut erinnern an das Laufen von Mäusen mit der oval-rundlichen Form.
Und keine Location (locus, der Ort) wie ein Solarium(sol, die Sonne) ist Weeber zu prollig (Proletarii waren die Römer, deren Besitz nur aus ihrer proles, Nachkommenschaft, bestand).
Der amüsante, appetitlich häppchenweise aufgemachte Blätter-, Nachschlage und Leseband macht den Eindruck, als sei Latein die lebendigste aller Sprachen überhaupt. „Wieso Cäsar sich auch in der heutigen Finanzwelt zurechtfände“ heißt ein Kapitel, ein anderes: „Vom Alibi zum Corpus Delicti – Kommissar Derricks Latein“.
Buchstäblich lesen und schreiben, legere und scribere, legere heißt lesen und scribere schreiben, unsere Schrift also und die Lektüre verdanken wir den Lateinern.
Wer kein Latein kann, den bestraft das Deutsche, sagt der Autor Karl Wilhelm Weeber. Und damit meint es ja weit mehr, als nur mal eben ein paar lateinische Brocken in unserer Sprache aufzusuchen. Oder deutsche Redewendungen, die in Wirklichkeit lateinische sind. Zum Beispiel hoffe ich jetzt nicht, dass sich Ihnen beim Lesen „die Haare aufstellen“ (obstipui steteruntque comae") oder „die Haare zu Berge stehen“, wie Schiller noch eins draufgesetzt hat, manche wehren sich ja gegen Latein „mit Händen und Füßen“ ("manibus pedibusque"), aber wenn man Weebers „Romdeutsch“ liest, dann versteht man: Jeder ist seines Glückes Schmied ("fabrum esse suae quemque fortunae“.
Ob ein deutsches Wort mit „nd“ oder „nt“ geschrieben wird, Lateiner sind Mehr-Wisser. Der Konfirmand wird mit „nd“ geschrieben, weil er ja ein confirmandus ist, einer der gestärkt werden soll, und ein Proband ist auch ein probandus, einer der erprobt werden soll.
Horrend ist etwas, worüber man sich entsetzen soll und muss. Dasselbe können Sie mit meorandum, Legende, und Agende machen, oder Dividende und Remittende (etwas was zurück geschickt werden soll). Eine Amanda aber schicken wir nicht zurück. Der Name sagt ja, dass sie ein Mädchen oder eine Frau ist, das einfach geliebt werden muss.
Im Gegensatz dazu drücken die Worte auf „nt“ aus, dass hier gerade gehandelt wird, Action pur, reine Handlung, jetzt nämlich, Präsens, Partizip, die Verlaufsform: Ein Agent ist einer, der jetzt und gleich handelt und zupackt, ein Patient wird mit „nt“ geschrieben, weil er ja gerade leidet, nicht etwa leiden soll.
Der Autor, Karl-Wilhelm Weeber, Jahrgang 1950, weiß, wovon er schreibt. Und er weiß, wie man’s macht. Er schreibt nicht nur, er redet auch und lehrt. Weeber ist der Leiter des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums Wuppertal, Professor für Alte Geschichte an der Uni Wuppertal und Lehrbeauftragter für Didaktik der Alten Sprachen an der Uni Bochum.
Und er kennt sich sogar mit dem römischen Nachtleben aus, dem antiken. So einen wünschen sich die Jugendlichen doch. Und wenn man ihn sieht, ist es, als würden wir alle zu Harry Potter. Denn der lateinische Leuchtturm Karl-Wilhelm Weeber hat unverkennbar auf dem Umschlagporträt mit wallendem Haar und mild lächelndem Kennerblick die Züge von Schulleiter Albus Dumbledore ("Albus“ = weiß, hell, leuchtend).
Karl Wilhelm Weeber: Romdeutsch. Warum wir alle lateinisch reden, ohne es zu wissen.
Die andere Bibliothek Bd. 258
Eichborn Verlag, 2006
344 Seiten, 24,90 Euro
Dieses Buch ist eine moderne lateinische Mirakel-Kiste. Wer es liest, kann nachher besser deutsch. Und wer es liest und bisher noch kein Latein kann, hat hinterher Lust, Latein zu lernen. Und Mirakel über Mirakel, wer dieses Opus liest, hat allein beim Lesen schon viel Latein gelernt.
Selbst fürs Radio, an dieser Stelle, auf dieser Welle, ist Romdeutsch als Hör- und Verstehenshilfe gut geeignet:
„Echt crass dieser Hokuspokus, den ihr hier im Radiofeuilleton und in Fazit fabriziert!“
In diesem Satz sind alle sinntragenden Worte reinstes, schönstes Latein. Aber nicht alle Worte stammen aus grauester Vorzeit.
Crassus meint fett und voll, voll-fett sozusagen; aus den Einsetzungsworten des Abendmahls im Lateinischen „Hoc est Corpus meus“, „dies ist mein Leib“, wurde verballhornt, wer verstand schon Latein? „Hokuspokus“. Radio kann man mit radiare, sich verbreiten zusammenbringen, radio = ich verbreite mich. Und das Feuilleton kommt über das Französische „feuille"= Blättchen aus dem Lateinischen folium = Blatt zu uns; ein Feuilleton war in Frankreich das den Zeitungen beigelegte Kultur-Blatt.
„Fazit“, die abendliche Kultursendung von Deutschlandradio Kultur heißt übersetzt: „Er/sie/es hat was gemacht“ und kommt vom lateinischen Wort „facere“ – das ist gemacht worden, das war der Tag, sozusagen.
Und „fabriziert“ ist alltagssprachlich fast normal geworden, „fabricare“ heißt also bewerkstelligen, anfertigen. Im Namen des Rundfunks ist „Kultur“ ganz und gar Latein, abgeleitet von „colere“; drei Bedeutungen des Wortes „colere“ stehen Pate auch für die heutige Kultur-Auffassung: bebauen, pflegen, verehren. Kultur ist ein Lebensmittel, ganz geerdet, landwirtschaftlich geradezu, hat mit Bewahrung zu tun und will praktiziert, gepflegt sein und genießt hohe Priorität (prior = der erste).
Aber Karl-Wilhelm Weeber ist nicht der lateinischen Hochkultur verpflichtet, sondern zeigt die deutsche Alltagskultur, die bis in die kleinsten Verästelungen lateinisch geprägt ist.
Keine noch so abgetörnte, prollige Muckibude und keine Location wie ein Solarium kommt ohne Latein aus. Auch das ist Szenesprache, deutsche Szenesprache, dem Lateinischen entlehnt.
Abgetörnt kommt übers Englische turn von tornare, drehen, Drechsler. Bei der Muckibude stehen Muckis, Muskeln, Pate, von musculi, Mäuschen. Denn die Muskelbewegungen unter der Haut erinnern an das Laufen von Mäusen mit der oval-rundlichen Form.
Und keine Location (locus, der Ort) wie ein Solarium(sol, die Sonne) ist Weeber zu prollig (Proletarii waren die Römer, deren Besitz nur aus ihrer proles, Nachkommenschaft, bestand).
Der amüsante, appetitlich häppchenweise aufgemachte Blätter-, Nachschlage und Leseband macht den Eindruck, als sei Latein die lebendigste aller Sprachen überhaupt. „Wieso Cäsar sich auch in der heutigen Finanzwelt zurechtfände“ heißt ein Kapitel, ein anderes: „Vom Alibi zum Corpus Delicti – Kommissar Derricks Latein“.
Buchstäblich lesen und schreiben, legere und scribere, legere heißt lesen und scribere schreiben, unsere Schrift also und die Lektüre verdanken wir den Lateinern.
Wer kein Latein kann, den bestraft das Deutsche, sagt der Autor Karl Wilhelm Weeber. Und damit meint es ja weit mehr, als nur mal eben ein paar lateinische Brocken in unserer Sprache aufzusuchen. Oder deutsche Redewendungen, die in Wirklichkeit lateinische sind. Zum Beispiel hoffe ich jetzt nicht, dass sich Ihnen beim Lesen „die Haare aufstellen“ (obstipui steteruntque comae") oder „die Haare zu Berge stehen“, wie Schiller noch eins draufgesetzt hat, manche wehren sich ja gegen Latein „mit Händen und Füßen“ ("manibus pedibusque"), aber wenn man Weebers „Romdeutsch“ liest, dann versteht man: Jeder ist seines Glückes Schmied ("fabrum esse suae quemque fortunae“.
Ob ein deutsches Wort mit „nd“ oder „nt“ geschrieben wird, Lateiner sind Mehr-Wisser. Der Konfirmand wird mit „nd“ geschrieben, weil er ja ein confirmandus ist, einer der gestärkt werden soll, und ein Proband ist auch ein probandus, einer der erprobt werden soll.
Horrend ist etwas, worüber man sich entsetzen soll und muss. Dasselbe können Sie mit meorandum, Legende, und Agende machen, oder Dividende und Remittende (etwas was zurück geschickt werden soll). Eine Amanda aber schicken wir nicht zurück. Der Name sagt ja, dass sie ein Mädchen oder eine Frau ist, das einfach geliebt werden muss.
Im Gegensatz dazu drücken die Worte auf „nt“ aus, dass hier gerade gehandelt wird, Action pur, reine Handlung, jetzt nämlich, Präsens, Partizip, die Verlaufsform: Ein Agent ist einer, der jetzt und gleich handelt und zupackt, ein Patient wird mit „nt“ geschrieben, weil er ja gerade leidet, nicht etwa leiden soll.
Der Autor, Karl-Wilhelm Weeber, Jahrgang 1950, weiß, wovon er schreibt. Und er weiß, wie man’s macht. Er schreibt nicht nur, er redet auch und lehrt. Weeber ist der Leiter des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums Wuppertal, Professor für Alte Geschichte an der Uni Wuppertal und Lehrbeauftragter für Didaktik der Alten Sprachen an der Uni Bochum.
Und er kennt sich sogar mit dem römischen Nachtleben aus, dem antiken. So einen wünschen sich die Jugendlichen doch. Und wenn man ihn sieht, ist es, als würden wir alle zu Harry Potter. Denn der lateinische Leuchtturm Karl-Wilhelm Weeber hat unverkennbar auf dem Umschlagporträt mit wallendem Haar und mild lächelndem Kennerblick die Züge von Schulleiter Albus Dumbledore ("Albus“ = weiß, hell, leuchtend).
Karl Wilhelm Weeber: Romdeutsch. Warum wir alle lateinisch reden, ohne es zu wissen.
Die andere Bibliothek Bd. 258
Eichborn Verlag, 2006
344 Seiten, 24,90 Euro