Moderne Märchen
Moderation: Holger Hettinger · 07.08.2007
Die sogenannten People-Magazine im Hochglanz-Format boomen. Sie berichten über Stars und Königshäuser, erzählen vom Glück und Unglück der Prominenten-Welt. Doch wer macht eigentlich die Stars? Sie sich selbst oder die Hochglanz-Magazine? Über die Rolle der aufstrebenden People-Magazine und die Darstellung von Prominenten – die Journalistin Klaudia Wick im Interview.
Holger Hettinger: Den Zeitschriften in Deutschland geht es schlecht. In die Klammer genommen von Internet-Angeboten und einem gesättigten Markt verlieren sie stetig an Auflage. Zweieinhalb Prozent allein im vergangenen Jahr. Es gibt nur eine Sorte Zeitschriften, die so richtig boomt, das sind die People-Magazine. Zeitschriften wie "Bunte", "Gala", "InTouch". Da findet man dann zum Beispiel – um den Titel der aktuellen "Gala" heranzuziehen – die heißesten Bikini-Bodys, Angelina Jolie und Brad Pitt, kommen sie in Berlin endlich zur Ruhe. Oder zum Beispiel Orlando Bloom von wegen Flucht in der Karibik fand der Hollywoodstar seine große Liebe. Wen interessiert das und warum interessiert das die Leute? Denn die Verkaufszahlen sprechen ja eine eindeutige Sprache. Das ist unser Thema nun mit der Journalistin Klaudia Wick. Sie war Chefredakteurin der "TAZ" und sie berichtet seit Jahren über die Berichterstattung der Prominentenszene vorwiegend im Fernsehen. Jetzt ist sie im Studio von Deutschlandradio Kultur. Hallo Frau Wick, ich grüße Sie.
Klaudia Wick: Hallo.
Holger Hettinger: Frau Wick, diese Zeitschriften "Gala", "InTouch" und "Bunte" werden vorwiegend von Frauen gekauft. Heißt das, dass Frauen besonders oberflächlich sind?
Wick: Nein, das heißt, dass Frauen sich besonders dafür interessieren, was andere Leute tun, weil sie vor allem auch dadurch lernen, gerne soziale Kompetenz lernen wollen, weil sie sich von anderen abgucken, wie die das denn machen. Das ist, glaube ich, etwas, was uns Frauen ein bisschen eigen ist. Und dann sind wir neugierig und schauen mal über den Tellerrand hinaus, wie es in anderen Küchen so aussieht.
Hettinger: Ist denn das alles so nachahmenswert, wenn Victoria Beckham auf eine Tausende von Dollar teure Einkaufstour geht, wenn irgendwelche Prominenten betrunken mit dem Auto herumfahren?
Wick: Ja, die Frage ist ja, wenn ich so eine wahnsinnig teure Einkaufstour machen kann, also wenn ich reich bin, bin ich dann zum Beispiel automatisch glücklicher?, Oder ist es nicht auch ganz schön zu wissen, dass ich glücklich bin, Victoria Beckham aber vielleicht magersüchtig? Also das, was darin verhandelt wird, sind eigentlich immer so archetypische Konstruktionen. Die Frage ist, ist der Reiche glücklich oder ist der Kinderreiche besonders glücklich? Muss man besonders bekannt sein, um glücklich zu sein? Um solche Fragen geht es immer.
Hettinger: Also es ist jetzt weniger ein Sehnsuchtsgenerator, ich will so sein wie die, sondern eher so eine Art persönliche Rückversicherung, die anderen haben mehr Geld, mehr Glamour in ihrem Leben, aber eigentlich geht’s mir doch ganz gut in meinen vier Wänden.
Wick: Ja, also das Ganze spielt sich ja übrigens nicht nur im Print ab, sondern auch im Fernsehen. Das läuft immer weiter aufeinander zu. Diese modernen People-Magazine sind ja auch mehr Fotos als Text. Und zum Beispiel heute Abend gibt es Gülcans Hochzeit, wo eben genau das Gleiche passiert. Ich kann mir angucken, ob die eine schönere Hochzeit hat als ich, ob der Bäckermillionär eigentlich ein besserer Typ ist als meiner, und kann hinterher feststellen, vielleicht ist das alles bei mir ganz hübsch, und dann kann ich ganz beruhigt ins Bett gehen. Und so kann ich das auch beim Friseur durchblättern oder beim Arzt. Diese Magazine werden ja auch bei der Lufthansa im Bordservice verteilt, und da nimmt man sich gleich drei davon und blättert sie durch. Das hat ja mit Lesen und mit Durchdringen gar nicht so viel zu tun.
Hettinger: Gülcans Hochzeit haben Sie erwähnt, ein Format, das auf den hinteren Positionen der Fernbedienung verhandelt wird, den genauen Kanal habe ich nicht im Kopf. Das ist die Geschichte…
Wick: Das ist Pro7.
Hettinger: Pro7 …einer Viva-Moderatorin oder Moderatorin eines Musikkanals, relativ quietschig, relativ laut, mit dem Hang und Bekenntnis zum Kitsch, und die heiratet den Sohn der Kamps-Kette, dieser Bäckereikette. Die haben einen Wedding-Planner engagiert.
Wick: Sie konnten jetzt … Sieben Wochen lang konnten Sie dabei zugucken, wie die ihre Hochzeit planen. Und heute Abend – wir wollen jetzt nicht zu viel Werbung machen –, aber heute Abend um 20 Uhr 15 werden die live bei Pro7 heiraten. Zwei Stunden 25 wird die Hochzeit dauern, das weiß man alles schon, weil es eben Fernsehen ist.
Hettinger: Ist das ein modernes Märchen, ist das Goldmarie und Pechmarie ins Heute übertragen?
Wick: Genau. Und man kann drauf wetten, dass nächste Woche in den People-Magazinen diese ganze Hochzeit noch mal verhandelt wird. Also es gibt ja auch so einen Medienverbund, in dem dieser ein bestimmtes Personal – früher waren das mal die Adligen –, also ich will auch gerne gestehen, als Frau war ich eben auch als junges Mädchen dafür empfänglich, da habe ich Caroline von Monaco verfolgt, wie die erwachsen wurde, ihren ersten Mann geheiratet hat, unglücklich war, trauernde Witwe war, jetzt diesen Prügelprinzen hat. Und es begleitet einen so ein bisschen durchs Leben. Es hat natürlich mit meinem Leben eigentlich gar nichts zu tun. Und so gibt es jetzt eben auch Gülcan. Und da wird es auch wieder junge Frauen geben und auch ein paar junge Männer vielleicht, die sich angucken, wie der Kamps-Sohn da mit seinen Autos umspringt.
Hettinger: Das Märchen von Gülcans Traumhochzeit als modernes Märchen, eigentlich so ja Grimms Märchen übersetzt in die Gegenwart – welche Themen werden denn gespielt auf diesem Boulevard?
Wick: Es geht um die großen Fragen des Lebens natürlich. Wir können auch gerne zurückkommen zu den Printprodukten, da findet das ja ganz genauso statt. Also ob Sie jetzt die Schlagzeilen sehen auch der Boulevardpresse, ob jetzt Brad Pitt da hinzieht nach Berlin oder nicht. Und gestern ging es um die Frage, woher wohl die Tochter von Tom Cruise, der im Moment in Berlin dreht, jetzt eigentlich diese Karomuster hat. Also da wird so eine Welt aufgebaut, in der man irgendwie das Gefühl hat, die würden sich die ganze Zeit um so kleine banale Details unterhalten, obwohl sie doch so groß und wichtig sind. Also die Frage, was ist eigentlich wichtig im Leben, wer sind die ewigen Verlierer, die es dann doch nie schaffen, ein Kind zu bekommen, ein Glück zu bekommen, der ewig Unglückliche, unglücklich Verliebte. Die Frage auch von sozialem Abstieg und Absturz. All solche Sachen werden da verhandelt. Das sind so die großen Fragen des Lebens.
Hettinger: Und die Personen klagen ja oft dagegen, fühlen sich einseitig wahrgenommen, fühlen sich reduziert. Ist das so ein bisschen das Prinzip dieser People Press, dass man eine bestimmte Figur als Stellvertreter hat für eine bestimmte Lebenssituation, für eine bestimmte Charaktereigenschaft?
Wick: Ja, das Interessante ist ja, dass am Anfang, wenn sie bekannt und berühmt werden wollen, dann rufen sie bei den People-Magazinen an und sagen, wollen wir nicht mal eine Homestory vereinbaren, und sie geben ihr Image selber vor.
Hettinger: Homestory heißt, ich mache jetzt meine Wohnzimmertür auf und du darfst rein und darfst stöbern und dann zeig mich mal schön in meinen vier Wänden.
Wick: Genau. Wer ganz clever ist, nimmt gar nicht seine eigene Wohnung, sondern die Wohnung von irgendeiner Agentin. Aber da gibt’s viele Spielereien und viele Tricks dabei. Aber jedenfalls am Anfang wollen sie ein Image setzen, damit sie überhaupt bekannt werden können und verkaufen sich zum Beispiel als der coole Typ. Und irgendwann nervt das dann aber, und dann haben sie sich vielleicht auch selber verändert, und dann wollen sie dieses etwas enge Image natürlich wieder loswerden und wollen wahrgenommen werden als der, der sie eigentlich sind, machen die Tür zu und sagen, ich will gar keine … diese Paparazzis, die rennen immer hinter mir her. Und in diesem Kreislauf, in diesem Spiel haben eigentlich alle was davon, also alle drei.
Hettinger: Die Prominenten sind letztlich das Opfer ihrer eigenen Selbstreduktion?
Wick: Ja, sie müssen das machen, damit sie bekannt werden, weil wer nicht gedruckt wird, wer im "Stern" auf der letzten Seite landet, "Was macht eigentlich …", der hat schon komplett verloren, der ist der Loser. Aber Sie müssen eben mit dieser Ware auch umgehen. Das ist wie an der Börse: Sie können so eine Aktie hochjazzen, Sie können die aber auch dann Abstürzen lassen. Und da sind viele Leute dran beteiligt und die Leser eben auch. Die Leser machen mit ihrer Aufmerksamkeit die Ware. Und so haben eigentlich alle drei Beteiligten was davon. Und immer mal fällt einer runter von dem Rad, der es zu weit getrieben hat und der dann – was ja auch natürlich sehr traurig ist – dann noch in seiner Prominenz darüber depressiv wird oder alkoholabhängig oder irgendwie daran verzweifelt.
Hettinger: Die Rollen scheinen ja immer klar verteilt. Es kann jetzt sein, dass ich in meinem kulturhistorischen Überschwang jetzt völligen Blödsinn erzähle, korrigieren Sie mich dann bitte, aber im Mittelalter gab’s ja ganz, ganz klar zugeordnete Rollen. Also wenn ich jemanden gesehen habe, der trinkend auf einem Fuchs reitet, der eine Gans im Maul hat, dann wusste ich, aha, das ist Gula, die Völlerei, die Todsünde, das war einheitlich in ganz Europa, in jedem Kirchenfenster konnte man das bestaunen. Sind diese Prominenten die modernen Ikonen?
Wick: Mir fällt jetzt zum Beispiel sofort Liz Taylor dazu ein, also die Völlerei. Liz Taylor war aber auch mal die Schöne. Also das ist da vielleicht der Unterschied zu diesen Archetypen und zu diesen Ikonen, dass die etwas Starres hatten und dass wir heute die Prominenten immer wieder neu damit verbinden können, weil wir sie unter Umständen auch ein ganzes Leben lang verfolgen und weil sie sich dann darin auch ändern können. Aber Richard Burton und Liz Taylor waren auch mal dieses Paar, das sich immer zerstritten hat und wieder zusammengekommen ist. Also da gibt es auch die Unschuld oder eben nicht mehr die Unschuld und die Frage, wer hat an so was Schuld. Also es gibt schon ein Spiel damit, aber wir befinden uns ja in der Postmoderne, es ist alles eben nicht mehr wie im Mittelalter. Jeder kann eigentlich alles sein. Das ist ja auch die Botschaft dieser modernen Helden. Als Könige mussten sie ja noch von Blauem Blute sein, heute können sie schon bei "Deutschland sucht den Superstar" bekannt werden und danach für eine gewisse Zeit lang der Star des Jahres sein. Dann aber auch eben wieder nicht. Also da hat sich sicher etwas … Das ist mehr so ein buntes Kesseltreiben jetzt und nicht mehr so klar geordnet wie damals.
Hettinger: Also diese Durchlässigkeit wird dann aber auch stark befördert von diesen Hochglanzmagazinen. Inwieweit machen diese Magazine die Stars, weil nur berichten tun sie ja nicht?
Wick: Also das ist die große Frage, die wir uns alle immer wieder stellen – wer macht eigentlich die Stars? Ich glaube, ohne einen Anfangserfolg kann niemand niemanden machen. Aber danach gibt es eine Maschinerie, die jemanden sehr groß machen kann und auch wieder fallen lassen kann. Das hat aber auch alles Grenzen, also auch die "Bunte" kann keinen Star machen, obwohl es ja das erfolgreichste Magazin überhaupt ist. Es kann auch niemanden ganz fallen lassen, weil es zu viel Konkurrenz gibt. Aber es ist schon so, dass sehr viel jetzt nicht mehr Sein, sondern nur noch Schein ist.
Hettinger: Was verrät dieser ganze Prominentenzirkus über so etwas wie eine Wertedebatte in unserer Gesellschaft? Solche Dinge wie Neid, Missgunst, Bewunderung, das sind ja auch Muster, die dahinter liegen.
Wick: Ich glaube, es sagt vor allem was über unsere Phantasie von dieser Durchlässigkeit, dass wir ständig in diesen People-Magazinen das Gefühl bekommen, einerseits könnten wir morgen da auch stehen, weil neben Brad Pitt, der der unerreichbare tolle, super sexy aussehende Hollywoodstar ist, steht ja womöglich jemand, den wir gerade per Voting aus irgendeiner Fernsehshow da überhaupt hingebracht haben. Also Durchlässigkeit ist das eine. Ich kann alles, alle können alles. Und auf der anderen Seite dann doch die große Unerreichbarkeit, dass das eigene Leben komplett anders ist als das, was da oben stattfindet. Und dass das jetzt beides sich so überlagert und sich widerspricht und trotzdem beides wahr ist emotional, das, glaube ich, markiert unsere Zeit.
Hettinger: Welche Rolle spielt das Internet in diesem Kontext?
Wick: Der große Beschleuniger wie in vielen anderen Bereichen auch. Sie können also heute alles noch viel schneller, noch viel größer und vor allem noch viel verbotener sehen. Es gibt ja inzwischen eine Reihe von Verabredungen zwischen der People Press und den Prominenten. Durch das Carolinen-Urteil hat es da auch einige rechtliche Rahmenbedingungen gegeben. Aber Sie können natürlich mit dem Handy jemanden fotografieren und bei YouTube einstellen und dann geht das um die Welt. Und das kann niemand mehr verhindern.
Hettinger: Vielen Dank, Klaudia Wick, die Medienexpertin war lange Chefredakteurin der "TAZ". Sie beobachtet seit Jahren die Berichterstattung über die Prominentenszene. Die Darstellung der Prominenten in den Zeitschriften und der Boom der People-Magazine, das war unser Thema.
Klaudia Wick: Hallo.
Holger Hettinger: Frau Wick, diese Zeitschriften "Gala", "InTouch" und "Bunte" werden vorwiegend von Frauen gekauft. Heißt das, dass Frauen besonders oberflächlich sind?
Wick: Nein, das heißt, dass Frauen sich besonders dafür interessieren, was andere Leute tun, weil sie vor allem auch dadurch lernen, gerne soziale Kompetenz lernen wollen, weil sie sich von anderen abgucken, wie die das denn machen. Das ist, glaube ich, etwas, was uns Frauen ein bisschen eigen ist. Und dann sind wir neugierig und schauen mal über den Tellerrand hinaus, wie es in anderen Küchen so aussieht.
Hettinger: Ist denn das alles so nachahmenswert, wenn Victoria Beckham auf eine Tausende von Dollar teure Einkaufstour geht, wenn irgendwelche Prominenten betrunken mit dem Auto herumfahren?
Wick: Ja, die Frage ist ja, wenn ich so eine wahnsinnig teure Einkaufstour machen kann, also wenn ich reich bin, bin ich dann zum Beispiel automatisch glücklicher?, Oder ist es nicht auch ganz schön zu wissen, dass ich glücklich bin, Victoria Beckham aber vielleicht magersüchtig? Also das, was darin verhandelt wird, sind eigentlich immer so archetypische Konstruktionen. Die Frage ist, ist der Reiche glücklich oder ist der Kinderreiche besonders glücklich? Muss man besonders bekannt sein, um glücklich zu sein? Um solche Fragen geht es immer.
Hettinger: Also es ist jetzt weniger ein Sehnsuchtsgenerator, ich will so sein wie die, sondern eher so eine Art persönliche Rückversicherung, die anderen haben mehr Geld, mehr Glamour in ihrem Leben, aber eigentlich geht’s mir doch ganz gut in meinen vier Wänden.
Wick: Ja, also das Ganze spielt sich ja übrigens nicht nur im Print ab, sondern auch im Fernsehen. Das läuft immer weiter aufeinander zu. Diese modernen People-Magazine sind ja auch mehr Fotos als Text. Und zum Beispiel heute Abend gibt es Gülcans Hochzeit, wo eben genau das Gleiche passiert. Ich kann mir angucken, ob die eine schönere Hochzeit hat als ich, ob der Bäckermillionär eigentlich ein besserer Typ ist als meiner, und kann hinterher feststellen, vielleicht ist das alles bei mir ganz hübsch, und dann kann ich ganz beruhigt ins Bett gehen. Und so kann ich das auch beim Friseur durchblättern oder beim Arzt. Diese Magazine werden ja auch bei der Lufthansa im Bordservice verteilt, und da nimmt man sich gleich drei davon und blättert sie durch. Das hat ja mit Lesen und mit Durchdringen gar nicht so viel zu tun.
Hettinger: Gülcans Hochzeit haben Sie erwähnt, ein Format, das auf den hinteren Positionen der Fernbedienung verhandelt wird, den genauen Kanal habe ich nicht im Kopf. Das ist die Geschichte…
Wick: Das ist Pro7.
Hettinger: Pro7 …einer Viva-Moderatorin oder Moderatorin eines Musikkanals, relativ quietschig, relativ laut, mit dem Hang und Bekenntnis zum Kitsch, und die heiratet den Sohn der Kamps-Kette, dieser Bäckereikette. Die haben einen Wedding-Planner engagiert.
Wick: Sie konnten jetzt … Sieben Wochen lang konnten Sie dabei zugucken, wie die ihre Hochzeit planen. Und heute Abend – wir wollen jetzt nicht zu viel Werbung machen –, aber heute Abend um 20 Uhr 15 werden die live bei Pro7 heiraten. Zwei Stunden 25 wird die Hochzeit dauern, das weiß man alles schon, weil es eben Fernsehen ist.
Hettinger: Ist das ein modernes Märchen, ist das Goldmarie und Pechmarie ins Heute übertragen?
Wick: Genau. Und man kann drauf wetten, dass nächste Woche in den People-Magazinen diese ganze Hochzeit noch mal verhandelt wird. Also es gibt ja auch so einen Medienverbund, in dem dieser ein bestimmtes Personal – früher waren das mal die Adligen –, also ich will auch gerne gestehen, als Frau war ich eben auch als junges Mädchen dafür empfänglich, da habe ich Caroline von Monaco verfolgt, wie die erwachsen wurde, ihren ersten Mann geheiratet hat, unglücklich war, trauernde Witwe war, jetzt diesen Prügelprinzen hat. Und es begleitet einen so ein bisschen durchs Leben. Es hat natürlich mit meinem Leben eigentlich gar nichts zu tun. Und so gibt es jetzt eben auch Gülcan. Und da wird es auch wieder junge Frauen geben und auch ein paar junge Männer vielleicht, die sich angucken, wie der Kamps-Sohn da mit seinen Autos umspringt.
Hettinger: Das Märchen von Gülcans Traumhochzeit als modernes Märchen, eigentlich so ja Grimms Märchen übersetzt in die Gegenwart – welche Themen werden denn gespielt auf diesem Boulevard?
Wick: Es geht um die großen Fragen des Lebens natürlich. Wir können auch gerne zurückkommen zu den Printprodukten, da findet das ja ganz genauso statt. Also ob Sie jetzt die Schlagzeilen sehen auch der Boulevardpresse, ob jetzt Brad Pitt da hinzieht nach Berlin oder nicht. Und gestern ging es um die Frage, woher wohl die Tochter von Tom Cruise, der im Moment in Berlin dreht, jetzt eigentlich diese Karomuster hat. Also da wird so eine Welt aufgebaut, in der man irgendwie das Gefühl hat, die würden sich die ganze Zeit um so kleine banale Details unterhalten, obwohl sie doch so groß und wichtig sind. Also die Frage, was ist eigentlich wichtig im Leben, wer sind die ewigen Verlierer, die es dann doch nie schaffen, ein Kind zu bekommen, ein Glück zu bekommen, der ewig Unglückliche, unglücklich Verliebte. Die Frage auch von sozialem Abstieg und Absturz. All solche Sachen werden da verhandelt. Das sind so die großen Fragen des Lebens.
Hettinger: Und die Personen klagen ja oft dagegen, fühlen sich einseitig wahrgenommen, fühlen sich reduziert. Ist das so ein bisschen das Prinzip dieser People Press, dass man eine bestimmte Figur als Stellvertreter hat für eine bestimmte Lebenssituation, für eine bestimmte Charaktereigenschaft?
Wick: Ja, das Interessante ist ja, dass am Anfang, wenn sie bekannt und berühmt werden wollen, dann rufen sie bei den People-Magazinen an und sagen, wollen wir nicht mal eine Homestory vereinbaren, und sie geben ihr Image selber vor.
Hettinger: Homestory heißt, ich mache jetzt meine Wohnzimmertür auf und du darfst rein und darfst stöbern und dann zeig mich mal schön in meinen vier Wänden.
Wick: Genau. Wer ganz clever ist, nimmt gar nicht seine eigene Wohnung, sondern die Wohnung von irgendeiner Agentin. Aber da gibt’s viele Spielereien und viele Tricks dabei. Aber jedenfalls am Anfang wollen sie ein Image setzen, damit sie überhaupt bekannt werden können und verkaufen sich zum Beispiel als der coole Typ. Und irgendwann nervt das dann aber, und dann haben sie sich vielleicht auch selber verändert, und dann wollen sie dieses etwas enge Image natürlich wieder loswerden und wollen wahrgenommen werden als der, der sie eigentlich sind, machen die Tür zu und sagen, ich will gar keine … diese Paparazzis, die rennen immer hinter mir her. Und in diesem Kreislauf, in diesem Spiel haben eigentlich alle was davon, also alle drei.
Hettinger: Die Prominenten sind letztlich das Opfer ihrer eigenen Selbstreduktion?
Wick: Ja, sie müssen das machen, damit sie bekannt werden, weil wer nicht gedruckt wird, wer im "Stern" auf der letzten Seite landet, "Was macht eigentlich …", der hat schon komplett verloren, der ist der Loser. Aber Sie müssen eben mit dieser Ware auch umgehen. Das ist wie an der Börse: Sie können so eine Aktie hochjazzen, Sie können die aber auch dann Abstürzen lassen. Und da sind viele Leute dran beteiligt und die Leser eben auch. Die Leser machen mit ihrer Aufmerksamkeit die Ware. Und so haben eigentlich alle drei Beteiligten was davon. Und immer mal fällt einer runter von dem Rad, der es zu weit getrieben hat und der dann – was ja auch natürlich sehr traurig ist – dann noch in seiner Prominenz darüber depressiv wird oder alkoholabhängig oder irgendwie daran verzweifelt.
Hettinger: Die Rollen scheinen ja immer klar verteilt. Es kann jetzt sein, dass ich in meinem kulturhistorischen Überschwang jetzt völligen Blödsinn erzähle, korrigieren Sie mich dann bitte, aber im Mittelalter gab’s ja ganz, ganz klar zugeordnete Rollen. Also wenn ich jemanden gesehen habe, der trinkend auf einem Fuchs reitet, der eine Gans im Maul hat, dann wusste ich, aha, das ist Gula, die Völlerei, die Todsünde, das war einheitlich in ganz Europa, in jedem Kirchenfenster konnte man das bestaunen. Sind diese Prominenten die modernen Ikonen?
Wick: Mir fällt jetzt zum Beispiel sofort Liz Taylor dazu ein, also die Völlerei. Liz Taylor war aber auch mal die Schöne. Also das ist da vielleicht der Unterschied zu diesen Archetypen und zu diesen Ikonen, dass die etwas Starres hatten und dass wir heute die Prominenten immer wieder neu damit verbinden können, weil wir sie unter Umständen auch ein ganzes Leben lang verfolgen und weil sie sich dann darin auch ändern können. Aber Richard Burton und Liz Taylor waren auch mal dieses Paar, das sich immer zerstritten hat und wieder zusammengekommen ist. Also da gibt es auch die Unschuld oder eben nicht mehr die Unschuld und die Frage, wer hat an so was Schuld. Also es gibt schon ein Spiel damit, aber wir befinden uns ja in der Postmoderne, es ist alles eben nicht mehr wie im Mittelalter. Jeder kann eigentlich alles sein. Das ist ja auch die Botschaft dieser modernen Helden. Als Könige mussten sie ja noch von Blauem Blute sein, heute können sie schon bei "Deutschland sucht den Superstar" bekannt werden und danach für eine gewisse Zeit lang der Star des Jahres sein. Dann aber auch eben wieder nicht. Also da hat sich sicher etwas … Das ist mehr so ein buntes Kesseltreiben jetzt und nicht mehr so klar geordnet wie damals.
Hettinger: Also diese Durchlässigkeit wird dann aber auch stark befördert von diesen Hochglanzmagazinen. Inwieweit machen diese Magazine die Stars, weil nur berichten tun sie ja nicht?
Wick: Also das ist die große Frage, die wir uns alle immer wieder stellen – wer macht eigentlich die Stars? Ich glaube, ohne einen Anfangserfolg kann niemand niemanden machen. Aber danach gibt es eine Maschinerie, die jemanden sehr groß machen kann und auch wieder fallen lassen kann. Das hat aber auch alles Grenzen, also auch die "Bunte" kann keinen Star machen, obwohl es ja das erfolgreichste Magazin überhaupt ist. Es kann auch niemanden ganz fallen lassen, weil es zu viel Konkurrenz gibt. Aber es ist schon so, dass sehr viel jetzt nicht mehr Sein, sondern nur noch Schein ist.
Hettinger: Was verrät dieser ganze Prominentenzirkus über so etwas wie eine Wertedebatte in unserer Gesellschaft? Solche Dinge wie Neid, Missgunst, Bewunderung, das sind ja auch Muster, die dahinter liegen.
Wick: Ich glaube, es sagt vor allem was über unsere Phantasie von dieser Durchlässigkeit, dass wir ständig in diesen People-Magazinen das Gefühl bekommen, einerseits könnten wir morgen da auch stehen, weil neben Brad Pitt, der der unerreichbare tolle, super sexy aussehende Hollywoodstar ist, steht ja womöglich jemand, den wir gerade per Voting aus irgendeiner Fernsehshow da überhaupt hingebracht haben. Also Durchlässigkeit ist das eine. Ich kann alles, alle können alles. Und auf der anderen Seite dann doch die große Unerreichbarkeit, dass das eigene Leben komplett anders ist als das, was da oben stattfindet. Und dass das jetzt beides sich so überlagert und sich widerspricht und trotzdem beides wahr ist emotional, das, glaube ich, markiert unsere Zeit.
Hettinger: Welche Rolle spielt das Internet in diesem Kontext?
Wick: Der große Beschleuniger wie in vielen anderen Bereichen auch. Sie können also heute alles noch viel schneller, noch viel größer und vor allem noch viel verbotener sehen. Es gibt ja inzwischen eine Reihe von Verabredungen zwischen der People Press und den Prominenten. Durch das Carolinen-Urteil hat es da auch einige rechtliche Rahmenbedingungen gegeben. Aber Sie können natürlich mit dem Handy jemanden fotografieren und bei YouTube einstellen und dann geht das um die Welt. Und das kann niemand mehr verhindern.
Hettinger: Vielen Dank, Klaudia Wick, die Medienexpertin war lange Chefredakteurin der "TAZ". Sie beobachtet seit Jahren die Berichterstattung über die Prominentenszene. Die Darstellung der Prominenten in den Zeitschriften und der Boom der People-Magazine, das war unser Thema.