Moderne Integration auf den Spuren Abrahams

Von Bettina von Clausewitz |
Einmal im Jahr findet die Stadt Marl bundesweit Beachtung, wenn dort am nördlichen Rand des Ruhrgebiets die renommierten Grimme-Fernsehpreise verliehen werden. Weitaus weniger spektakulär kommt ein anderes Marler Projekt daher, das nicht auf große Effekte zielt, sondern auf nachhaltige Veränderung im Alltagsleben: Das interreligiöse Abrahamsfest, das Christen, Juden und Moslems in einem zweimonatigen Veranstaltungszyklus zusammenbringt.
„Die Kulturkreise können auch ein bisschen voneinander lernen und sich kennen lernen, ist ne Supersache! – ja, find ich auch, ist voll wichtig, ja.“
„Dat is immer so, dat zersplittert sich am Ende immer so: Der eine hängt da ab und der andere da, und der möchte mit dem anderen nix zu tun haben. Da ist das schön, dass man sich dann auch zusammen treffen kann, reden, Bierchen trinken kann und einen tollen Abend hat. Gleich geht’s weiter zum Stern und danach noch Marl-Hamm, dat wird noch richtig Bombe!“

„Jugendkarawane“ heißt das neue Programm am Freitagabend, zu dem Brian, Mario und Matthias sich heute mit ihren Cliquen getroffen haben. Erste Station ist das städtische Jugendzentrum HOT Hagenbusch in Marl, wo im Hof unter den alten Buchen Tische mit Brötchen, Chips und Gummibärchen aufgebaut sind, nachher geht es weiter zu verschiedenen Szenetreffs, wo die Jugendlichen auch sonst abends zusammensitzen. Aber heute ist alles anders. Denn die Jugendkarawane ist ein Experiment des interreligiösen „Abrahamsfestes“ in Marl, das gezielt einen Brückenschlag zwischen Christen, Juden und Moslems schaffen will. Und das kommt an:

„Ich bin selber unreligiös, komplett, aber ich find’s gut, dass so was gemacht wird, kann nur förderlich sein.“
„Ich find das auf jeden Fall sinnvoll, weil sich die ganzen Religionen untereinander ja immer bekriegt haben und das immer noch tun. Und ich find, es ist kein Grund einen Krieg anzuzetteln oder Attentate oder sonstigen Mist zu machen, nur wegen Glaubensrichtungen. Deshalb finde ich das eine sehr gute Idee, das zusammen zu schließen.“
... und Begegnungen zu organisieren, die sonst eher selten stattfinden. Dazu ist an Schulen, in Gemeinden und Jugendzentren geworben worden. Und auch etliche Erwachsene sind bei der Karawane dabei, für die Jugendliche das Programm mit überlegt haben. Essen, Trinken und Musik natürlich – und als besonderes Highlight die Feuerschlucker aus Münster, die auf der nächtlichen Wiese im Herbstlaub die aufziehende Kälte vergessen lassen.

" ... ein friedliches Zusammensein. Das ist doch einfach schön, dass wir zwischen den verschiedenen Schulsystemen und Kulturen einfach uns näher kommen und sagen: Hey, von dem kenne ich was. Ich grüße ihn, ich werde gegrüßt und ich mache mit ihnen was. Das ist doch einfach bereichernd. Und die Jugendlichen spiegeln uns das auch.
Das Ziel ist schon, dieses Miteinander wirklich konstruktiv und gut gestalten, Nicht nur ich als älterer, vielleicht auch als alter Lehrer, nicht nur mit und für die Jugendlichen und eben auch mit den Jugendlichen, das ist schon das Ziel ...“

... das Ziel des Abrahamsfestes, das Bernhard Weinmann seit Jahren mit organisiert. Eigentlich ist er Lehrer für Physik und Chemie an einer Gesamtschule, darüber hinaus schlägt das Herz des engagierten Katholiken jedoch für das interkulturelle Miteinander. Weinmann ist einer der Sprecher der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft in Marl, die das Abrahamsfest in diesem Jahr zum achten Mal organisiert und sich seit 25 Jahren für Verständigung, Respekt und Toleranz einsetzt.
Ebenso wie der pensionierte evangelische Pfarrer Hartmut Dreier. Dieser hat die Idee zum Abrahamsfest aus Stuttgart mitgebracht hat und führt sie auf Hans Küng mit seinem Projekt Weltethos zurück. Der Start war 2001, kurz nach dem 11. September:

„Bisher ist es einzigartig, aber es strahlt: in Bielefeld gibt’s dieses Jahr eins, von Kirchen, Moscheen und der jüdischen Kultusgemeinde, in Recklinghausen machen sie es, an vielen Orten. Und wir sind im Moment dabei, ein Abraham-Netzwerk in Deutschland zu gründen.“

Denn nicht nur die Zahl der Moscheen wächst, sondern auch der Wunsch vieler Einwanderer, hier heimisch zu werden. Und das bedeutet: Dialog. Die Ruhrgebietsstadt Marl etwa, wo noch heute Steinkohle gefördert wird, ist seit langem Einwanderungsgebiet. Rund 130 Nationalitäten sind hier vertreten, 15 Prozent der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. So ist Abraham als Stammvater für viele ein Kristallisationspunkt:

„Abraham war nicht ein Christ, nicht ein Jude, nicht ein Muslim, sagen wir im heutigen Islam, sondern er war ein Gott liebender Mensch, deswegen ist er für uns wichtig, dann können wir unter uns gegeneinander wie Abraham liebevolle Menschen sein, hoffe ich natürlich, nur Hoffnung!“

Das Abrahamsfest in Marl hat viele Väter und Mütter, eine von ihnen ist die islamische Religionspädagogin Beyza Bilgin aus Ankara, die gerne zu Besuch kommt. So wie jetzt etwa, wenn über zwei Monate verteilt beim Abrahamsfest zahlreiche Veranstaltungen stattfinden, als „Abrahamswege“ für die verschiedenen Generationen: Besuche von Kindern in Kirchen, Moscheen oder einer Synagoge. Vorträge und Diskussionen für Erwachsene und Jugendbegegnungen wie die nächtliche Karawane. Höhepunkt des Veranstaltungszyklus ist Mitte Dezember das große Abrahams-Gastmahl im Rathaus der Stadt mit rund 400 Menschen. Für die Professorin Beyza Bilgin geht es vor allem um persönliche Begegnung, ebenso wie für Adnan Saglik, den Trainer einer multikulturellen Ringkampf-Gruppe:

„Manchmal komme ich und arbeiten wir zusammen, lachen wir zusammen, erzählen wir zusammen, essen wir zusammen, und machen wir Spaziergänge. Das bedeutet, wir kommen Gesicht zu Gesicht, wir kennen uns.“

„Abrahamfest haben wir in Marl 8. Mal organisiert, mit der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft: Christen, Juden, Muslime immer zusammen. Wir machen zum Beispiel hier in Marl in der Rhamadanzeit zusammen Abendessen, und Christen gratulieren die Muslime zum Rhamadanfest, und Muslime gratulieren die Christen Weihnachten. Das finde ich sehr schön.“

" ... er hat Würde, weil er Mensch ist, geschaffen von Gott. – Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend!“

Szenenwechsel: ein anderer Ort – ein anderes Thema im Rahmen des Abrahamsfestes. Bei der Auftaktveranstaltung ging es um die abrahamitischen Religionen, heute sind Alltagsfragen dran. „Ohne Moos nix los“ heißt es bei einem Abendprogramm in der Fatih Moschee. Die Arbeitslosigkeit in Marl liegt bei 13 Prozent, viele Menschen verdienen wenig oder leben von Hartz IV. Interreligiöser Dialog heißt in diesem Zusammenhang, gemeinsam nach Lösungen zu suchen:

„In den Moscheen gibt’s Küchen, in den Kirchen gibt’s große Küchen, dass man zum Beispiel Eltern oder Frauen oder Jugendliche da hin bringt, dass man denen ein bisschen so Kochen beibringt, dass man damit sparen kann. – Ich finde von allen, dass es Aufgabe ist, dass die da was tun müssen!“
„Die Religionsgemeinschaft, in dem Fall meine jüdische Religionsgemeinschaft, hat auch das Problem, dass wir sehr viele alte Leute haben, die zwar sehr gut ausgebildet sind, aber hier in Deutschland von der ehemaligen Sowjetunion her kommend, den beruflichen Anschluss nicht mehr gefunden haben. Wir haben eine Überalterung der Gemeinde, zu wenig Kinder und das sind wachsende soziale Probleme auch in unserer jüdischen Gemeinde.“

„Ich denke, dass in allen Religionen die Frage der Gerechtigkeit gestellt wird. Und dass es unsere Aufgabe ist, für die Würde der Menschen zu sorgen. Das heißt Armut zu dulden – in den eigenen Reihen oder überhaupt in der Gesamtgesellschaft auf dieser Erde Gottes – ist ein Skandal! Wir können als Religionen unsere Ressourcen an Gebäuden, an Menschen, auch an Vermögen nutzen, um Armut zu vermeiden!“

„Hoffen. Leben. Handeln.“ lautet das Motto des Abrahamsfestes 2008, das gesellschaftliche, politische und religiöse Themen gleichermaßen in den Blick nimmt und zahlreiche Bündnispartner gefunden hat: In Schulen und Stadtteilbüros, bei Wohlfahrtsverbänden und Kulturveranstaltern. Finanzielle Unterstützung kommt vom Bistum Münster und der Evangelischen Kirche von Westfalen, von der Stadt Marl und sogar aus dem Bundesinnenministerium. Ein Konzept, das vom Engagement seiner Erfinder lebt, wie etwa dem Theologen Hartmut Dreier:

„Das ist überall angekommen, diese Idee, wie wir arbeiten, interreligiös, interkulturell und gemeinwesenorientiert, hier in Marl und auch darüber hinaus. In Marl sagen alle politischen Fraktionen: Das ist wichtig, dass es euch gibt, obwohl wir eigentlich – wir haben uns selbst erfunden vor 25 Jahren. – Wir sind nicht eingesetzt von den Kirchen oder der Moschee oder der Stadtverwaltung, sondern wir sind ein freier Zusammenschluss, eine richtige Bürgerinitiative, aber wir sind ein Politikum, nicht mehr wegzudenken, und wir sind natürlich froh darüber und der Stadt tut’s auch gut, das Klima ist relativ friedlich.“

Im Wettbewerb origineller Konzepte von Ruhrgebietskultur kann das Abrahamsfest jetzt einen weiteren Erfolg verbuchen. Es hat den Sprung ins offizielle Programm der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 geschafft, als eins der Ankerprojekte des evangelischen Kulturbüros.
Für die Jugendlichen bei der nächtlichen Karawane dagegen geht es nicht um Kulturprojekte, sondern um das hier und jetzt: um einen coolen Abend und ein paar neue Freunde vielleicht. Die Chancen stehen nicht schlecht.

„Wir kommen in Frieden, die Hamm-Türken hier. Wir sind hier, weil es eine islamische und christliche Vereinigung hier ist, und das Abrahamsfest, das hat schon Spaß gemacht bis jetzt, und wir gucken, wie das alles weiter geht!“

Links:
www.abrahamsfest-marl.de
www.ruhr2010.de