Moderne Einsichten in antiker Form
Bei diesem ungewöhnlichen Gedichtband fallen in den Buchangaben zwei Dinge auf: als Originalsprache wird "Serbokroatisch" angegeben, als Form das antike Distichon.
Die Verbindung vom Serbokroatischen, einer Sprache, die es offiziell nicht mehr gibt, und den antiken Versmaßen ist die Spezialität von Sinan Gudzevic. Er war einer der herausragenden Intellektuellen des ehemaligen Jugoslawien und fiel in den katastrophalen Bürgerkriegen der neunziger Jahre auf dem Balkan durch seine konsequente Ablehnung von Nationalismus und Sprachchauvinismus stark auf - kaum einer der Schriftsteller Jugoslawiens nahm in dieser Zeit so eindeutig Stellung gegen die Barbarei wie Gudzevic.
Aufgewachsen als Muslim in einem entlegenen Gebirgsdorf im Sandschak, dem serbischen Grenzgebiet zu Montenegro und dem Kosovo, erlebte Gudzevic früh die Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Religionen. Dies wird noch dadurch akzentuiert, dass er, der muslimische Serbe, heute in Zagreb lebt, der Hauptstadt Kroatiens.
Das Epigramm, die älteste überlieferte Versform überhaupt, interessiert Gudzevic nicht nur als Altphilologe, sondern auch als zeitgenössische Ausdrucksform. Gudzevic wurde als Lyriker wie als Übersetzer berühmt: Er übertrug jahrelang die "Metamorphosen" des Ovid ins Serbokroatische, doch als die Arbeit fertiggestellt war, gab es diese Sprache nicht mehr. Serbische wie kroatische Verlage lehnten die Übersetzung, die vorher mit Spannung erwartet worden war, ab. Dabei ist der Unterschied zwischen den beiden Einzelsprachen Serbisch und Kroatisch, wie sie nun absolut gesetzt wurden, ungefähr mit demjenigen zwischen Badisch und Schwäbisch zu vergleichen.
Diese Erfahrung ist auch immer wieder Gegenstand der "Römischen Epigramme", dem einzigen Gedichtband, den Gudzevic seit Beginn der Bürgerkriege veröffentlicht hat (das Original erschien 2001 im kroatischen Split). Gudzevic verknüpft darin die Erfahrungen im Rom der Gegenwart, wo er über einen längeren Zeitraum zuhause war, sowie die antike Überlieferung, die in dieser Stadt übermächtig scheint, mit den Zuständen auf dem Balkan, mit seiner Rolle als jugoslawischer Intellektueller.
Das klassische Epigramm ist ein Distichon, ein Zweizeiler, bei dem jeder einzelne Vers aus einem Hexameter und einem Pentameter besteht. Diese Form ist schwer in andere Sprachen zu übersetzen. Gudzevic nutzt dafür die gesamte Bandbreite des serbokroatischen Sprachraums aus und verwendet mundartliche Wörter aus dem serbischen, dem kroatischen wie dem bosnischen Bereich: Entscheidend ist der Rhythmus, das Abwechseln von betonten und unbetonten Silben, die im Lateinischen nur als kurze oder lange Silben erscheinen.
Das Ernste und das Lustige, das Böse, das Alltägliche und das Absurde können in diesem verknappten Duktus, der fast zwingend auf eine Pointe hin angelegt ist, manchmal ununterscheidbar ineinander übergehen. Die Balkankriege stehen hier neben dem Fußballspiel zwischen AS Rom und Partizan Belgrad, römische Gossensprache neben gelehrten Anrufungen der alten Meister. Der Gestus der heiteren Gelassenheit, der im Vordergrund zu stehen scheint, sollte dabei nicht zu sehr täuschen. Er dient auch als Schutz vor historischen Erfahrungen, er ist eine Tarnung, die sich der empfindsame Dichter zulegt.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Sinan Gudzevic: Römische Epigramme
Aus den serbokroatischen in deutsche Distichen übertragen von Petra Kordmann
Verlag Waldgut, Frauenfeld/Schweiz
89 Seiten, 15 Euro
Aufgewachsen als Muslim in einem entlegenen Gebirgsdorf im Sandschak, dem serbischen Grenzgebiet zu Montenegro und dem Kosovo, erlebte Gudzevic früh die Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Religionen. Dies wird noch dadurch akzentuiert, dass er, der muslimische Serbe, heute in Zagreb lebt, der Hauptstadt Kroatiens.
Das Epigramm, die älteste überlieferte Versform überhaupt, interessiert Gudzevic nicht nur als Altphilologe, sondern auch als zeitgenössische Ausdrucksform. Gudzevic wurde als Lyriker wie als Übersetzer berühmt: Er übertrug jahrelang die "Metamorphosen" des Ovid ins Serbokroatische, doch als die Arbeit fertiggestellt war, gab es diese Sprache nicht mehr. Serbische wie kroatische Verlage lehnten die Übersetzung, die vorher mit Spannung erwartet worden war, ab. Dabei ist der Unterschied zwischen den beiden Einzelsprachen Serbisch und Kroatisch, wie sie nun absolut gesetzt wurden, ungefähr mit demjenigen zwischen Badisch und Schwäbisch zu vergleichen.
Diese Erfahrung ist auch immer wieder Gegenstand der "Römischen Epigramme", dem einzigen Gedichtband, den Gudzevic seit Beginn der Bürgerkriege veröffentlicht hat (das Original erschien 2001 im kroatischen Split). Gudzevic verknüpft darin die Erfahrungen im Rom der Gegenwart, wo er über einen längeren Zeitraum zuhause war, sowie die antike Überlieferung, die in dieser Stadt übermächtig scheint, mit den Zuständen auf dem Balkan, mit seiner Rolle als jugoslawischer Intellektueller.
Das klassische Epigramm ist ein Distichon, ein Zweizeiler, bei dem jeder einzelne Vers aus einem Hexameter und einem Pentameter besteht. Diese Form ist schwer in andere Sprachen zu übersetzen. Gudzevic nutzt dafür die gesamte Bandbreite des serbokroatischen Sprachraums aus und verwendet mundartliche Wörter aus dem serbischen, dem kroatischen wie dem bosnischen Bereich: Entscheidend ist der Rhythmus, das Abwechseln von betonten und unbetonten Silben, die im Lateinischen nur als kurze oder lange Silben erscheinen.
Das Ernste und das Lustige, das Böse, das Alltägliche und das Absurde können in diesem verknappten Duktus, der fast zwingend auf eine Pointe hin angelegt ist, manchmal ununterscheidbar ineinander übergehen. Die Balkankriege stehen hier neben dem Fußballspiel zwischen AS Rom und Partizan Belgrad, römische Gossensprache neben gelehrten Anrufungen der alten Meister. Der Gestus der heiteren Gelassenheit, der im Vordergrund zu stehen scheint, sollte dabei nicht zu sehr täuschen. Er dient auch als Schutz vor historischen Erfahrungen, er ist eine Tarnung, die sich der empfindsame Dichter zulegt.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Sinan Gudzevic: Römische Epigramme
Aus den serbokroatischen in deutsche Distichen übertragen von Petra Kordmann
Verlag Waldgut, Frauenfeld/Schweiz
89 Seiten, 15 Euro