Modekritik

Die Taschengeschichte ist eine Gendergeschichte

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Frau mit rot gefärbten Haaren und Tattoos und Händen in den Taschen ihrer Jeans
Da passt kaum was rein: Frauenkörper sollen vor allen Dingen ästhetisch sein, kritisiert Melanie Haller. © imago images/Westend61 / Manu Reyes
Von Matthias Finger  · 14.08.2021
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Beim Thema Hosentaschen ist die Modewelt sehr traditionell - auch wenn sie sich gerade zum Gestaltungselement entwickelt. Noch heute sind eingenähte Taschen in Frauenkleidung oft sehr klein. Das hat ästhetische Gründe, die längst überholt sein sollten.
Burberry setzt in diesem Jahr auf kastenförmige Statement-Hosentaschen und näht sie auch auf Röcke, Blusen, Blazer. Max Mara steckt modisch informierte Frauen in Cargoshorts mit riesigen Blasebalg-Taschen. Und der afrikanische Modeschöpfer Pathé‘O? Platziert 30 Minitäschchen auf der Vorderseite eines Kleides – angeblich um Dieben die Arbeit schwer zu machen.
"Man hat Taschen, die wirklich so dreidimensionale Gebilde sind. Die auf die Kleidung aufgesetzt werden als Gestaltungselement in ganz vielen Kollektionen. Und das ist auffällig, dass sich die Tasche von so einer Problemlösung hin zu einem Gestaltungselement entwickelt hat", erklärt Carl Tillessen vom deutsche Modeinstitut.
Traditionell tragen ja Männer immer viel Krams mit sich herum – am Körper: Werkzeuge, Taschenuhren, Tabak. Nicht so selbstverständlich ist der Look allerdings in der Frauenmode.

Früheste Tasche wurde von einem Mann getragen

"Taschengeschichte ist bereits eine Gendergeschichte. Eingenähte Taschen sind historisch eher der Männerkleidung zuzuordnen. Und da tatsächlich auch von Anfang an historisch vielfältige Taschengrößen, immer viele Taschen in Männerkleidung", sagt Melanie Haller von der Uni Paderborn.
Und so wurde auch das früheste Kleidungsstück – mit eingenähter Tasche – von einem Mann in den Tiroler Alpen getragen: von Ötzi vor 5000 Jahren. Birgit Haase lehrt an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg.
"Dieser Mann, ein Jäger, trug am Körper einen Gürtel, in den eine Tasche eingearbeitet war. In der er also direkt am Körper geschützt, lebensnotwenige Dinge, wie Zunderschwamm und Feuerstein, aufbewahrte..."
… die auf keinen Fall nass werden durften. Der Körper bietet zum einen Schutz. Anderseits ist es praktisch – beispielsweise bei der Flucht - wichtige Dinge körpernah zu verstauen. Kleinigkeiten konnten zwar auch in den Faltenzügen der antiken Toga, im mittelalterlichen Wams oder im Kleiderärmel untergebracht werden. Als erste echte "Rocktaschen" tragen Frauen um die Hüfte gebunden Beutel - unter ihrer Kleidung.
"In den Oberrock wurde dann in dem Fall ein Schlitz eingearbeitet, durch den man mit der Hand hindurchgreifen konnte. Und auf diese Weise konnten durchaus auch voluminöse Gegenstände, zum Beispiel unter Reifröcken, die die Hüften erweiterten, mit sich getragen werden, ohne, dass man es von außen sehen konnte."
Patriarchale Gesellschaftsstrukturen verwehren Frauen lange in der Kleidung vernähte Taschen: Im Haushalt ist der Aktionsradius gering.
"Damals wurden Frauen auf den häuslichen Bereich beschränkt. Das heißt: Sie sollten sich gar nicht so sehr in der Öffentlichkeit bewegen. Somit entfiel die Notwendigkeit, Gegenstände mit sich zu tragen."
Noch heute beschweren sich Frauen, dass die eingenähten Taschen ihrer Kleidung zu klein seien. In die passt – das wurde wissenschaftlich vermessen – nicht mal ein Smartphone. Allerding lässt sich der Taschenmangel in weiblicher Kleidung auch als Priorität der Ästhetik über die Funktionalität begründen.

Normativer Anspruch an Frauenkörper

Noch einmal Melanie Haller: "Frauen sollen einfach nicht ihre Taschen vollpacken, weil sie damit ihre Silhouette einfach verändern. Und da sehen wir eben, welcher normative Anspruch an das Aussehen von Frauenkörpern immer wieder gelegt wird. Dass der Frauenkörper vor allen Dingen ästhetisch sein soll. Der soll sich nicht ausbeulen durch ein reingestecktes Portemonnaie."
Deshalb schleppen Frauen permanent Handtaschen mit sich herum und haben oft nur eine Hand frei.
Erst die funktionale Outdoormode schafft Parität zwischen den Geschlechtern. Und einigen Herren der Schöpfung? Wird der eingenähte Taschenwahn in ihrer Kleidung auch zu viel, denn es gibt…
"… die Männer, die jetzt anfangen Handtaschen zu tragen, weil sie nicht immer nur alles in ihren ausgebeulten Taschen herumtragen wollen und diese Handtaschen für Männer dürfen jetzt auch Ähnlichkeit haben mit Frauenhandtaschen. Da gibt es nicht mehr diese Berührungsängste."
Die neuen Herrentaschen sehen aber nicht aus wie Onkel Hugos Handgelenkschleuder. Sie sind eher den erfolgreichen Modellen unter den Damenhandtaschen optisch nachempfunden.
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