Mode, Macht und Merkel

Von Hannelore Schlaffer |
Angela Merkel entwickelte im Laufe ihrer politischen Karriere einen Typus bis zur Vollkommenheit, der seit langem festliegt: den der deutschen Politikerin. Selbst das anfängliche Naserümpfen über Figur und Frisur, das Lächeln über ihr Lächeln gehören zur Perfektion jener Marke und Maske "Deutsche Politikerin", die sie vorbildlich vertritt.
Die deutsche Politikerin ist eine Frau, bei deren erstem Anblick der männlichen Betrachter beruhigt feststellt, dass sie als Frau nicht in Frage kommt. Weder mit Männern noch mit der Macht scheint sie zu kokettieren, ihre Weiblichkeit ist zu mütterlicher Behäbigkeit ausgereift, kurz: die deutsche Politikerin stellt die Landesmutter vor.

Angela Merkel tut diesem saturierten Frauentypus, den ebenso gut Heide Simonis, Claudia Roth, Monika Hohlmeier vertreten, ein Übriges hinzu: eine Prise Komik. Sie macht dadurch die verdächtige Verbindung von Weiblichkeit und Macht extra ungefährlich. Die deutschen Politikerinnen, die einer halben Nation vormachen, wie sich der Traum von der Emanzipation verwirklicht hat, vertreten am wenigsten das Ideal der emanzipierten Frau – und gerade deshalb sind sie emanzipiert. Sie haben begriffen, da sie wie die Männer arbeiten, sich ihr Aussehen der männlichen Erscheinung anpassen muss. Der Hosenanzug ist deshalb obligatorisch, das Hemd unter der Jacke darf ein wenig bunter sein als das eines Mannes. Als Repräsentantinnen der Frauen bleibt für sie ein einziges Zeichen der Weiblichkeit verpflichtend, das auch achtzig Prozent der Bundesbürgerinnen zur Darstellung eines letzten Restchens von Charme gebrauchen: ein schmales Kettchen, aus Gold oder winzigen Perlen, das auch ein Anhängerchen haben darf. Gewöhnt an den alltäglichen Arbeitsanzug, versagen Politikerinnen gänzlich auf dem Parkett der Mode. Angela Merkel repräsentiert bei den Bayreuther Festspielen, wo sie als Dame auftreten möchte, nur das Land des Lächelns und des schlechten Geschmacks.

Politikerinnen anderer Nationen können elegant sein, deutsche Politikerinnen dürfen es nicht. Condoleezza Rice trägt viel weibliche Selbstgefälligkeit zur Schau. Obwohl sie gern hochgeschlossen geht mit einem Bubikragen, auf den sie seit den Collegejahren nicht verzichtet, wirkt sie kess wie eine Göre. Sie tritt selbstbewusst auf und zeigt Bein. Damit ist sie eine späte Vertreterin der sich befreienden Frauen, der Läuferinnen, vom Anfang des 20. Jahrhunderts: Die freie Beweglichkeit der Beine, der kurze Rock waren Voraussetzung und Indiz auch der intellektuellen Beweglichkeit.

Die Figur Merkels hingegen baut sich von fleischigen Fesseln her auf. Unbeholfen wirkt sie aber nicht nur, weil auf diesen Fesseln Gewicht ruht. Die frühere amerikanische Außenministerin Madeleine Albright trug eine stattlichere Fülle mit sich herum und ließ dennoch die Augen blitzen. Ihr Busen war nicht verborgen so gut es eben ging, sondern hoch gepuscht und majestätisch, die Augen funkelten um die Wette mit den Brillianten am Ohr, die Hände hingen voller teuerer Ringe, den Hals schmückten protzige Colliers. Auch die neue Außenministerin der Vereinigten Staaten leistet sich bei aller Zugeknöpftheit Knöpfe aus Strass und glänzenden Metallen, die alles in den Schatten stellen, was sich eine deutsche Politikerin gestatten würde. Die amerikanischen und manche Politikerinnen europäischer Nationen – vor allem der romanischen - tragen ein herrschaftliches Gehabe zur Schau. Sie gehören einer Oberschicht an. Der Präsident der USA hat keinen Grund, sich vor solch weiblicher Souveränität und Macht zu fürchten. Er braucht geradezu Damen, an deren stolzem Auftritt er seiner Herkunft nach gewöhnt ist oder die, wie Rice, diesen Habitus zu kopieren vermögen.

Deutsche Politikerinnen hingegen stammen aus dem Mittelstand, oft sogar aus dem Kleinbürgertum wie die meisten ihrer Wähler. Eine ständische Barriere zwischen Regierten und Regierenden besteht in Deutschland nicht. Die Politikerinnen waren nicht selten Hausfrauen und gelangten über ehrenamtliche Tätigkeiten in die Politik. Auch Angela Merkel kennt die Wünsche dieser schuldbewussten, doch demokratischen Familie aus unmittelbarer Nähe: Sie wählt deshalb das Image der zuverlässigen Haushälterin.

Hannelore Schlaffer, geboren 1939, ist apl. Professor für Neuere deutsche Literatur an den Universitäten Freiburg (1982-1996) und München (1996-2001) und lebt als freie Schriftstellerin in Stuttgart. Sie ist ständige Mitarbeiterin mehrerer Zeitungen und Rundfunksender. In der Literaturwissenschaft hat sie Aufsätze und Bücher vor allem zur Literatur der deutschen Klassik und Romantik verfasst, z. B. "Wilhelm Meister. Das Ende der Kunst und die Wiederkehr des Mythos" (1980); "Epochen der deutschen Literatur in Bildern. Klassik und Romantik 1770-1830" (1983);"Poetik der Novelle" (1993). Aus ihrer schriftstellerischen Tätigkeit bei Zeitungen und Rundfunkanstalten ging der Band hervor: "Schönheit. Über Sitten und Unsitten unserer Zeit" (1996).