Mode aus der Wohnzimmer-Boutique

Von Lotta Wieden |
Mitten in Berlins Modemeile betreibt Jacqueline Huste ihr Geschäft. Doch während die großen Marken leuchtende Repräsentanzen unterhalten, verkauft die Designerin ihre Kreationen in einer Altbauwohnung im ersten Stock.
Die schicken Geschäfte liegen gleich um die Ecke: Hugo Boss, Adidas, Lacoste. Jacqueline Huste kann sie vom Fenster aus sehen: die Geschäfte, und die Touristen, die durch Berlin-Mitte ziehen. Ihr eigener Laden liegt in einer Seitenstraße, in der ersten Etage eines gewöhnlichen Wohnhauses. Keine Leuchtreklame, keine Schaufenster, wer rein will muss klingeln.

Zufällig kommt hier niemand vorbei. Kundschaft hat Jacqueline Huste trotzdem – erst gestern war jemand aus London da:

"Ich mein aus London, da fragt man sich immer, womit man sone Leute noch begeistern kann, aber die meinten, so was in der Form gäb’s halt in London gar nicht, und das würde ihnen so Spaß machen, diese ganzen kleinen Sachen zu entdecken halt. Und dass man das nicht so vor die Nase präsentiert bekommt: ‚Ah, ich bin hier!’ Sondern das es eigentlich die Suche danach ist, die es so schön macht."

Jacqueline Huste, 37 Jahre alt, sitzt in Strickjacke und ausgebeulten Hosen über der neuen Sommerkollektion – hochwertige Stoffe, gerade Schnitte, gedeckte Farben. Huste entwirft eine zeitlose, manchmal verspielte Mode, die eher leise Töne anschlägt. Jetzt, im Februar läuft die Produktion auf Hochtouren. Auf dem vier Meter langen Arbeitstisch stapeln sich Einzelteile: Kleiderärmel und Hosenbeine. In meiner Wohnung hab ich kaum noch treten können, sagt Huste. Irgendwann begann sie von einem eigenen Geschäft zu träumen. Mehr Platz zum Arbeiten dazu ein neuer Kundenstamm – das war der Plan. Doch die Suche nach geeigneten Räumen war ernüchternd:

"Ich hab auch nach Läden geschaut, aber es ist ja auch so, dass die Mieten hier so explosionsartig nach oben gehen und dann ist mir klar geworden, dass es vielleicht auch ne ganz gute Idee ist, das nicht in einem Laden zu machen."

700 Euro zahlt Jacqueline Huste für ihre 80 Quadratmeter-Wohnzimmer-Boutique. Dort, wo früher mal das Badezimmer war, hängen heute Röcke und Blusen, im Wohnzimmer steht ein alter Ladentisch, nebenan rattert die Nähmaschine. Ein offenes Atelier mit Verkaufsfläche: Umkleidekabine am Ende des Flurs.

Geboren wurde Jaqueline Huste 1969 in Wolfen, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, früher mal 44.000 Einwohner, Chemiekombinat, Textilbetriebe. Der Vater ist Elektromeister, die Mutter arbeitet in der Stadtverwaltung. Schon als Zwölfjährige beginnt Huste Röcke und Hosen zu schneidern – jede noch so schiefe Naht ist besser als der DDR-Einheitslook. Später, als es auch in Wolfen Gucci und Levis zu kaufen gibt, beginnt Jacqueline Huste Architektur zu studieren. Dass sie Baumwolle noch immer lieber mag als Stahlbeton, merkt Huste erst nach dem Studium, auf einer Reise nach New York:

"Erstens mal habe ich gemerkt, dass ich halt immer in diesen Stoffläden stand, da gibt’s ja so ganze Straßenzüge, wo diese ganzen alten jüdischen Familienbetriebe sind, und ich hab halt immer Stoff gekauft. Ich dachte immer: oh da kann man was Schönes machen, und ich hab die Teile auch immer vor mir gesehen…"

Zurück in Berlin gründet Jacqueline Huste ihr eigenes Label. Wolfen heißt es, so wie ihre Heimatstadt in Sachsen-Anhalt:

"Ich wusste, es muss irgendwas sein, was eigentlich auch was Deutsches ist, und es sollte auch irgendwas mit mir zu tun haben."

Auch Hustes Kollektionen tragen Namen, die letzte, für den Sommer 2006, heißt Trainsong, nach einem Lied von Nick Cave.

"Eigentlich habe ich immer ein Bild vor Augen, also das kann inspiriert sein durch Musik, wie in dem Fall, oder durch Reisen, das reicht aber auch manchmal nur so draußen zu stehen und einen Windhauch zu merken."

Aus dem Bauch entwerfen, nennt Jacqueline Hustes dieses Denken in Bildern und Tönen. Eines ihrer Erfolgsmodelle ist ein knielanges Kleid, cremeweiß und nachtblau gemustert, die vordere Knopfleiste reicht vom Dekollete bis zum Saum, um die Hüften hängt ein handgenähter Gürtel aus Baumwollfäden. Kleider wie dieses hängen heute in München, Berlin, Tokio, New York und Kopenhagen.

Mit ihrer alten Heimat fühlt sich Jacqueline Huste trotzdem noch verbunden, in Wolfen leben ihre Eltern, hier hat sie auch ihre Strickomas entdeckt:

"Ich mein Sachsen-Anhalt hat ja immerhin knapp 25 Prozent Arbeitslosigkeit, und ich hab dann sone Anzeige geschalten, ob es nicht Frauen gibt, die gerne stricken wollen."

40 ältere Damen lässt Jaqueline Huste vorstricken. Übrig bleiben Frau Schiganeg und Frau Jänicke. Beide über 70, irgendwie gehören sie inzwischen zur Familie.

"Dann wollen sie immer wissen, ob man’s verkauft hat. Ja, weil die können sich ja auch nicht immer vorstellen, dass man das in NY sehen kann, also die sitzen also immer in Wolfen, haben da ihr ganzes Leben verbracht und für die ist es natürlich irgendwo was ganz besonders so was zu produzieren, was dann im Ausland verkauft wird."

Heute verkauft Jacqueline Huste ihre Kollektionen in fünf Ländern, auf drei Kontinenten. Ein großer Erfolg. Wie sich ihre Wohnzimmer-Boutique in Berlin-Mitte entwickelt, steht dagegen noch in den Sternen. Immerhin, zwei bis drei Kunden pro Tag schauen schon vorbei. Die Adresse, sagt Jacqueline Huste, spricht sich von ganz allein herum.