Mobilität im Wandel

Ungewisse Zukunft der Automobilindustrie im Saarland

11:24 Minuten
Blich in die Werkshalle von Ford in Saarlouis
Fordwerk in Saarlouis: Nach der Sommerpause soll eine komplette Schicht wegfallen. © mago images / Becker&Bredel
Von Tonia Koch · 06.06.2019
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Gemischte Gefühle am Industriestandort Saarland: Einerseits sollen bei Ford in Saarlouis bis zu 1600 Jobs abgebaut werden. Andererseits sichert der größte Auftrag der Firmengeschichte die Auslastung des ZF-Werks in Saarbrücken auf Jahre.
Jeden Tag rollen im ZF-Werk in Saarbrücken 10.500 PKW-Getriebe vom Band. Es ist mit 9.000 Beschäftigten das weltweit größte Werk des Automobilzulieferers. Und in diesem Frühjahr seien die Weichen für die Zukunft gestellt worden, sagt Standortleiter Hermann Becker.
"Ja wir stehen hier in der Zukunft, das ist das, was an Hybrid-Technologie unser Haus verlässt. Hier sehen wir im Moment noch die dritte Generation aber die vierte wird diejenige sein, die ab 2022, die Fabrik verlässt."
Die Hybrid-Technik kombiniert einen klassischen Verbrennungsmotor mit einem Elektroantrieb.
"Man kann rein elektrisch fahren und sollte dann die Batterie leer sein, kann man ganz normal mit dem Verbrenner fahren, also 80 bis 100 Kilometer kann man rein elektrisch fahren."

Größter Auftrag der Firmengeschichte

Im April hat BMW dem Getriebehersteller den größten Auftrag der Firmengeschichte beschert. Die Bestellung des neuen Getriebetyps sichert die Auslastung des Standortes Saarbrücken auf Jahre hinweg. Und der saarländischen Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger hat das fürs erste die Sorgenfalten auf der Stirn geglättet.
"Das ist zunächst einmal ein sehr beruhigendes Gefühl, es ist vor allem auch ein gutes Signal für dieses Land, denn es zeigt, dass, wenn ein Unternehmen eine Zukunftsentscheidung trifft, dann hat es auch eine Zukunft. Und ZF hat eine mutige Zukunftsentscheidung getroffen indem es sich für die Hybridtechnik entschieden hat."
Ob der Hybrid-Technik tatsächlich die Zukunft gehört, ist längst nicht ausgemacht, das wissen auch die Firmenlenker von ZF. Aber im Moment glauben sie damit richtig zu liegen, so Hermann Becker.
"Wir brauchen Technologieoffenheit und die haben wir genutzt, diese Technologieoffenheit, und sagen bis wir wissen, wo es wirklich lang geht , nach rechts oder links oder durch die Mitte haben wir eine Übergangstechnologie, die jetzt sofort hilft."

Suche nach Ersatzantrieben geht weiter

Die Suche nach Ersatzantrieben für klassische Diesel- und Benzinmotoren wird weitergehen. Mischformen wie der Hybrid, nur Elektro oder neue Antriebsformen auf Basis von Wasserstoff, all das ist in der Diskussion oder wird erforscht. Und bei der IG-Metall macht man sich gehörige Sorgen, die Phase der Verunsicherung in der zugewartet wird, könnte allzu zu lange dauern. Jörg Hofmann, der Vorsitzende der IG-Metall, war deshalb froh, dass er mal den Fuß in die Werkshallen eines Unternehmens setzen konnte, das aktuell einen Weg in die Zukunft weist.
"Weil ZF im Saarland zeigt, dass es möglich ist, den Wandel hin zu klimafreundlicher Antriebstechnologie ohne, dass es Beschäftigung gefährdet, auch zu realisieren."
Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall, sitzt bei einer Betriebsbesichtigung im ZF-Werk in Saarbrücken an einem Tisch.
Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall, bei der Betriebsbesichtigung im ZF-Werk in Saarbrücken© imago images / Becker&Bredel
Notwendige Investitionen der Firmen auch in die Qualifikation der Arbeitnehmer würden aktuell auf die lange Bank geschoben, so Hofmann, weil sie nicht wüssten, welche Richtung sie einschlagen sollen. Klar sei allerdings, dass die Arbeitnehmer in den Automobilzulieferbetrieben zukünftig nicht mehr das machen könnten, was sie heute tun.
"Wir rechnen damit, dass in den nächsten zehn Jahren 150.000 Kolleginnen und Kollegen allein im Bereich Antriebsstrang eine andere Tätigkeit haben müssen, weil die, die sie heute haben, wegfällt und das trifft Regionen wie das Saarland massiv."
Um den Unternehmen ein wenig die Last zu nehmen, fordert der Gewerkschaftschef neue arbeitsmarktpolitische Instrumente, zum Beispiel ein Transformationskurzarbeitergeld.
"Das ermöglicht es einen solchen technologischen Wandel so zu begleiten, dass die Menschen nicht arbeitslos werden, sondern noch in Arbeit qualifiziert werden für neue Jobs."

Rahmenbedingungen für klimafreundliche Mobilität schaffen

Voraussetzungslos sei der angestrebte Wandel ganz sicher nicht zu haben. Die Politik sei gefragt, für den Automobilsektor endlichen die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Sonst werde der Umstieg hin zu einer klimafreundlichen Mobilität nicht gelingen.
"Wir haben keine Ladeinfrastruktur die ausreicht, wir haben gesetzliche Regelungslücken die es verhindern, dass der Bürger sich vor Ort selbst Ladestationen installiert. Wir haben Probleme mit den Verteilnetzen, wenn mehr Elektrofahrzeuge zukünftig auf den Straßen sind oder was die Batteriezellentechnik anlangt und da muss Politik endlich handeln."
44.000 Menschen arbeiten im Saarland in der Automobilindustrie, das ist jeder Vierte Beschäftigte. Überwiegend bei Zulieferbetrieben wie eben ZF, Bosch, Eberspächer, Schaeffler, um nur einige zu nennen. Und mit Ford ist auch ein Unternehmen im Saarland vertreten, das Autos baut. Noch im Sommer des vergangen Jahres war der Ford-Standort Saarlouis in Feierlaune.

Stellenabbau bei Ford in Saarlouis

Präsentiert wurde das neue Modell des Ford Focus. Seit vergangenem September ist der Mittelklassewagen, dem die Mitarbeiter viel zutrauen, im Handel.
"Top gelungenes Fahrzeug. vor allem die Qualität der Materialien, die jetzt verwendet werden."
"C'est une belle voiture ... das ist ein schönes Auto, vor allem was das Design anlangt."
"Wir sind stolz darauf und mit diesem neuen Modell können wir uns überall sehen lassen."
Aber die Freude währte nur kurz. Noch vor Weihnachten verkündet Ford, dass in Deutschland 5000 Arbeitsplätze abgebaut werden, 1600 davon allein in Saarlouis. Die Produktion werde gestrafft, ein Modell für das sich kaum noch Käufer fänden, werde Ende Juni eingestellt. Das bedeutet, dass nach der Sommerpause eine komplette Schicht im Saarlouiser Werk wegfällt. Davon sind zunächst 500 Leiharbeitnehmer und 650 Festangestellte betroffen.
Den festen Mitarbeitern wurden bereits Abfindungsangebote, Altersteilzeit und berufsqualifizierende Maßnahmen angeboten. Ob der Plan aufgeht, sei jedoch keineswegs sicher, sagt Betriebsratsvorsitzender Markus Thal.
"Ist es so, dass genügend Menschen von diesen Programmen Gebrauch machen oder haben wir im Sommer die Situation dass wir sagen müssen, wir haben nicht genügend Menschen, die diese freiwilligen Angebote angenommen haben, dann müssen wir uns weitere Dinge überlegen."
Ein Mitarbeiter im Werk der ZF Friedrichshafen AG in Saarbrücken steht mit dem Rücken zur Kamera.
Blick in die Produktion des Zulieferers ZF Friedrichshafen AG in Saarbrücken© mago images / Becker&Bredel
Dazu zählt zum Beispiel die Fertigung von Teilen, die an Fremdfirmen vergeben worden waren, wieder ins Werk zurückzuholen, um Arbeitsplätze im eigenen Betrieb zu sichern.
"Im Moment sind wir bei etwa 30 wo wir wissen, die Arbeit nehmen wir rein und wenn es am Ende 100 sind, oder 150, dann ist das auch ein Auffangen. Und man muss halt sehen, wie sich das entwickelt."

Erhöhter Druck auf die Ausrüster

Das aber erhöht den Druck auf die Ausrüster, die ohnehin jede Bewegung ihres Hauptabnehmers mitmachen müssen. Hunderte Arbeitsplätze gelten bei den Zulieferern allein durch die Ford-Entscheidung, ein PKW-Modell in Saarlouis einzustellen, als gefährdet. Dabei ist die übergeordnete Diskussion darüber, was Ford in Zukunft am Standort Saarlouis produzieren wird, noch überhaupt nicht eingepreist. Standortschließungen, Kooperationsmodelle mit anderen Herstellern, Brexitfolgen, neue Antriebsformen, Elektromobilität, all das sind Schlagworte, die aus der Diskussion nicht mehr wegzudenken sind.
"Ob Ford 2022 in die Richtung geht oder in die Richtung, das wissen wir jetzt nicht", sagt Markus Thal. "Zumindest hat Ford einmal gesagt, dass es Modelle bauen will, aber wo diese Modelle gebaut werden ab den Jahren 2021, 2022 aufwärts, das wissen wir nicht. Das wird sicherlich nach dieser Phase entschieden und dafür wollen wir gut gerüstet sein. Wir haben ein Spitzenauto in Saarlouis wir haben Spitzenleute und nun müssen wir gucken, dass wir die Kosten dahin bekommen und dann bin ich da guter Dinge."
Dass Ford in Europa zu teuer produziert und an einem Auto zu wenig Geld verdient, ist nicht neu.
"Es ist so, dass Ford ein strukturelles Problem hat, das stimmt. Punkt, das stimmt. Aber hier haben wir auch unsere Dinge genannt, als Arbeitnehmervertretung, dass es nicht sein kann, dass man immer nur beim Lohnkostenanteil der Beschäftigten den Rotstift ansetzt, das hat der deutsche Vorstand jetzt aufgenommen. Es gibt auch erste Erfolge, dass man bei Einkauf und Materialkosten Einsparungen erzielt. Dieser Posten der ist 88 Prozent und wir reden über 12 Prozent Lohnkosten. Dann ist es ja logisch, an diesen Teil des Kuchens muss ich viel mehr dran, als bei den Lohnkosten."

Die Konzernzentralen sitzen woanders

44.000 Menschen arbeiten im Saarland in der Automobilindustrie. Jeder zweite Industriearbeitnehmer ist in diesem Sektor beschäftigt. Über Jahrzehnte hat Joachim Malter von der Vereinigung der saarländischen Unternehmensverbände diesen Prozess begleitet. Er weiß, dass ein Standort unabhängig davon ob die Konjunktur gerade läuft oder nicht läuft, immer mit positiven Eigenschaften punkten muss. Gerade dann, wenn die Konzernzentralen woanders sitzen und in ihren verlängerten Werkbänken wie im Saarland vielfach nur produzieren lassen. Ein Standortwettlauf lasse sich nur durch Qualität gewinnen, so Malter.
"Wir müssen alles tun, um den Standort aufzuwerten, dann werden wir auch Chancen haben, neue Produkte hierher zu bringen. Wir müssen die Chance kriegen, dass die Konzernbetriebe, die hier ihre im Übrigen sehr hoch produktiven Werke haben, die ja gut sind, dass die in diese Werke auch in Zukunft investieren und Produkte hier her lenken, die auch in der Zukunft gebraucht werden."
Was gebraucht wird, entscheidet die Politik, indem sie Rahmenbedingungen setzt, und letztendlich der Verbraucher. Beim Kunden aber habe die Automobilbranche sehr viel Kredit verspielt, das lasse sich leider nicht leugnen, bedauert Malter.
"Ich bin fest davon überzeugt, wenn wir die Dieselkrise und den Betrug einzelner Hersteller bei einzelnen Modellen nicht gehabt hätten - übrigens unser saarländischer Hersteller ist nicht einmal in den Verdacht geraten, dass er irgendetwas manipuliert hat an dieser Stelle. Aber wenn die Automobilindustrie nicht in diesen schlechten Ruf geraten wäre durch die Dieselkrise, dann wäre mehr Rückhalt in der Bevölkerung bei der Frage, wie wir unsere Umweltnormen einhalten wollen und welche Zukunftsvision wir für diese Branche entwickeln. Es ist leider so, die Brache hat es sich versaut in der öffentlichen Meinung und deshalb hat sie keinen Rückhalt mehr. Und das wird uns im kommenden Wandel erheblich Arbeitsplätze kosten."

Kleinere Sorgen in den Werkshallen von ZF

In den Werkshallen von ZF zumindest sind die Sorgen kleiner geworden. Solange die Politik den Weg nicht vorgebe, auf dem Klimaziele erreicht werden müssen, sondern sich offen zeige für verschiedene technologische Lösungen, werde die Industrie es schon schaffen, diese auch anzubieten, sagt Stephan von Schuckmann, Leiter PKW-Antriebstechnik bei ZF.
"Wir glauben einfach, dass sich nicht allein eine Technologie durchsetzen wird. Es werden sicherlich reine Elektrofahrzeuge sein, die es geben wird. Es wird Hybrid-Fahrzeuge geben, die gefahren werden. Es werden aber auch weiterhin Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren gefahren werden. Sie müssen es nicht nur mit der deutschen Brille betrachten sondern aus der Weltsicht. Da ergibt sich ein breiter Mix."
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