Mobile Ladesäulen für E-Autos

Aus Plastikmüll wird Kraftstoff

09:31 Minuten
Piktogramm auf dem Boden für eine Tankstelle für Elektroautos.
Auf der Suche nach Anschluss: E-Auto-Fahrer kennen das Problem - vor allem auf dem Land. © imago images/Westend61/Maria Maar
Von Christoph Richter · 12.01.2021
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Das Brandenburger Start-up ME Energy hält Patente für den Bau einer neuen Ladetechnik für Elektroautos und hofft auf eine Revolution im Automobilsektor: Die Ladesäulen funktionieren unabhängig vom Stromnetz. Ihren Strom erzeugen sie selbst.
"Wir befüllen die Ladestationen mit einem Bio-Energieträger: Methanol. Das ist die einfachste Art, flüssig Wasserstoff zu speichern. Und der wird in der Station umgewandelt in Strom. Das ist eine von uns patentierte Technologie."
Das heißt: Man braucht für die E-Ladesäule kein unterirdisch verlegtes Stromkabel. Denn der Strom wird im Inneren der Ladestation mittels eines Generators aus Methanol hergestellt.
Eine frappierende Idee des im brandenburgischen Wildau beheimateten Start-up-Unternehmens "ME Energy". Geschäftsführer ist Alexander Sohl, ein 30-jähriger Chemieingenieur. Kein Latte-Macchiato-Hipster, eher der Typ Bürokrat.
So eine Station könne man sich überall hinstellen, "theoretisch in den Garten oder auf die grüne Wiese. Denn Sie brauchen keinen Stromnetzanschluss. Und dadurch sind sie sehr flexibel."
Das klingt schon etwas verrückt: Strom tanken an einer Ladesäule, die nicht an das Stromnetz angeschlossen ist.
"Genau. Es ist ein kleines Mini-Kraftwerk mit einem flüssigen Energieträger. Der muss dann allerdings ungefähr alle zwei Monate nachgefüllt werden."

Energieträger aus Abfallstoffen

Deshalb ist diese Form der Elektromobilität nicht völlig nachhaltig. Weil die Tanks der Ladestationen mit Methanol befüllt werden – also per LKW beliefert werden müssen – kann das Vorhaben nicht CO2-neutral funktionieren. Der Energieträger Methanol selbst stammt aus Abfallstoffen.
"Das wird großtechnisch aus Ölen, aber auch aus Plastikmüll gemacht. Da gibt es verschiedene Partner. Hier in Brandenburg arbeiten wir beispielsweise mit Restaurantresten, die dann zu Methanol gemacht werden und bei uns zum Einsatz kommen.
Restaurantreste? Gemeint sind Öle von Fritteusen und aus Pfannen, erklärt Sohl.
"Oder was sonst noch so im Restaurant anfällt aus den Filtern. Das sind unglaubliche Mengen, das stellt man sich gar nicht so vor. Daraus kann man hochwertige Energieträger machen, man muss es nicht nur einfach verbrennen."

Die Investition ist nach fünf Jahren amortisiert

Alles in allem eine verblüffende Idee. Auch wenn man sich vergegenwärtigt, wie aufwändig und teuer die Genehmigungsverfahren für öffentliche Ladestationen sind. Meist seien dafür 150.000 Euro fällig, sagt der ursprünglich aus dem rheinland-pfälzischen Neustadt stammende Unternehmer Alexander Sohl. Mehr als der Kauf seiner ME Energy Ladestation, ergänzt er noch. Mit 110.000 Euro sei man dabei, die Anschaffung habe sich nach fünf Jahren amortisiert.
"Unsere Kunden sind Tankstellen, sind Unternehmen mit Fuhrparks, sind aber auch Supermärkte."

Weniger als 400 Ladestationen in Brandenburg

Nur zehn Minuten müsse man sein Auto an die Schnellladestation anschließen, um dann 200 Kilometer fahren zu können. Wer ein E-Auto hat, kennt das Problem nur zu gut. Gerade auf dem Land ist man schnell aufgeschmissen: Man kommt nicht weiter, weil es an Ladestationen fehlt.
Deutschlandweit gibt es nach Angaben der Bundesnetzagentur 17.375 Ladeeinrichtungen. Davon befinden sich gerade einmal 358 in Brandenburg.
Das sind viel zu wenige, sagte erst kürzlich Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie – VDA – dem "Spiegel" und forderte einen schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland.

230 Ladestationen pro 100.000 Bürger - in Norwegen

Die Bundesregierung will bis 2030 eine Million öffentlicher Ladepunkte aufstellen. Um das zu erreichen, bräuchte man ab sofort aber wöchentlich 2000 neue Ladepunkte, mahnt der VDA. Auch im europäischen Maßstab ist die Ladeinfrastruktur in Deutschland nur mangelhaft, klagt der Automobilverband. In Norwegen beispielsweise gibt es gut 230 Ladestationen pro 100.000 Bürger, das sind fast sechsmal so viel wie hierzulande.
"Das ist einfach das große Manko. Henne–Ei–Prinzip. Keine Ladestation, keine Elektromobilität. Und das müssen wir durchbrechen", meint der 48-jährige Alexander Trage, Mitarbeiter bei ME Energy in Wildau.
"Und wir müssen das vor allem mit Schnelllademöglichkeiten durchbrechen. Das ist der wirkungsvollste Hebel der Idee, dass man elektrisch fährt."
Etwa 50 dieser Ladesäulen – die in etwa die Größe eines Bauwagens haben – will man dieses Jahr nach eigenen Angaben herstellen und ausliefern.

Insgesamt hat die Firma neun Patente

ME Energy hat seinen Firmensitz in einer riesigen, 1000 Quadratmeter großen Lagerhalle im Technologie- und Wissenschaftspark Wildau im Landkreis Dahme-Spreewald. Hier wurden die ersten Prototypen der Ladestationen auf den Weg gebracht, und hier wird auch an deren Weiterentwicklung geforscht.
Fotos vom Innenleben der Schnellladestationen darf man nicht machen. Alles geheim, top secret, heißt es. Zum Schutz hat man sich die weltweit einzigartige Idee, wie die Tüftler sagen, patentieren lassen. Insgesamt besitze man aktuell neun Patente, unterstreicht Geschäftsführer Alexander Sohl nicht ohne Stolz.

Ein Autofreak. Von früh an hat ihn die Elektromobilität begeistert. Doch der Mangel an Ladestationen hat ihn schnell und mächtig genervt, sagt er:
"Das heißt, bei Fernfahrten kam es durchaus mal vor, dass man unplanmäßig irgendwo übernachten musste. Weil eben keine Ladestationen da waren. Man musste irgendwie klingeln an einem fremden Haus, fragen ‚Hey, kann ich mal in der Garage anstecken‘. Und so war die Idee geboren."
Ein grauer Container verbirgt die Technik, die Strom aus Restaurantresten für Elektroautos erzeugt. Von vorne sieht der Container aus wie eine Zapfsäule.
Ob im Vorgarten oder auf der Wiese: die vom Stromnetz unabhängige Schnellladestation ist die eine Idee eines Wildauer Start-ups.© Christoph Richter / Deutschlandradio

Gefördert vom Land Brandenburg

Das von Alexander Sohl und Inès Adler im Februar 2019 gegründete Start-up wird mit EU-Mitteln und vom Land Brandenburg gefördert. Das beteiligt sich mit zwei Millionen Euro. Finanziert durch die "Brandenburg-Kapital", ein Venture-Capital-Investor, eine hundertprozentige Tochter des Landes Brandenburg. Auch Privat-Investoren wie Helmut Bröker, ein früherer Porsche-CEO, oder Uwe Drechsel, ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Helios-Kliniken beteiligen sich an ME Energy.
Über die Höhe der Investitionen hüllt man sich allerdings in Schweigen.
Dieses Jahr will man die Serienproduktion der Stromnetz-unabhängigen Schnelladestationen aufnehmen. Und kalkuliert für das laufende Jahr mit einem Umsatz zwischen fünf und sieben Millionen Euro.

Eine Aufholchance für den Osten

Das alles ist ganz im Sinne des Brandenburger Ministerpräsidenten Dietmar Woidke von der SPD:
"Wir erleben momentan in Brandenburg eine industrielle Renaissance, die viel mit Klimaneutralität zu tun hat. Das ist heute in Brandenburg Realität. Und ein Modell. Nicht nur für ganz Deutschland, sondern auch für Europa."
Zusammen mit kleinen Start-ups wie etwa ME Energy und dem Investment des US-Autobauers Tesla habe Brandenburg die Riesenchance, dass der Osten nun aufholen und Anschluss finden könne, zu Bayern und Baden-Württemberg.

Optisch ist noch Luft nach oben

Noch sehen die grauen klobigen Kästen – die Schnelllade-Stationen des Wildauer Startups ME Energy – nicht gerade attraktiv aus. Keine Designwunder. Doch das will man ändern, meint Geschäftsführer Alexander Sohl:
"Wir sind natürlich von der Funktion her gekommen und haben nicht mit der Optik angefangen."
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