"Mittlerweile sind da auch Milliarden Dollar Umsatz möglich"

28.01.2013
Internet und 3D-Drucker machen es Unternehmern heute viel einfacher, eigene Produkte auf den Markt zu bringen, ist Journalist und Buchautor Chris Anderson überzeugt. Zwar seien es momentan noch keine Massenprodukte. Aber "es ist die Kombination von Millionen von Nischenprodukten, die sie letztendlich marktfähig macht", meint Anderson.
Katrin Heise: Der 3D-Drucker, der steht immer wieder im Mittelpunkt dieser Do-it-yourself-Makers-Bewegung. Eine Expertengruppe im Weißen Haus, auch das US-Wirtschaftsmagazin "Economist", namhafte Wissenschaftler, unzählige Blogger im Internet - alle sind sie sich einig, der 3D-Drucker für den Hausgebrauch, das ist der Innovationsschub dieses Jahres. 3D-Drucker, das sind also Maschinen, mit denen jetzt nicht etwa flaches Papier bedruckt wird, sondern eben dreidimensionale Objekte geschaffen werden. Den stellen wir Ihnen vor.

Thomas Otto stellt Ihnen die Technik genauer vor.

Heise: Die Welt der Bits geht über also in die Welt der Atome. Sie wird wieder greifbar, begreifbar, wenn aus dem Drucker eben kein Blatt Papier mehr kommt, sondern tatsächlich was weiß ich, eine Handy-Hülle oder ein Autoersatzteil. Wenn also aus demjenigen, der die Idee hatte, auch der Macher, der Maker geworden ist. Einer der Anhänger und auch Vordenker dieser Makers-Bewegung ist Chris Anderson. Er hat Physik studiert, ist Journalist, Ex-Chefredakteur der Zeitschrift "Wired". Heute kommt sein Buch "Makers - Das Internet der Dinge. Die nächste industrielle Revolution" in deutscher Übersetzung heraus. Ich habe vor der Sendung mit Chris Anderson sprechen können und habe ihn nach seinem Titel gefragt, "Makers", der Titel eben des neuen Buches. Wer sind diese Leute eigentlich? Was macht die aus?

Chris Anderson: Nun, diese Maker-Bewegung, die kommt wirklich aus der Internet-Generation, und da geht es einfach darum, dass digitale Techniken, auch digitale Designs dann plötzlich auf die Leute zukommen.

Heise: Sie erzählen in Ihrem Buch ja die Geschichte Ihres Großvaters. Der hat eine Sprinkleranlage erfunden, und Sie schildern uns seinen Kampf mit den Behörden, mit den Fabriken, damit diese Anlage dann auch hergestellt werden kann. Er musste seine Idee quasi weggeben, an ein Unternehmen verkaufen. Wie anders sind die Möglichkeiten heute? Sie haben da ja auch Erfahrung, Sie haben ja auch eine Sprinkleranlage beispielsweise erfunden.

Anderson: Ja, also im 20. Jahrhundert, zur Zeit meines Großvaters, da hatten Erfinder wirklich zwei ganz große Probleme. Einmal musste man einen Prototyp herstellen, dazu brauchte es Maschinen, dazu brauchte es Fertigkeiten, und dann musste man natürlich auch Fabriken finden, die so was dann auch in Massenfertigung herstellten. Und im Fall meines Großvaters - er war jemand mit den Fertigkeiten. Er kam aus der Schweiz, er war Ingenieur, er hatte die Ausbildung. Er war wenigstens in der Lage, einen Prototyp herzustellen, aber er besaß natürlich keine Fabrik. Das heißt, er war nicht in der Lage, dieses Produkt auch zur Marktreife zu bringen, und er musste sein Patent verkaufen. Er hat schon etwas Geld verdient, aber er war natürlich nicht der klassische Entrepreneur. Und was sich heute einfach verändert hat, ist, dass man mit der Idee einfach mehr machen kann. Der Prototyp, das lässt sich heute ganz einfach durch einen Drucker bewerkstelligen, und dann lädt man das einfach ins Web hoch, und da gibt es mittlerweile im Internet auch viele Internetfabriken, die dann auch in der Lage sind, mit diesem Design umzugehen.

Heise: Das heißt, der Weg vom Erfinder zum Macher bis hin zum Unternehmer ist gerade durch die Möglichkeit des Designs per Computer und des Machens per Computer sehr, sehr viel einfacher geworden?

Anderson: Ja, also das ist alles mit digitalem Design heute wirklich einfach. Meine Kinder beispielsweise, denen macht es auch wirklich Spaß. Und wenn man einen 3D-Drucker hat, ist es noch einfacher, wenn man ihn nicht hat, gibt es mittlerweile diese Cloud Manufactories, wie das heißt, die sich mit diesem digitalen Design eben auskennen, wie "shapeways.com" beispielsweise. Und dadurch ist es heute unglaublich einfach geworden, auch sein eigener Produzent zu sein. Man klickt einfach nur noch sich durchs Web. Und genauso, wie es eben möglich ist bei Musik und bei Videos, das auch sofort zu veröffentlichen, geht das eben auch jetzt mit Design.

Heise: Wir sprechen doch schon von Nischenprodukten, die da hergestellt werden. Welches Potenzial sehen Sie denn tatsächlich in dieser Maker-Bewegung, gerade was Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze angeht?

Anderson: Was aus dieser Maker-Bewegung stammt, sind in erster Linie erst mal Nischenprodukte, aber ich muss daran erinnern, die ersten Websites, die entstanden sind, waren damals auch Nischenprodukte. Und es ist die Kombination von Millionen von Nischenprodukten, die sie letztendlich marktfähig macht, und damit haben sie dann auch eine Reife für die Industrie. Weil sich immer viel mehr Experten dann mit diesen Nischenprodukten beschäftigen, die dann irgendwann auch keine Nischenprodukte mehr sind.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Ich war gerade in Las Vegas bei einer Electronics-Show, und da haben viele Kids eine neue Smartwatch praktisch herausgebracht. Und das hatte viel mehr Erfolg als bei Sony, die etwas Ähnliches wie eine Smartwatch herausgebracht haben. Aber diese vier Kids haben Sony praktisch kaputt gemacht mit ihrer Erfindung, weil ihre einfach viel besser war, und sie konnten so einem Giganten wie Sony da einfach auch die Stirn bieten.

Heise: Das, was die Öffentlichkeit sicherlich mit dieser Makers-Bewegung in Verbindung setzt, ist der 3D-Drucker. Eine Expertenkommission des Weißen Hauses bezeichnet diesen 3D-Druck als möglichen Megatrend der Zukunft. US-Starökonom Jeremy Rifkin erwartet sogar eine neue industrielle Revolution. Sehen Sie das ähnlich, Mr. Anderson?

Anderson: Was mit dieser neuen digitalen Technik einfach möglich ist, das zeigt dieser 3D-Printer, der wahrscheinlich das mächtigste und das beeindruckendste - die beeindruckendste Erfindung dieser neuen Bewegung darstellt. Aber es gibt ja auch zum Beispiel den 3D-Scanner, es gibt einen Lasercutter, und das ist eine Technologie, die sozusagen jetzt über den Desktop funktioniert, so wie das am Anfang mal bei dem Computer war. Und es sind nicht unbedingt alles neue Erfindungen, aber sie sind plötzlich für jeden erhältlich. Sie sind kleiner geworden, sie sind handlicher geworden, sie sind auch billiger geworden. Und Sie können wirklich auch in jedem Haushalt benutzt werden. Und damit sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt und auch der Produktivität nicht. Und wir stehen vor einem ähnlichen Phänomen, wie wir es vor 40 Jahren zu Beginn des PC-Zeitalters standen.

Heise: Also Mini-Fabrikation quasi für Zuhause. Chris Anderson, ein Anhänger der Maker-Bewegung von Beginn an, spricht hier im Deutschlandradio Kultur über diese neue industrielle Revolution. Herr Anderson, das hört sich fantastisch an, nach florierender Kleinindustrie hört sich das auch an, aber warum sind Sie so sicher, was macht Sie so sicher, dass diese Produkte auch Abnehmer finden?

Anderson: Es gibt ja Beispiele wie "Kickstarter", es gibt ja diese Internet-Marktplätze, die mittlerweile Milliarden von Dollar Umsatz generieren. Und dann ist es eben auch so, dass eine Demokratisierung stattfindet, genau wie es eine Demokratisierung bei den Computern gesehen hat. Und wir wissen, was so eine Demokratisierung möglich macht und was für eine Wirtschaftsmacht letztendlich dahintersteckt. Und wenn jetzt Amateure in der Lage sind, eben ihre eigenen Hersteller zu werden, ihre eigenen Produzenten zu werden und eben auch physische Dinge herzustellen, dann übersteigt das wahrscheinlich die Möglichkeiten der digitalen Revolution noch um ein Vielfältiges. Mittlerweile habe ich sogar zwei Fabriken, und ich habe mir das Material bei Ebay zusammengekauft. Also die Barrieren heutzutage, Dinge herzustellen, seine eigene Fabrik sozusagen zu haben, die sind einfach so gesunken. Mittlerweile sind da auch Milliarden Dollar Umsatz möglich.

Heise: Da möchte ich gerne noch weiter dahinterhaken. Sie sagen, das Web hat die Mittel zur Innovation und zur Produktion demokratisiert. Das stimmt sicherlich einerseits, aber andererseits haben eben Apple, Microsoft, Google und Co. nach wie vor oder ganz besonders eine marktbeherrschende Stellung. Das kann man doch schlecht Demokratie nennen?

Anderson: Nun, natürlich ist das, was Sie sagen, nicht inkorrekt. Google kontrolliert viele Teile des Webs, Apple hat sehr viel in Hardware investiert und Microsoft in Software, aber wir bleiben doch diejenigen, die das Netz wirklich kontrollieren. Wir, die Individualisten. Nehmen Sie das Beispiel Youtube: Das gehört Google, aber wer kontrolliert Youtube? Das sind wir, die Benutzer. Das heißt - oder auch beim iPhone: Das ist nicht Apple, das nur das iPhone kontrolliert, sondern all diese Kreativen, die sich die neuen Apps ausdenken. Das heißt, wir benutzen ihre Plattformen oder wir benutzen ihre Macht auch dazu, um eben diese Demokratisierung letztendlich durchzusetzen. Deswegen glaube ich, dass sozusagen es der individuelle Nutzer ist, der diesen marktdominierenden Konzernen da durchaus etwas entgegensetzen kann.

Heise: Ich habe sogar noch eine andere Angst. Wenn ich nämlich an die von Ihnen erhoffte Kleinindustrie, an die kreativen Heimwerker denke, die am Ende, so schreiben Sie es auch in Ihrem Buch, vielleicht sogar die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer beenden könnten oder da auf jeden Fall gegenwirken könnten, weil es einfach zu Hause einfacher geht, Dinge zu produzieren. Droht aber nicht viel eher die Gefahr durch das ganze Platzieren im Internet, die Gefahr noch größerer Produktpiraterie beispielsweise?

Anderson: Was die Piraterie betrifft, da gibt es natürlich zwei Formen von Piraterie. Es gibt natürlich einmal die Piraterie, wo die Erlaubnis einfach fehlt, das bezeichnen wir zu Recht als Piraterie. Und dann gibt es eine mit der Erlaubnis des Erfinders, das nennen wir Open Source. Und das ganze Web beispielsweise funktioniert ganz stark auf Open-Source-Ideen. Meine eigenen Fabriken, meine eigenen Geschäftsmodelle basieren auf Open Source. Und das ermöglicht ja auch, dass man Dinge permanent verbessern kann.

Heise: Makers auf dem Vormarsch. Hat die nächste industrielle Revolution also schon begonnen. Ich sprach mit Chris Anderson. Bei der Übersetzung half Jörg Taszmann. Wir spüren dieser Entwicklung in dieser Woche jeden Tag im Radiofeuilleton nach. Heute Nachmittag fragen wir beispielsweise nach den tatsächlichen alltäglichen Einsatzmöglichkeiten für den ja auch heute vorgestellten 3D-Drucker.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.