Mittelstand fordert Abbau des "bürokratischen Irrsinns"

Moderation: Hanns Ostermann |
Der Präsident des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft, Mario Ohoven, hat das von der Bundesregierung geplante Mittelstandsentlastungsgesetz begrüßt. Es sei positiv, dass die Regierung den "ausufernden Statistikpflichten" zu Leibe rücken wolle, sagte Ohoven. Allerdings reichten diese Maßnahmen noch nicht aus. Der hohe Bürokratieaufwand koste die Wirtschaft pro Jahr etwa 40 Milliarden Euro.
Hanns Ostermann: Hat Berlin die Weichen richtig gestellt? Dazu Fragen an Mario Ohoven. Er ist der Präsident des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft. Guten Morgen Herr Ohoven.

Mario Ohoven: Guten Morgen Herr Ostermann.

Ostermann: Steht der Zug jetzt auf dem richtigen Gleis oder gehen Ihnen die angekündigten Maßnahmen noch nicht weit genug?

Ohoven: Also zunächst einmal begrüßen wir es, dass die Bundesregierung mit ihrem Mittelstandsentlastungsgesetz überhaupt den ausufernden Statistikpflichten zu Leibe rücken will. Ich übertreibe da wirklich nicht. Es gibt mehr als 360 Meldestatistik- und Bescheinigungspflichten für Unternehmen. Sozusagen für jeden Tag des Jahres eine. Wir haben in Deutschland aber ganz überwiegend kleine und Kleinstbetriebe. Das heißt, die können nicht einfach einen Mitarbeiter abstellen, der nur die Statistikbögen ausfüllt. Also muss sich Unternehmerin oder Unternehmer selbst hinsetzten und diese Zeit fehlt ihnen dann schon wirklich für sinnvolle Aufgaben, von den schon genannten Kosten, das muss man mal ganz, ganz klar sagen: Die Bürokratie kostet die Unternehmen bei uns jährlich rund 40 Milliarden Euro und das ist noch ganz konservativ gerechnet. Ich denke, am besten wäre es, wenn einfach alle Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten komplett von diesen Statistikpflichten befreit würden. Das ist eine alte Forderung des Bundesverbandes mittelständischer Wirtschaft.

Ostermann: Also in diesem Punkt hätten Sie sich ein konsequenteres Vorgehen gegen den Bürokratiedschungel gewünscht. Wo noch?

Ohoven: Ich muss ganz klar sagen, was macht Holland? Holland macht momentan Bürokratieabbau und das wäre übertragbar auf Deutschland. Damit hätten wir endlich ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles Instrument gegen den bürokratischen Irrsinn hier in Deutschland. Jedes Gesetz, jede Verordnung bringt für die Wirtschaft neue Formulare, neue Anträge und Statistikpflichten mit sich. Und da rechnet man vorerst durch und zwar für jedes Ministerium verbindlich, was dieser Verwaltungsaufwand die Unternehmen ganz konkret in Arbeitsstunden kostet. Und Holland will so bis 2007 die Bürokratiekosten um 25 Prozent senken. Und ich bin davon überzeugt, dass sie das mit diesem Kostenmodell auch packen.

Ostermann: Übertragen auf Deutschland: Das wären bei 40 Milliarden, 10 Milliarden, also eine ganze Menge, wobei ich mit diesen Zahlen immer so ein bisschen Probleme habe Herr Ohoven. Es gibt irgendjemand der sagt, ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe. Sind diese 40 Milliarden wirklich definitiv, von denen Sie gesprochen haben?

Ohoven: Ja, also es gibt nicht nur einige Verbände, sondern auch die Industrie- und Handelskammer und andere sind bei dieser Zahl. Und hier muss man ganz, ganz klar sagen, ich denke, dass dieses neue Modell auch eine Gewähr für neue Arbeitsplätze geben wird, weil sich das indirekt auswirkt. Schauen Sie mal, Experten sprechen davon, dass bis zum Jahr 2020, bei einem totalen Abbau der Bürokratie, mindestens, und das ist eine ganze Menge, vier Millionen Arbeitsplätze neu geschaffen werden können. Schauen wir noch mal auf Holland. Da machen die Kosten für Bürokratie etwas mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Wenn die Holländer ihr 25-Prozent-Ziel erreichen, würde das nach Expertenschätzung ein Wachstumsimpuls von mindestens anderthalb Prozent auslösen und neue Arbeitsplätze entstehen bekanntlich nur bei Wachstum. Deshalb glaube ich, wenn wir in Deutschland ebenfalls die Bürokratiekosten um 25 Prozent reduzieren könnten, würde das zumindest hunderttausende neue Jobs bringen. Sicherlich nicht von einem zum anderen Tag, aber mittelfristig schon.

Ostermann: Bei uns in Deutschland sollen die Kosten neuer Gesetzte, die das Kabinett passieren, künftig von einem Normenkontrollrat geprüft werden. Der wiederum hat kein Vetorecht gegenüber dem Bundestag. Beginnt da wieder eine neue Form der Bürokratie?

Ohoven: Ja, da beginnt sie wieder. Ich kann nur ganz, ganz klar sagen: Lieber Gesetzgeber, wenn du schon am laufenden Meter neue Vorschriften produzieren musst, dann versieh diese Gesetzte doch wenigstens mit einem automatischen Verfallsdatum. Die bisherigen Erfahrungen mit Schwarz-Rot stimmen mich auch nicht gerade optimistischer. Nehmen Sie das Vorziehen der Fälligkeit für die Beiträge zur Sozialversicherung. Das hat für die Betriebe zusätzliche Bürokratie und damit erhebliche Mehrkosten gebracht. Oder ein ganz aktuelles Beispiel: Das Bundesbildungsministerium verschickt gerade an die Ausbildungsbetriebe und zwar zusätzlich zu jedem Ausbildungsvertrag einen wunderbaren, neuen Kurzfragebogen zur Berufsbildungsstatistik. Wir hatten im Vorjahr rund eine halbe Millionen Ausbildungsverträge, das macht also 500.000 Fragebögen extra. Wenn das der Bürokratie-TÜV der neuen Regierung sein soll, dann sage ich, was fehlt, ist ein systematischer, politischer Ansatz.

Ostermann: Viele Gesetzte in Berlin entstehen unter dem Einfluss von Brüssel. Muss der Kampf gegen den Amtsschimmel nicht dann auch verstärkt auf europäischer Ebene geführt werden?

Ohoven: Aber selbstverständlich. Hier muss in Brüssel mehr getan werden.

Ostermann: Weniger Bürokratie, das bedeutet umgekehrt aber auch für Sie, Herr Ohoven und Ihre Kollegen, mehr Freiraum, mehr Eigenverantwortung. Ist der Mittelstand darauf vorbereitet?

Ohoven: Ja. Ich muss ganz. ganz klar sagen, ich bin davon überzeugt, die Zahl der Unternehmensgründung würde ansteigen. Der Schritt in Richtung Selbstständigkeit würde gefördert. Welche Vorschriften bringen die Firmen besonders auf die Palme? Da muss ich klar sagen, hier muss im Kündigungsschutz was getan werden, bei den Auskunftspflichten. Wir fordern ein Gesetz, das Betriebe bis zu 20 Beschäftigten von den statistischen Auskunftspflichten beispielsweise über die Beschäftigtenzahl befreit. Das kostet viel Zeit. Die Mehrwertsteuer: Wird ein Produkt verkauft, muss der Verkäufer die enthaltende Mehrwertsteuer direkt an das Finanzamt überweisen, obwohl er noch gar kein Geld bekommen hat. Probleme treten auf, wenn der Kunde nicht zahlt. Der Verkäufer muss sich dann die Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen. Ein Aufwand, der überhaupt nicht nötig wäre, könnte er die Mehrwertsteuer erst nach Erhalt des Geldes abführen. Hier muss ich ganz klar sagen, auch das kostet die Betriebe nicht nur Zeit, sondern das kostet die Betriebe unter anderem Liquidität und Sie wissen genau, Eigenkapital haben wir, der Mittelstand sehr, sehr wenig. Das ist bei uns ein großes Problem.

Ostermann: Wollen wir hoffen, dass heute früh der Bundesfinanzminister zugehört hat. Vielen Dank.