Kommentar
Eine IWF-Studie kommt zu dem Schluss: Die Dominanz von mittelständischen Familienunternehmen hat Deutschland zu einem der sozial ungleichsten Industrieländer gemacht. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Familienunternehmen: ein Problem für Deutschland
04:10 Minuten

Von Heike Buchter · 08.11.2023
Mittelständische Familienunternehmen gelten als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, als diskrete Industrie-Ikonen. Falsch, sagt die Publizistin Heike Buchter. Sie meint: Familienunternehmen machen Deutschland ungerechter und bremsen Innovationen.
Sie gelten als die freundlichere, nachhaltigere Variante des Kapitalismus: mittelständische Familienunternehmen. Beliebt bei deutschen Medien und quer durch alle politischen Parteien, die in ihren Programmen gerne versprechen, sie zu stärken.
Familienunternehmen seien loyaler zu Mitarbeitern, smarter und innovativer, wird behauptet. Tatsächlich gibt es für diese angeblichen Vorzüge wenig unabhängige Belege. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds aus 2019 kommt zu einem ganz anderen Schluss: Die Dominanz von Unternehmen, die oft über mehrere Generationen einem Clan gehören, haben Deutschland zu einem der sozial ungleichsten Industrieländer gemacht.
Ungleiche Verteilung der Einkommenszuwächse
Nehmen wir die Vermögensverteilung: Im Jahr 1993 war das Durchschnittsvermögen der reichsten zehn Prozent der deutschen Haushalte bereits 50-mal größer als das der unteren Hälfte der Haushalte in der Vermögensverteilung. Heute ist das Durchschnittsvermögen der obersten zehn Prozent jedoch 100-Mal so groß wie das der unteren 50 Prozent der Haushalte.
Dabei ist Deutschlands Wirtschaft seit Jahrzehnten die stärkste der EU, nicht zuletzt durch das Exportgeschäft. Doch die Einkommenszuwächse wurden nicht gleichmäßig verteilt. Stattdessen flossen die steigenden Gewinne aus der Globalisierung überwiegend an die Eigentümer der Unternehmen. Das hat die Zahl der Superreichen im Land steigen lassen.
Mittelständler: Unternehmen in privater Hand
Laut dem US-Magazin Forbes gibt es in Deutschland inzwischen 126 Milliardäre. Damit liegt Deutschland im Ranking der meisten Milliardäre inzwischen weltweit auf dem vierten Platz. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass es zwar mehr Milliardäre in den USA, China und Indien gibt - diese Länder jedoch auch eine viel größere Gesamtbevölkerung haben.
Interessant ist in dem Kontext, dass deutschen Kleinanlegern gerne vorgeworfen wird, sie würden zu wenig auf Aktien setzen. Zu ängstlich seien sie, zu wenig unternehmerisch. Weshalb ihnen große Gewinne entgingen. Doch die Familien, denen das Gros der deutschen Mittelständler gehört, haben offenkundig gar kein Interesse an einer solchen Teilhabe: Die meisten ihrer Unternehmen sind in privater Hand.
Interessant ist in dem Kontext, dass deutschen Kleinanlegern gerne vorgeworfen wird, sie würden zu wenig auf Aktien setzen. Zu ängstlich seien sie, zu wenig unternehmerisch. Weshalb ihnen große Gewinne entgingen. Doch die Familien, denen das Gros der deutschen Mittelständler gehört, haben offenkundig gar kein Interesse an einer solchen Teilhabe: Die meisten ihrer Unternehmen sind in privater Hand.
Negative Auswirkung auf den deutschen Aktienmarkt
Und selbst von den an der Börse notierten Mittelständlern werden über 60 Prozent nach wie vor von einer Familie kontrolliert, weil sie die Stimmenmehrheit der Aktien hält. Das erklärt unter anderem, warum der deutsche Aktienmarkt nie die Bedeutung erlangt hat wie in den USA. Was wiederum zur Folge hat, dass Gründer nur wenig Möglichkeiten finden, ihr Start-up etwa über einen Börsengang in Deutschland zu finanzieren.
Das treibt viele in die USA. Die Ironie: Zu den wenigen Finanzierungsquellen für Gründer in Deutschland gehört Wagniskapital, das oft von den milliardenschweren Unternehmerfamilien kommt - wie der BMW-Erbin Susanne Klatten oder Lidl-Gründer Dieter Schwarz. Beide finanzieren Startup-Fonds. Und damit haben die Eigentümerfamilien von heute ihre Hand auch auf den potenziellen Unternehmen von morgen.
Steuervorteile für Erben von Familienunternehmen
Der Mythos des guten Familienunternehmens hat Folgen für die Allgemeinheit: Erben werden weitgehend von Steuern verschont. Damit sollen Betriebe und Arbeitsplätze geschützt werden. Wenn die Erben Steuern zahlen müssten, so die Furcht, würden sie das Unternehmen verkaufen oder zerschlagen. So ist es möglich, mit etwas Geschick und den richtigen Beratern, Milliarden am Finanzamt vorbei an die nächste Erbengeneration weiterzureichen.
Auch zum Schutz deutscher Familienunternehmen sind zudem große Aufgaben wie die Energiewende und Digitalisierung Jahrzehnte verschleppt worden. Die Regierenden trauten sich einfach nicht, Unternehmen und ihre Eigentümer stärker zur Kasse zu bitten, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen.
Man muss keine Neiddebatte führen, um darin ein Problem zu erkennen und zwar für ganz Deutschland.