Mittelalterlicher Fortschritt
In der Ausstellung "Aufbruch in die Gotik" zeigt das Kulturhistorische Museum Magdeburg, dass das Mittelalter nicht nur eine dunkle Epoche war. Im Gegenteil: Es war auch eine Zeit, in der die Menschen einen gewaltigen Umbruch im Denken und Wissen erlebten.
Es ist eine Entdeckungsreise ins Mittelalter. In eine Epoche, die anscheinend weit mehr zu bieten hatte als nur Inquisition oder leere scholastische Debatten. Glaubt man der Ausstellung, dann erlebten die Menschen in dieser Zeit einen gewaltigen Umbruch im Denken und Wissen. Dass auch die Stadt Magdeburg ihren Anteil an diesem Aufbruch in die Gotik hatte, will die Schau illustrieren. Sichtbar wird dies vor allem in der Baukunst. Im Mittelpunkt steht darum der Dom St. Mauritius und St. Katharina. Erzbischof Albrecht II. ließ vor genau 800 Jahren den Grundstein für diese imposante Kathedrale legen. Matthias Puhle, Direktor der Magdeburger Museen, erklärt, warum gerade dieser Dom so bedeutsam ist:
"MD ist deshalb so wichtig, weil hier der erste Kathedralebau im gotischen Stil erfolgt, nämlich 1209 auf deutschem Boden. Das liegt an zwei Dingen, 1207 brennt der ottonische, der frühromanische Dom ab. Und der neue Erzbischof, Albrecht II., der in Paris und Bologna studiert hat, der hat Notre Dame entstehen sehen und war von der ernormen Architektur so beeindruckt, die sich nach oben reckt, die die Romanik überwindet."
Die neuesten Funde der archäologischen Grabungen im Magdeburger Dom werden gezeigt. Es sind mehr als 70 Objekte aus dem 10. bis 12. Jahrhundert, die die Forscher in dem Sakralbau entdeckten. Anhand von menschengroßen Sandsteinfiguren, deren spektakulärste die heilige Kunigunde aus Bamberg ist, zeigt die Schau, wie mit der Gotik auch eine Individualisierung einherging. Die Bildhauer legten Wert auf Anmut und den emotionalen Ausdruck ihrer Gestalten. Museumsdirektor Matthias Puhle betont, dass es sich bei der Schau jedoch um keine reine Architekturausstellung handele.
"In der Ausstellung geht es darum, die Epoche zu zeigen, in der die Romantik zur Gotik umbricht im kunstgeschichtlichen Sinne. Historisch aber auch vom hohen Mittelalter aus sich das späte Mittelalter entwickelt."
Der Blick richtet sich auf den Zeitraum von 1198 bis etwa 1250. Das ist historisch gesehen die später Stauferzeit, die Epoche Friedrich II. Acht Themenbereiche zeigen den Fortschritt dieser Zeit. Es geht dabei um Kunst, Kultur und Gesellschaft. Auch wenn die meisten der 400 Exponate nicht aus Magdeburg stammen, so haben sie doch fast immer einen Bezug zu der Stadt.
Besonders eindrucksvoll ist vor allem die Heidelberger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Sie liegt sicher verwahrt in einer Panzervitrine. In dieser Handschrift wurde erstmals das sächsische Gewohnheitsrecht in mittelhochdeutscher Sprache aufgeschrieben. Der Ritter Eike von Repkow, der in einem Dorf südlich von Magdeburg aufwuchs, schuf diese berühmte Rechtshandschrift. Die Vorstellung, dass man das Recht erst niederschreiben muss, um es studieren und kommentieren zu können, zeige, wie fortschrittlich die Menschen von damals gewesen seien, sagte Museumsdirektor Matthias Puhle.
"Das ist im Grunde eine Art Vorhumanismus, eine Art Voraufklärung, die hier stattfindet. Im 13. Jahrhundert bahnt sich die Neuzeit an durch diese explosionsartige Vermehrung des Wissens. Und das hat ja immer auch Skepsis, Zweifel, Diskurs zur Folge, und das einheitliche Weltbild zerbricht natürlich auch schon allmählich, es dauert zwar noch bis zur Reformation, aber es deutet sich da bereits an. In dieser Wissensgesellschaft des 13. Jahrhunderts wird schon der Keim des Zweifels gelegt, ob denn das alles so richtig ist, was über die Jahrhunderte von Kirche und Staat so verkündet worden ist."
Zur Magdeburger Entdeckungsreise ins hohe Mittelalter gehört natürlich auch der Bleisarkophag der Königin Editha, der erstmals einem Publikum gezeigt wird. Erst Ende vergangenen Jahres war der Sarg im Magdeburger Dom entdeckt worden. Ein Glücksfall für unsere Ausstellung, sagt Museumsdirektor Puhle. Neben Heiligenfiguren kann man auch ein Spottbild aus Holz bewundern. Es zeigt den Markgrafen von Brandenburg, der im Jahr 1278 von den Magdeburgern besiegt wurde. Kuratorin Gabriele Köster:
"Ein mittelalterlicher Brauch, der heute fast vergessen ist und für den es natürlich auch wenig Überlieferungszeugnisse gibt, ist eben die Bloßstellung durch Porträt. Das geschieht in Zivilprozessen, in strafrechtlichen Prozessen und eben natürlich auch in politischen Auseinadersetzungen. Über Jahrhunderte lang war eben dieser Markgraf in Fesseln gezeigt im Dom und konnte dort verspottet werden."
Am Ende der Ausstellung erhält der Besucher schließlich auch Einblicke in das städtische Leben dieser Zeit. Zu sehen sind unerwartet farbenfrohe Alltagsgegenstände: filigraner Schmuck und aufwendige Glasmalereien. Und so erhärtet sich schließlich der Eindruck: Die Menschen im späten Mittelalter befanden sich im Umbruch, sie fingen an, das irdischen Leben zu genießen.
Service:
Die Ausstellung "Aufbruch in die Gotik - Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit" ist noch bis zum 6. Dezember 2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg zu sehen.
"MD ist deshalb so wichtig, weil hier der erste Kathedralebau im gotischen Stil erfolgt, nämlich 1209 auf deutschem Boden. Das liegt an zwei Dingen, 1207 brennt der ottonische, der frühromanische Dom ab. Und der neue Erzbischof, Albrecht II., der in Paris und Bologna studiert hat, der hat Notre Dame entstehen sehen und war von der ernormen Architektur so beeindruckt, die sich nach oben reckt, die die Romanik überwindet."
Die neuesten Funde der archäologischen Grabungen im Magdeburger Dom werden gezeigt. Es sind mehr als 70 Objekte aus dem 10. bis 12. Jahrhundert, die die Forscher in dem Sakralbau entdeckten. Anhand von menschengroßen Sandsteinfiguren, deren spektakulärste die heilige Kunigunde aus Bamberg ist, zeigt die Schau, wie mit der Gotik auch eine Individualisierung einherging. Die Bildhauer legten Wert auf Anmut und den emotionalen Ausdruck ihrer Gestalten. Museumsdirektor Matthias Puhle betont, dass es sich bei der Schau jedoch um keine reine Architekturausstellung handele.
"In der Ausstellung geht es darum, die Epoche zu zeigen, in der die Romantik zur Gotik umbricht im kunstgeschichtlichen Sinne. Historisch aber auch vom hohen Mittelalter aus sich das späte Mittelalter entwickelt."
Der Blick richtet sich auf den Zeitraum von 1198 bis etwa 1250. Das ist historisch gesehen die später Stauferzeit, die Epoche Friedrich II. Acht Themenbereiche zeigen den Fortschritt dieser Zeit. Es geht dabei um Kunst, Kultur und Gesellschaft. Auch wenn die meisten der 400 Exponate nicht aus Magdeburg stammen, so haben sie doch fast immer einen Bezug zu der Stadt.
Besonders eindrucksvoll ist vor allem die Heidelberger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Sie liegt sicher verwahrt in einer Panzervitrine. In dieser Handschrift wurde erstmals das sächsische Gewohnheitsrecht in mittelhochdeutscher Sprache aufgeschrieben. Der Ritter Eike von Repkow, der in einem Dorf südlich von Magdeburg aufwuchs, schuf diese berühmte Rechtshandschrift. Die Vorstellung, dass man das Recht erst niederschreiben muss, um es studieren und kommentieren zu können, zeige, wie fortschrittlich die Menschen von damals gewesen seien, sagte Museumsdirektor Matthias Puhle.
"Das ist im Grunde eine Art Vorhumanismus, eine Art Voraufklärung, die hier stattfindet. Im 13. Jahrhundert bahnt sich die Neuzeit an durch diese explosionsartige Vermehrung des Wissens. Und das hat ja immer auch Skepsis, Zweifel, Diskurs zur Folge, und das einheitliche Weltbild zerbricht natürlich auch schon allmählich, es dauert zwar noch bis zur Reformation, aber es deutet sich da bereits an. In dieser Wissensgesellschaft des 13. Jahrhunderts wird schon der Keim des Zweifels gelegt, ob denn das alles so richtig ist, was über die Jahrhunderte von Kirche und Staat so verkündet worden ist."
Zur Magdeburger Entdeckungsreise ins hohe Mittelalter gehört natürlich auch der Bleisarkophag der Königin Editha, der erstmals einem Publikum gezeigt wird. Erst Ende vergangenen Jahres war der Sarg im Magdeburger Dom entdeckt worden. Ein Glücksfall für unsere Ausstellung, sagt Museumsdirektor Puhle. Neben Heiligenfiguren kann man auch ein Spottbild aus Holz bewundern. Es zeigt den Markgrafen von Brandenburg, der im Jahr 1278 von den Magdeburgern besiegt wurde. Kuratorin Gabriele Köster:
"Ein mittelalterlicher Brauch, der heute fast vergessen ist und für den es natürlich auch wenig Überlieferungszeugnisse gibt, ist eben die Bloßstellung durch Porträt. Das geschieht in Zivilprozessen, in strafrechtlichen Prozessen und eben natürlich auch in politischen Auseinadersetzungen. Über Jahrhunderte lang war eben dieser Markgraf in Fesseln gezeigt im Dom und konnte dort verspottet werden."
Am Ende der Ausstellung erhält der Besucher schließlich auch Einblicke in das städtische Leben dieser Zeit. Zu sehen sind unerwartet farbenfrohe Alltagsgegenstände: filigraner Schmuck und aufwendige Glasmalereien. Und so erhärtet sich schließlich der Eindruck: Die Menschen im späten Mittelalter befanden sich im Umbruch, sie fingen an, das irdischen Leben zu genießen.
Service:
Die Ausstellung "Aufbruch in die Gotik - Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit" ist noch bis zum 6. Dezember 2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg zu sehen.