Mitschuld der Kirche am Völkermord in Namibia

"Es fehlt die Bereitschaft zur Wiedergutmachung"

Stammesoberhaupt Chief Vekuii Rukoro (M, rote Uniform) und andere örtliche Stammesältere stehen auf dem Hügel, von dem aus der damalige deutsche Generalleutnant Lothar von Trotha den Schießbefehl gab, der den Beginn des Völkermordes an den Herero markierte.
Gedenken an Völkermord in Namibia: Stammesoberhaupt Chief Vekuii Rukoro (M, rote Uniform) und andere örtliche Stammesältere stehen auf dem Hügel, von dem aus der der Schießbefehl für den Genozid gegeben wurde. © picture alliance / dpa / Jürgen Bätz
Markus Braun im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 14.05.2017
Auch die Kirche trägt Schuld am Völkermord in Namibia. Die damals vom Evangelischen Oberkirchenrat entsandten Pfarrer seien mit den Kolonialtruppen ins Feld gezogen, sagt Markus Braun vom Mainzer Arbeitskreis Südliches Afrika. Der Evangelische Kirche erkenne dies an. Es fehle aber die Bereitschaft zur Wiedergutmachung.
Auch die Kirche trägt Schuld am Völkermord in Namibia. Die damals vom Evangelischen Oberkirchenrat entsandten Pfarrer seien mit den Kolonialtruppen mit ins Feld gezogen, sagt Markus Braun vom Mainzer Arbeitskreis Südliches Afrika. Die Evangelische Kirche sei bereit, dies anzuerkennen. Es fehle aber die Bereitschaft zur Wiedergutmachung.
Anne Françoise Weber: In der namibischen Hauptstadt Windhoek tagt zurzeit der Lutherische Weltbund. Das Gastland Namibia wollen wir uns jetzt genauer anschauen und besonders die Geschichte der lutherischen Kirchen dort. Davon gibt es gleich drei: eine bis heute deutschsprachige und stark mit der Evangelischen Kirche in Deutschland verbundene, und zwei weitere, die auf Missionare aus dem Rheinland und aus Finnland zurückgehen.
Welche Rolle die Kirchen in der bewegten Geschichte Namibias gespielt haben, darüber habe ich vor der Sendung mit Markus Braun gesprochen. Er ist Mitgründer des Mainzer Arbeitskreises Südliches Afrika, kurz: MAKSA, ein 1972 gegründeter Zusammenschluss kirchlicher Anti-Apartheid-Aktivisten. Als Pfarrer hat er in Südafrika gearbeitet und war danach lange Jahre im Gemeindedienst für Mission und Ökumene der Evangelischen Kirche im Rheinland tätig. Namibia ist als frühere deutsche Kolonie in letzter Zeit in den Fokus geraten. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung den Völkermord an den Herero und Nama anerkannt, die Diskussionen um Entschädigungen halten allerdings noch an. Herr Braun, wie hat sich denn die evangelische Kirche zur Zeit des Völkermords, also von 1904 bis 1908, verhalten

Militarisierte Siedler und Progrome

Markus Braun: Da waren beteiligt damals die vom Evangelischen Oberkirchenrat entsandten Pfarrer, also der Vorgängerorganisation der EKD. Und die sind also am Krieg beteiligt gewesen in der Form, dass sie in einem großen Aussendungsgottesdienst die Truppen, die in das Feld gezogen sind, gesegnet haben. Und sie haben in den Feldgottesdiensten dann auch mitgemacht oder sie haben diese Feldgottesdienste veranstaltet, waren also eng mit der Truppe, die den Völkermord praktiziert hat, verbunden. Es war so, dass damals in Namibia schon eine Gemeinde bestand, eine deutsche Gemeinde aus Kolonialtruppensiedlern und Kolonialbeamten. Diese Gemeinde unterstand direkt dem Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin. Und in dieser Gemeinde wurde Gottesdienst gehalten, dabei war der Altar mit einer Reichskriegsflagge drapiert und die Lieder wurden aus Militärgesangbüchern gesungen.
Weber: Also, da gibt es einiges, wofür man sich entschuldigen könnte. Nun hat ja die EKD, also als Nachfolgeorganisation, Ende April eine Erklärung vorgelegt, in der sie die Nachfahren der Opfer des Völkermords um Vergebung gebeten hat. Der Präsident des Lutherischen Weltbunds Munib Younan hat das jetzt in Windhoek als einen wichtigen Schritt bezeichnet. Sie haben vom Mainzer Arbeitskreis eine Stellungnahme dazu veröffentlicht, in der deutlich wird, dass Ihnen diese Erklärung nicht ausreicht. Warum?
Braun: Also, es waren praktisch drei Pfarrer, die infrage kamen in dieser Zeit und die sich beteiligt haben an den Feldzügen. Und in der Erklärung wird von Ausnahmen gesprochen, dass es Ausnahmen gegeben hätte. Das ist nicht der Fall, es hat keine Ausnahmen gegeben, es waren diese drei Pfarrer, die beteiligt waren. Und zweitens blendet die EKD-Erklärung aus, dass in Namibia schon eine Gemeinde bestand oder im Entstehen war aus eben den genannten Gruppierungen. Und diese Gemeinde war stark militarisiert und bestand aus Siedlern, die schon vorher auch immer wieder von einer notwendigen Vernichtung der einheimischen Völker gesprochen haben und das in einzelnen bekannten Pogromen auch schon praktiziert haben. Von all dem ist in der EKD-Erklärung nicht die Rede. Es betrifft aber die Geschichte dieser einheimischen deutschen evangelischen Kirche und damit auch deren Partnerkirche, die EKD, die noch immer diese Kirche finanziell und vor allem personell durch die Entsendung von Pfarrern unterstützt. Mehr als die Hälfte der heutigen dort tätigen Pfarrer stammen aus Deutschland.

Wiedergutmachtung - "damit tut sich die Kirche schwer"

Weber: Sollte die EKD denn auf die deutsche Regierung Druck machen, dass es zu Entschädigungszahlungen an die Nachfahren der Opfer kommt? Oder sollte die EKD sich selbst an solchen Zahlungen beteiligen?
Braun: Also, die EKD beteiligt sich wohl jetzt oder ist jetzt bereit, den Völkermord als Völkermord anzuerkennen, wie das die deutsche Regierung getan hat. Aber es fehlt wie auch auf Regierungsseite bisher eine offizielle Schulderklärung, also auf Regierungsseite des Staatsoberhaupts und auf kirchlicher Seite des EKD-Ratsvorsitzenden. Und es fehlt aufseiten der EKD auch die Bereitschaft zur Wiedergutmachung.
Es ist wohl immer wieder von Versöhnung die Rede und dass die Wunden geheilt werden müssen, aber dass jetzt eigentlich auch eine regelrechte Widergutmachung am Platz wäre, wird vermieden. Und darin sehen wir das entscheidende Versäumnis. Aber die EKD hätte ja auch die Aufgabe, die Regierungsverantwortlichen darauf hinzuweisen, dass sie in angemessener Weise eine Wiedergutmachung leistet, und zwar an die in besonderer Weise betroffenen Gruppen. Und auch damit tut sich sowohl die Regierung als auch die Kirche bisher sehr schwer.

Nationale Gedenkstätten als Stätten der deutschen Schuld

Weber: In Windhoek steht die Christuskirche, 1910 erbaut, sehr massiv, sollte damals sozusagen den Sieg über die Herero und Nama auch architektonisch verkörpern. Sie wünschen sich, dass daraus ein Gedenkort wird. Wie könnte der aussehen, wie kann man damit umgehen?
Braun: Ja, da müsste einmal die Geschichte dieser Kirche historisch genau erforscht werden, das ist bisher nur sehr unzureichend geschehen. Und dann müsste auch ein offizieller Akt vonseiten der lutherischen Kirchen erfolgen, weil an dieser Stelle auch, wo also bisher nur der umgekommenen deutschen Kolonialtruppen gedacht wird, auch in aller Form der vielen hunderttausend Toten auf afrikanischer Seite gedacht werden müsste. Und das müsste als nationale Gedenkstätte auch, als Stätte der Schuld vonseiten der Deutschen gesehen werden können und müsste von den dortigen Bewohnern akzeptiert werden.
Weber: In der Zeit der Apartheid hat sich die deutsch-namibische Kirche nicht klar gegen die Rassentrennung ausgesprochen, deswegen wurde ihre Mitgliedschaft vom Lutherischen Weltbund in den 80er-Jahren auch für mehrere Jahre suspendiert. Bis heute haben die drei namibischen Kirchen nicht wirklich zusammengefunden. Ist auch da noch Aufarbeitung nötig und kann da die EKD in irgendeiner Weise zur Seite stehen, bei dieser Aufarbeitung?
Braun: Also, sie hat es jetzt schon zig Jahre getan und versprochen. Und es hat nichts bewirkt, im Gegenteil. Die deutschen Kirchen sind bestätigt worden durch die ständige Entsendung von Deutschland, sie sind nicht wirklich einheimische Kirchen geworden, sind abhängig von Deutschland geblieben. Und diese Abhängigkeit müsste beendet werden, dann bestünde vielleicht eine Chance, dass sich in Namibia auch eine deutschsprachige Gruppe in der lutherischen Kirche versammelt und Teil der gesamtlutherischen Kirche ist.
Weber: Vielen Dank, Markus Braun, Pfarrer im Ruhestand, Mitgründer des Mainzer Arbeitskreises Südliches Afrika.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Hören Sie zum Thema "Nambia" einen weiteren Beitrag in der Sendung von Corinna Mühlstedt: "Reformationsjubiläum in Windhuoek".
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