Mit Zucker gegen Cortisol

Und Schokolade ist doch gesund

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Belgische Schokolade © picture-alliance/ dpa
Von Udo Pollmer |
Viele Gesundheitsapostel verteufeln Schokolade als heimtückischen Dickmacher. Udo Pollmer sieht das ganz anders: Schokolade hebt nicht nur die Laune - sie wirkt auch gegen das riskante Hormon Cortisol in unserem Körper.
Einst brachte Schokolade Kinderaugen zum Leuchten, auch Erwachsene ließen sich gern eine Tafel munden. Doch heute gilt sie als Anfang allen Übels. Denn Schokolade verführt und bringt ernährungsbewusste Zeitgenossen, die konsequent auf Süßes verzichten wollen, immer wieder in die Bredouille. Auf den Kindertraum folgte ein böses Erwachen mit einem heimtückischen Dickmacher, der es nur darauf abgesehen hat, uns die Freude am leichten, kalorienreduzierten Leben zu vergällen.
Wie kann eine Speise eine solche Macht ausüben und uns scheinbar mühelos gegen unseren erklärten Willen zum Verzehr nötigen?
Da wäre zunächst das psychophysikalische Design zu nennen. Die Hersteller unterscheiden zwischen zwei Verbrauchertypen: Die "Lutscher" und die "Beißer". Die "Lutscher" sind harmoniebedürftige oder frustrierte Mitmenschen, die den zarten Schmelz lieben. Sie können sich damit selbst ein paar Streicheleinheiten am Gaumen verpassen. Die "Beißer" hingegen wählen härtere Schokoladensorten, um beim Zerbeißen ihre Aggressionen abzuleiten. Es gibt keine Schokolade, die beide Verbraucher gleichermaßen bedient, aber beide Schokoladenarten mindern Stress und sorgen für Entspannung.
Stress lässt den Appetit auf Süßes steigen
Dann der Zucker: Sinnesphysiologen des Monell-Institutes für Chemische Sinne in Philadelphia haben unlängst herausgefunden, dass Stress auf hormonellem Wege die Rezeptoren für Süßes im Mund manipuliert. Und zwar so, dass der Appetit auf Zuckerzeug zwangsläufig ansteigt.
Der Schlüssel dafür ist laut Monell das Hormon Cortisol. Cortisol hilft uns bedrohliche Lebenslagen zu ertragen. Unter Stress steigt mit dem Cortisol auch der Energiebedarf, vor allem das Gehirn benötigt mehr Treibstoff, sprich mehr Glucose. Deshalb ist der Hang zum kalorienreichen Zucker eine sinnvolle Reaktion des Körpers. Sobald der Mensch Süßes wie Schokolade isst, sinkt ein erhöhter Cortisolspiegel schnell ab. Das ist gut so. Damit ist auch klar, warum Süßstoffe gerade nicht helfen.
Auf Dauer macht ein hoher Cortisolspiegel dick, vor allem am Bauch, er fördert Herzinfarkt und Diabetes. Ärger und Angst sind die wesentlichen Ursachen des metabolischen Syndroms. Eine aktuelle Studie aus dem belgischen Gent zeigte, dass Kinder mit hohem Cortisolspiegel deutlich dicker sind als Kinder in entspannten Lebensverhältnissen.
Folgerichtig haben die Cortisolkinder auch einen ausgeprägten Hang nach Süßem. Wer will, kann daraus einen Zusammenhang zwischen Zuckerverzehr und Gewicht konstruieren. In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt. Zucker senkt schnell und effektiv das riskante Cortisol und wirkt damit der Adipositas entgegen. Der angeborene Hang zur Süße ist biologisch also höchst sinnvoll.
Schokolade kann helfen, wunde Seelen zu heilen
Diese Einsicht der Kollegen des Monell-Institutes ergänzt damit unsere Vorstellung vom Verlangen nach Zucker, das bisher vor allem über das Serotonin erklärt wurde. Zucker sorgt bekanntlich für die vermehrte Bildung dieses Botenstoffs für gute Laune. Da das Serotonin vom Tageslicht abhängig ist, wird verständlich, warum wir in der dunklen Jahreszeit so viel Süßes naschen.
Zucker ist bekanntlich nicht nur in Schokolade enthalten, sondern in vielen anderen Lebensmitteln auch. Doch Schokolade hat noch mehr Stimmungsmacher mit exotischen Namen zu bieten: Phenyläthylamine, Anandamide oder Exorphine, deren Vorläufer aus dem Kakaopulver oder Milchpulver stammen und die während der Verarbeitung entstehen. Auch sie helfen, wunde Seelen zu heilen.
Schokolade macht zwar nicht glücklich, schließlich ist sie keine Droge, nichtsdestotrotz kann sie unwiderstehlich sein: Sie sorgt nicht nur für bessere Laune, sondern sie unterstützt durch die nachhaltige Senkung des Cortisols die Gesunderhaltung des Körpers. Kein Wunder, dass dieser hin und wieder dem diätversonnenen Menschen eine Lehre erteilt und ihn zum freudigen Schokogenuss verführt. Mahlzeit!
Literatur
Ulrich-Lai YM et al: Daily limited access to sweetened drink attenuates hypothalamic-pituitary-adrenocortical axis stress responses. Endocrinology 2007; 148: 1823-1834
Michels N et al: Cross-Lagged Associations Between Children's Stress and Adiposity: The Children's Body Composition and Stress Study. Psychosomatic Medicine 2015; 77: 50-58
Parker MR et al: Expression and nuclear translocation of glucocorticoid receptors in type 2 taste receptor cells. Neuroscience Letters 2014; 571: 72-77
Pollmer U et al: Opium fürs Volk. Natürliche Drogen in unserem Essen. Rowohlt, Reinbek 2011
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