Mit Zivilcourage gegen das Töten

18.12.2006
Rüdiger Nehberg wurde bekannt als der "verrückte Konditor", der 1981 seine Bäckerei in Hamburg-Barmbeck verließ und sich in die deutschen Wälder zurückzog, um sich von Käfern und Würmern zu ernähren.
Seit 25 Jahren stellt Nehberg seine Survival-Aktionen in den Dienst der Menschenrechte, wofür er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde: so erstritt er den brasilianischen Yanomami-Indianern ein eigenes Reservat und rettete sie vor der Ausrottung.

Seit 2000 hat der 71-Jährige ein neues Projekt: der Kampf gegen die Genitalverstümmelung von Frauen (FGM, "female genital mutilation"), die in Afrika und der arabischen Welt an der Tagesordnung ist; nach Schätzung der UNO sind weltweit 150 Millionen Frauen davon betroffen. "Karawane der Hoffnung" heißt Nehbergs Bericht über den Kampf gegen diese Form des Massenmordes.

Die Verstümmelungen werden ohne Narkose und mit Rasierklingen oder Glasscherben durchgeführt, natürlich nicht steril und deshalb eine Hauptquelle für AIDS. Täglich werden weltweit 8000 Frauen verstümmelt, über 2000 Frauen und Mädchen sterben jeden Tag während des Eingriffs oder an den Spätfolgen.

Nun sind die betroffenen Länder meist islamische Länder. Zwar ist in den meisten dieser Länder die Verstümmelung auch per Gesetz verboten, aber es wurde den Menschen weisgemacht, all das geschehe im Namen des Islam. Nehberg hatte während einer Wüstendurchquerung 1977 in Äthiopien die islamische Religion gut genug kennen gelernt, um zu wissen, dass der Islam Genitalverstümmelung auf keinen Fall befürworte.

Nehberg wandte sich in der Folge an islamische Religionsführer und warb für die Ächtung der barbarischen Praxis. Die Resonanz war positiv. Zunächst wurden offizielle islamische Rechtsgutachten, Fatwas, erstellt, die besagen, dass die Verstümmlung eine Sünde gegen Allah sei. So heißt es etwa in Sure 95, Vers 4, des Koran: "Wahrlich. WIR schufen den Menschen in schönstem Ebenmaß."

Mit den islamischen Rechtsgutachten zog Nehberg durch die arabische Welt, organisierte nationale Konferenzen, mobilisierte die islamischen Geistlichen und erreichte zwei Millionen Menschen in ihren Dörfern "am Ende der Welt". Schließlich, am 22. und 23. November 2006 erfüllte sich Nehbergs Traum. Auf einer von ihm initiierten Konferenz in Kairo ächteten die höchsten Würdenträger des Islam die Genitalverstümmelung als "Verbrechen und als Sünde".

"Karawane der Hoffnung" ist ein erschütterndes Buch, besonders die Augenzeugen-Beschreibungen der Verstümmelungen, wiedergegeben von Nehbergs Frau, die Koautorin des Buches ist. Aber es ist auch ein Buch, das Kraft gibt und Mut macht, wenn man verfolgt, wie Nehberg und seine Frau Annette sich mit stoischer Zivilcourage einfach über alle Widerstände hinwegsetzen und ihre eigene Organisation TARGET mit sieben Freunden im Wohnzimmer gründen, die mittlerweile 10.000 Mitglieder hat. Und das beschreibt Nehberg in seinem für ihn so typischen Lausbubenstil, rotzig und frech zwischen Heulen und Lachen.

Rezensiert von Lutz Bunk


Rüdiger Nehberg, Annette Weber: Karawane der Hoffnung. Mit dem Islam gegen den Schmerz und das Schweigen
Malik Verlag, München 2006, 381 Seiten, 19.90 Euro