Mit Zitter, Rosenkranz und Gesang

Von Simone Schlosser |
Das Konservatorium für türkische Musik in Berlin verbindet Menschen verschiedener Kulturen, deren gemeinsame Leidenschaft die orientalischen Klänge von der Region am Bosporus sind. Ein Aushängeschild ist der Chor für klassische türkische Musik.
Freitagabend in einem Hinterhof in Berlin-Kreuzberg. Über zwei Stockwerke erstreckt sich das Konservatorium für türkische Musik. Heute Abend trifft sich dort der Chor. Eine halbe Stunde vor Probenbeginn trudeln langsam die ersten Mitglieder ein. Bevor es losgeht, sitzen sie gerne noch in dem kleinen Aufenthaltsraum im Erdgeschoss zusammen. Jeder der reinkommt wird freundlich begrüßt. Auch wer noch nicht so lange dabei ist, fühlt sich schnell wohl hier, wie Hadje, die erst seit drei Monaten in dem Chor ist:

"Also macht bei mir sehr viel Spaß. Zu Hause langweilig. Leute treffen. Einen Kaffee trinken. Und nachher fangen wir Musik an. Es macht Spaß."

Die 60-Jährige singt, seitdem sie nicht mehr berufstätig ist. Während sie noch einen Kaffee trinkt, laufen einige Kinder durch den Raum. Sie kommen gerade aus dem Musikunterricht bei Nuri Karademirli. Er hat vor zwölf Jahren mit seiner Frau das Konservatorium gegründet, seitdem leitet er auch den Chor für türkische klassische Musik.

Das gemeinsame Musizieren ist für die Schüler, die ansonsten bei ihm Einzelunterricht haben, immer ein besonderes Ereignis.

An diesem Freitagabend sind ungefähr 40 Frauen und Männer gekommen. Auf langen Stuhlreihen sitzen sie in dem hellen Probenraum. Der Jüngste ist 14 Jahre alt. Er hat gerade erst angefangen, die orientalische Zitter, Kanun, zu lernen. Einer der älteren Chormitglieder hat heute Geburtstag. Spontan singt der Chor ihm ein kleines Ständchen.

Danach geht es weiter mit der Probe. Hintereinander singt der Chor seine aktuellen Lieder. Nuri Karademirli achtet dabei heute besonders auf die Instrumentenspieler.

"Der Sinn der Sache, also was wir hier machen, ist wir bringen das Klavier mit einem türkischen Instrument zusammen, wir bringen die Gitarre mit einer Baglama zusammen. Wir machen ein bisschen Globalmusik. Wir vermischen das gerne."

Chorleiter Nuri Karademirli, der in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiert, macht Musik, seit er fünf Jahre alt ist. Der elegant gekleidete Mann ist gelernter Elektroingenieur, aber er hat in seinem Beruf nie gearbeitet. In der Türkei ist er Staatsmusiker. In Deutschland hält er Vorlesungen an verschiedenen großen Hochschulen. Und seine Kompositionen werden in der Berliner Philharmonie aufgeführt.

Die Lieder, die er mit dem Chor einübt, sind klassische türkische Lieder. Für europäische Ohren klingt das erstmal ein bisschen fremd.

"Es hört sich ein bisschen anders an, aber das ist nur eine Gewohnheitssache. Wir haben viele Töne, die europäischen Ohren doch ein bisschen schief klingt."

Das liegt daran, dass das türkische Tonsystem 24 Töne hat, doppelt so viele wie das europäische Tonsystem. Die zusätzlichen Töne heißen Kommatöne. Im türkischen Chorgesang fehlt außerdem die klassische Stimmaufteilung.

In Deutschland wird die traditionelle Musik nur selten gespielt. Aber wer sie einmal gehört hat, den lassen die Melodien nicht mehr los, erklärt Nuri Karademirli in seiner ruhigen Art. Von dem Geplapper, das zwischen den einzelnen Liedern aufkommt, lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. Er leitet die Chorprobe mit einer natürlichen Autorität, und dabei hat er immer ein Lächeln im Augenwinkel.

"Es gibt keinen hier, der dass noch nie gehört hat. Man muss irgendwo einen Funken gekriegt haben. Man kriegt von irgendwo her einen Funken. Und dann kommt: 'Okay, das geht.'"

Damit der Funke überspringt, muss man nicht türkischer Herkunft sein. Mittlerweile ist das Konservatorium zu einer richtigen kulturellen Begegnungsstätte geworden. Michael zum Beispiel ist seit drei Monaten in dem Chor. Der US-Amerikaner studiert eigentlich Musikethnologie an der Universität Chicago. Dort hat er angefangen Ud zu spielen, die arabische Kurzhalslaute.

"Ich wusste eigentlich nicht, was es hier gibt für Gelegenheiten, türkische Musik zu spielen. Und diese Gelegenheit finde ich superschön."

Es fällt ihm noch ein bisschen schwer, mit den anderen mitzuhalten. Im Moment singt der Chor Liebeslieder: traurige, aber auch lustige. Für die Türkin Tuba Schröder, die in dem Konservatorium ist, seit sie vor einem Jahr aus Dortmund nach Berlin gezogen ist, sind die Lieder ein Stück Heimat.

"Im Moment, das Repertoire das wir haben, sind in den letzten 20 Jahren richtig populär gewordene Lieder in der ganzen Türkei. Und das ist ganz schön, die dann nicht nur von Solokünstlern interpretiert zu hören, sondern auch von einem Chor. Das gibt dem Ganzen noch eine gewisse andere Note."

Das ist es, was Nuri Karademirli mit seinem Chor erreichen möchte.

"Die Musik sollte man mit anderen Kulturen vielmehr noch mischen, vielmehr noch etwas Neues schaffen."

Für das letzte Lied an diesem Probenabend greift der Udspieler selber zu seinem Instrument.

Service:

Der Chor tritt mit seinen türkischen Liebesliedern am 27. Februar in der Werkstatt der Kulturen in Berlin auf.

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.