Mit Würde augenzwinkernd scheitern

Von Eva Wolk |
"Wenn der Mensch fühlt, dass er nicht mehr hinten hoch kann, wird er fromm und weise", schrieb Kurt Tucholsky in seiner als Schulaufsatz getarnten Satire "Der Mensch". Warum muss man darüber lachen? Weil was Wahres dran ist, wie bei allen guten Witzen. - Fulbert Steffensky gehört zu den Theologen, deren öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema "Spiritualität im Alter" viele Menschen anzieht.
"Im Alter wacht die Kindheit auf. Und so wie das Älterwerden das Dahinschmelzen der Zukunft ist, muss die Fruchtbarkeit der Vergangenheit an ihre Stelle treten. Das ist das Gleichgewicht des Lebens." (Hans-Georg Gadamer)

Steffensky: "Wir erzählen unseren Enkeln Geschichten – ob das Märchen sind oder biblische Geschichte oder unsere eigene Lebensgeschichte. Man erzählt auch dadurch, dass man sich verhält. Einfaches Beispiel: Meine Enkelkinder gehen sonntags nicht allzu gerne in die Kirche. Aber ich 'erzähle', wie wichtig sie für mich ist, indem ich selber gehe. Und diese Form der Erzählung, des Beispiels, ist viel wichtiger als jede Lehre. Die Kinder lesen an uns ab, was uns wichtig ist, an unserem Verhalten, nicht an unseren Worten. Die wichtigste Lehre, die man Kindern geben kann, ist zu zeigen, dass einem Menschen etwas wichtig ist. Vielleicht lernt er etwas anderes für wichtig zu halten, aber er lernt etwas für wichtig zu halten, indem er sieht, dass es für Andere wichtig ist."

Der Theologe und Religionspädagoge Fulbert Steffensky ist 74 Jahre alt. Seine Vorträge haben regen Zulauf; viele Menschen wollen seine Gedanken zur Spiritualität des Alters hören.
Steffensky wünscht sich aktivere statt resignierende Alte und sichtbares statt verstecktes oder verleugnetes Altern. In gewaltloser Deutlichkeit, so formuliert er es, sollen die Alten den Jungen sichtbar machen, dass Verfall Normalität ist.

Steffensky: "Wie lernt ein Mensch eigentlich – wie lernt ein junger Mensch, dass das Leben endlich ist? Er lernt es dadurch, dass er endliches Leben sieht: dass er Menschen altern, verfallen, sterben sieht. Und wenn das weggewischt wird, wenn sich der alte Mensch verhalten soll wie ein junger Mensch: stark, schön, sexuell begabt oder was auch was immer sein muss … Das sind ja Zwänge, keine Freiheiten. Aber vor allem lernen andere Generationen nicht die Hinfälligkeit des Lebens. Die Kunst des Sterbens besteht darin, dass man verfallende Menschen, sterbende Menschen sieht, und sie nicht aus dem Leben ausklammert."

"Erst ließ Freude mich nicht schlafen.
Dann hielt Kummer nachts die Wacht.
Als mich beide nicht mehr trafen,
schlief ich. Aber ach, es bracht
jeder Maienmorgen mir Novembernacht. "
(Bertolt Brecht: Wie es war)

Steffensky: "Ja, es gehört Mut dazu – alt zu werden ist sowieso keine Sache für Feiglinge. Es gehört Mut dazu, sich nicht wie eine 40-Jährige oder ein 40-Jähriger zu benehmen. Es gehört auch Stolz dazu, zu sein, der man ist. Man sieht alte Menschen auf Bildern, in der Werbung, in der letzten Zeit sehr viel deutlicher, aber es sind schöne, starke alte Menschen, keine hinfälligen. Es sind Menschen, bei denen man denkt: so möchte man alt werden. Aber meistens ist das so nicht der Fall."

Sterben – das sei letzte und absolute Bedürftigkeit, denn man müsse auf alles, letztlich auf sich selbst verzichten. Wie soll man, wie kann man das leisten?

Steffensky: "Das kann man nur im Leben üben. Ich bin zwar skeptisch gegen den Satz: Man stirbt, wie man gelebt hat. Aber dass man wirklich im Leben üben kann, loszulassen. Zum Beispiel seine Kinder gehen zu lassen. Früh wissen, dass die Kinder nicht an meinem Wesen genesen müssen. Dass man Andere anders sein lässt, dass man Fremdheiten neben sich duldet. Dass man sich selbst nicht zum Maßstab macht. Das ist eine Form des Loslassen, die vielleicht ermöglicht, dass man später in der absoluten Bedürftigkeit des Sterbens nicht verzweifelt."

Steffensky nennt das Abdanken eine der Aufgaben des Alters. Das aber bedeutet nicht nur Verzicht, sondern auch Gewinn. Zum Beispiel in Form der befreienden Erkenntnis: Wir sind nicht unendlich in dem, was wir anrichten – die Unverwüstlichkeit des Lebens ist größer als unsere Verwüstungen.

Steffensky: "Ich habe eine Frau vor Augen, die ihrer eigenen Schuld nicht entkommen kann, die sich ständig wiederholt, die sich nicht vergeben kann und sich nicht vergeben lassen kann. Ich halte das eigentlich für eine Art von Größenwahnsinn: In der Schuld unendlich sein wollen. Man ist nicht unendlich. Gott sei dank, der Mensch ist ein endliches Wesen, auch endlich in seiner Schuld. Gott ist größer als unsere Schuld. Damit ist Schuld nicht weggewischt oder das, was folgt, nicht weggewischt. Aber es ist doch in allem Schmerz eine Lebensheiterkeit. Gott ist größer als meine Schuld."

"Ich gedenke oft des Tages, an dem ich das Meer zum ersten Male erblickte. Mein Blick schweifte vom Strande hinaus und hoffte, befreit zu sein; dort hinten aber war der Horizont. Warum habe ich einen Horizont? Ich habe vom Leben das Unendliche erwartet." (Thomas Mann)

Altsein heißt auch festzustellen, dass wir zwar nicht genug sind – dass wir das aber auch gar nicht sein MÜSSEN. Wir dürfen Fragment sein.

Steffensky: "Ich glaube überhaupt, dass schmerzliche Heiterkeit eine Signatur des Alters sein könnte. Also die Heiterkeit: Ich bin jetzt Fragment. Ich bin nicht Nichts; ich habe etwas geleistet in meinem Leben, ich habe Kinder erzogen, ich bin mit meinem Beruf irgendwo hingekommen. Also ein Stück Stolz auf sich selbst. Und das augenzwinkernde Zugeben: Ich bin mit nichts zu Ende gekommen. Ich bin mit meiner Liebe nicht zu Ende gekommen, mit der Erziehung meiner Kinder nicht und mit allen möglichen anderen Dingen auch noch. Man ist auf der Strecke geblieben – also nicht ohne Gelingen und nicht bis ans Ziel gekommen. So ist das Leben."

"Zu glauben ist schwierig, nicht zu glauben unmöglich." (Victor Hugo)

Vielleicht, so überlegte Steffensky in einem seiner Vorträge, müsse man an Gott glauben, um nicht zu ersticken an dem, was man versäumt hat.

Steffensky: "Im Josephs-Roman von Thomas Mann gibt es eine Stelle: Von Jakob wird gesagt, er war schwer von Geschichten. Das ist man ja im Alter: Schwer von Gelingens-Geschichten, von Versagensgeschichten und auch von Schuldgeschichten. Und sich als endlich erkennen, heißt, dass es ist, wie es ist. Das finde ich eigentlich sehr schön, dass man denken könnte: Ich muss mich im Alter nicht mehr rechtfertigen. Ich bin, der ich bin. Ich muss nicht sagen, dass ich besser bin, ich muss mich nicht entschuldigen, weil es so gekommen ist – ich bin, der ich bin. Ein ungemein lebenserleichternder Satz. Und ich vermute schon, dass man, um ihn sagen zu können, an Gott glauben muss. Vielleicht gar nicht mal in einem religiösen Sinn nur, sondern einfach an den Sinn des Lebens glauben muss."