Mit "Volldampf" Kinderbetreuungsplätze ausbauen

Jutta Allmendinger im Gespräch mit Britta Bürger |
Zur Verbesserung der Situation von Kindern Alleinerziehender ist nach Ansicht der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), Jutta Allmendinger, ein "ganzes Bündel von Maßnahmen" erforderlich. Kinder von Alleinerziehenden bräuchten "besonders gute Möglichkeiten", da sie ohnehin qua Herkunft benachteiligt seien, sagte die Soziologin.
Britta Bürger: Alleinerziehende in Deutschland. Vor allem Mütter und ihre Kinder leben am Rande des Existenzminimums. Ein unhaltbarer Zustand, über dessen Gründe und Auswege ich mit der Soziologieprofessorin Jutta Allmendinger sprechen möchte, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Guten Morgen, Frau Allmendinger!

Jutta Allmendinger: Guten Morgen!

Bürger: Wir haben es eben im Beitrag gehört und auch viele Studien der vergangenen Wochen belegen es: Die meisten alleinerziehenden Frauen möchten arbeiten. Warum haben sie auf dem Arbeitsmarkt dennoch schlechtere Chancen?

Allmendinger: Es gibt mindestens zwei Gründe: Auf der einen Seite sind die Arbeitszeiten, die man zu investieren hat, meistens noch sehr inflexibel. Man muss zu einem gewissen Zeitpunkt im Beruf, an der Arbeitsstelle, sein und hat dann bis zu einem gewissen Zeitpunkt zu arbeiten.

Und diese Inflexibilität der Arbeitszeiten trifft immer noch auf Inflexibilitäten bei der Kindererziehung, bei der Kinderbetreuung, der außerhäuslichen. Und das ist oft für viele Frauen einfach nicht machbar, beziehungsweise sie haben gar keine Möglichkeit - nicht nur, weil sie keine Unterbringung für ihre Kinder bekommen, sondern weil sie keine qualitativ hochwertige Unterbringung bekommen, und weil sie keine zeitlich flexible Unterbringung bekommen - , diese zwei Dinge zu vereinbaren.

Bürger: Frauen klagen darüber, dass zum Beispiel die Hilfen der Existenzgründung, Stichwort Ich-AG, abgeschafft wurden. Das heißt, selbst wenn sie etwas tun wollen, gelingt es ihnen nicht, weil die Jobcenter nicht wirklich unterstützend arbeiten. Ist das Modell der Jobcenter im Grunde gescheitert?

Allmendinger: Ich würde nicht sagen, dass die Jobcenter als solche gescheitert sind. Wir sind ja im Moment in der Umbruchphase, wir wissen ja gar nicht, wie es so richtig weitergeht. Was meines Erachtens nicht in Ordnung ist, ist, dass wenn Kindergelderhöhungen beispielsweise stattfinden, dass es dann angerechnet wird, sodass gerade diejenigen, die am meisten diese Zuschüsse bräuchten für ihre Kinder, davon überhaupt nichts haben.

Es ist auch für die Leute, die in den Jobcentern arbeiten, ganz schwierig in der Lage zu helfen, wo einfach nicht genügend Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen, und natürlich insbesondere in der jetzigen konjunkturellen Lage, wo wir nur ganz wenige Jobs überhaupt anzubieten haben mit flexiblen Arbeitszeiten, die aber dennoch ausreichendes Einkommen gewährleisten.

Bürger: Zuletzt haben die Berliner Zahlen die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Danach sind 88 Prozent der Alleinerziehenden mit mehr als zwei Kindern langfristig von Hartz IV abhängig. Langfristig heißt, dass sie auch nach drei Jahren nicht selbstständig für ihren Unterhalt sorgen können. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das seit einem Jahr geltende neue Unterhaltsrecht? Welche Vor- und Nachteile hat das gebracht?

Allmendinger: Bei diesem Unterhaltsrecht ist zunächst einmal auf alle Fälle positiv: Rang eins für Kinder, also die Kinderversorgung steht an allererster Stelle. Das ist gut, das finde ich gut. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen, dass die ganzen Faktoren, die wir eben an dem Beispiel gehört haben und die wir eben auch schon besprochen haben, hier natürlich voll reinschlagen.

Frauen mit kleinen Kindern sind zunächst mal auf eine außerhäusliche Kindereinrichtung angewiesen, die gut ist und die sie sich leisten können. Das ist nicht der Fall. Und sie sind auf flexible Arbeitszeiten angewiesen, und das haben wir auch nicht.

Und von daher ist es natürlich zunächst mal richtig, das auf die Kinder zunächst mal zu beziehen. Auf der anderen Seite, wenn Frauen nicht die Möglichkeit gegeben wird für die Erwerbstätigkeit, hat das natürlich auch einen gewissen Zynismus in sich.

Bürger: Welche politischen Entscheidungen könnten die Situation der Alleinerziehenden verbessern? Das klingt jetzt so, als bräuchten wir nur genügend Kinderbetreuungsplätze zu schaffen?

Allmendinger: Zunächst mal mit Volldampf an mehr Kinderbetreuungseinrichtungen zu gehen - wobei dieses Wort der Betreuung natürlich auch kein richtiges ist, wir brauchen da tatsächlich kurrikulare Elemente drin: Es muss Kindererziehung sein, das ist schon verstärkt zu leisten. Und die Aufbaugeschwindigkeit muss wesentlich höher sein als die jetzige.

Auf der anderen Seite müssen Dinge geändert werden wie beispielsweise - das sehen wir jetzt auch bei dem Konjunkturpaket II, dass es für Alleinerziehende so überhaupt nicht zum Tragen kommt - , dass bei allen Maßnahmen für die Familie sehr stark darauf geachtet wird, inwieweit sie auch für alleinerziehende Mütter - und das sind ja so gut wie immer Mütter - zum Tragen kommen oder an denen einfach vorbeigehen.

Bürger: Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen.

Allmendinger: Es sind eine ganze Menge tatsächlich politische Entscheidungen zu treffen, aber auch die Unternehmen, die Organisationen haben das Ihre zu tun, was Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft. Auch Universitäten - das hat man ja in diesem Beispiel auch wieder gehört - haben was damit zu tun, was die Vereinbarkeit von Studieren und Kindererziehen betrifft.

Es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen, welches angesichts dessen, dass wir keine Normalarbeitsverhältnisse mehr haben, dass wir keine Normalfamilien mehr haben, wo man, einmal verheiratet, den ganzen Rest des Lebens miteinander lebt. Das sind gesellschaftliche Umbrüche, die sich so in unserem Steuerrecht noch gar nicht zeigen.

Bürger: Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Lassen Sie uns, Frau Allmendinger, genauer auf die Situation der Kinder noch schauen. 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche wachsen zurzeit mit nur einem Elternteil auf. Welche Benachteiligungen erleben diese Kinder und welche Folgen hat das für ihr weiteres Leben?

Allmendinger: Was wir sehen können, ist - wenn ich jetzt mal früh im Leben anfange -, dass Kinderbetreuung einfach auch teuer ist. Wenn sie gut ist, ist sie teuer, und Alleinerziehende können sich dieses Geld nicht leisten. Das heißt, die werden schon mal in schlechtere Kinderbetreuungseinrichtungen gegeben. Und das ist keine präventive Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Das ist keine Politik, die es erlauben würde, diesen ohnehin qua Herkunft benachteiligten Kindern diese Startchancen zu geben, die sie dann später vor schlechten Schulnoten, vor einer schlechteren Schulentwicklung und damit natürlich auch vor erwartbarer Arbeitslosigkeit schützt.

Wir müssten gerade diesen Kindern besonders gute Möglichkeiten geben. Wir sehen auch, dass Schulen immer teurer werden. Wenn Sie sich anschauen, was man für Klassenfahrten auszugeben hat, wenn Sie sich anschauen, was man für zusätzliche Lehrbücher auszugeben hat, dann ist das so einfach für diese Hartz-IV-Familien überhaupt nicht machbar. Das heißt, die Leidtragenden sind die Mütter, natürlich, aber es sind insbesondere die Kinder und deren Zukunft.

Bürger: Es fängt an bei den Sportvereinen und hört auf bei den Musikschulen. All das ist nicht finanzierbar.

Allmendinger: Das ist nicht nur materiell nicht finanzierbar, sondern es ist auch zeitlich nicht finanzierbar, weil, wie wir eben besprochen haben, die Mütter ja erwerbstätig sein müssen. Es werden aber nicht Ganztagsschulen in dem Maße zur Verfügung gestellt, die wir brauchen. Das heißt, die Kinder sitzen alleine zu Hause, sie können nicht zu den Sportveranstaltungen gebracht werden. Und sie werden schon in jungen Jahren ausgeschlossen. Und diese Exklusion ist eine, die oft für das ganze Leben dann leider anhält. Das muss man so deutlich sagen.

Bürger: Erscheint Ihnen dieses Schlagwort von der Armutsfalle übertrieben: "Einmal Hartz IV, immer Hartz IV!"?

Allmendinger: Mir scheint es prägnant zu sein. Es muss nicht "einmal Hartz IV, immer Hartz IV" heißen, aber es kann schon heißen - und das zeigten auch die Untersuchungen -, dass einmal bildungsarm doch heißt, nicht wieder zurückzukommen in Bildung, auch nicht reinzukommen in Weiterbildung, nicht in kontinuierliche sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit reinzukommen. Das heißt, einmal arm, immer prekäre Situation auf dem Arbeitsmarkt, die sich dann natürlich auch abfärbt in das Familienleben. Das würde ich schon unterstreichen.

Bürger: Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, die Soziologin Jutta Allmendinger über die dramatische Lage der Alleinerziehenden in Deutschland. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Frau Allmendinger!

Allmendinger: Bitte schön!