Mit Viren gegen Bakterien auf Fleisch und Wurst

In den USA darf Fleisch und Wurst mit Viren besprüht werden - etwa um Gammelfleisch genießbar zu machen? Nein, es geht um geschätzte 500 Todesfälle pro Jahr, die in den USA durch Listerien auf Lebensmitteln verursacht werden. Listerien sind Keime, die recht unterschiedliche Infektionen wie Angina oder Hirnhautentzündung auslösen können, und insbesondere für Schwangere und Immungeschwächte ein Risiko darstellen.
Da sich die Erreger inzwischen an das Leben im Kühlschrank gewöhnt haben, können sie sich auch bei Einhaltung der Kühlkette und der üblichen Hygienemaßnahmen unbemerkt verbreiten. Insofern gehen Fachleute davon aus, dass die Bedeutung der Listerien wächst.

Die Listerien haben der Fachwelt vor etwa 20 Jahren eine heftige Lektion erteilt: Nachdem man durch eine Krankheitsfälle durch eine Sorte Rohmilchkäse auf die Keime aufmerksam geworden war, und die Listerien auch in den Molkereien nachgewiesen hatte, wurden die Betriebe komplett desinfiziert, um die Erreger endgültig auszurotten. Das Ergebnis fiel nicht nach dem Geschmack der Veterinärhygieniker aus: In manchen Betrieben hatte man schließlich nur noch Listerien. Sie hatten sich in irgendeiner Ritze verkrochen und konnten sich jetzt erst recht ausbreiten – einfach weil alle anderen Mikroorganismen perdu waren. Daraus lernte die Fachwelt, dass man mit den Keimen leben müsse und es besser sei, die normale Mikroflora in den Betrieben zu stärken, um die allgegenwärtigen Listerien in Schach zu halten.

Wie funktioniert das? Ein US-Unternehmen hat ein Spray entwickelt, das auf Behälter und Verpackungen aber auch direkt auf die Hotdogs gesprüht wird. Das Spray enthält sechs verschiedene Bakteriophagen. Das sind gewissermaßen Viren, die Bakterien befallen und töten. Da sie sich nur für Bakterien aber nicht für Säugetiere interessieren, hat man damit eine biologische und sehr wirksame Bekämpfungsmethode. Denn die Phagen injizieren ihr Erbgut in die Listerien, programmieren sie um, so dass diese nun massenhaft neue Phagen freisetzen und dabei absterben. Auf diese Weise wird auf einem Lebensmittel auch die allerletzte Listerie abgetötet. Dann erst hört die Produktion auf.

Warum sind da gleich sechs verschiedene Phagen drin? Es gibt viele verschiedene Arten von Listerien. Die Mixtur ist gegen 170 Stämme wirksam. Wenn die Listerien gleich von mehreren Phagen angegriffen werden, sinkt damit die Wahrscheinlichkeit einer Resistenzbildung.

Wie riskant ist das? Bakteriophagen sind überall dort, wo Bakterien sind – also absolut überall. Das bedeutet nicht nur, dass unsere Umwelt, unsere Atemluft Bakteriophagen enthält, auch der menschliche Körper ist aufgrund seiner Darmflora genau genommen eine Brutstätte für Phagen. Insofern ist das Ganze wenig aufregend. Hinzu kommt, dass wir seit langem Phagen bei der Lebensmittelproduktion einsetzen. Und zwar als Pflanzenschutzmittel, um beispielsweise Pflanzenkrankheiten von Tomaten oder Pfirsichen zu bekämpfen. Man spricht dann von Agriphagen. Damit hofft man auf lange Sicht auch den Antibiotikaeinsatz (Streptomycin) im Obstbau beenden zu können. Gleichzeitig arbeitet die Forschung an Medikamenten für die Tierproduktion. Auch dort ließen sich Antibiotika ersetzen. Der Vorteil der Bakteriophagen ist ihre hohe Spezifität für den jeweiligen Wirt. Andere Bakterien bleiben unbehelligt.

Warum sollen nur Tomaten und Schweine davon profitieren? Der Mensch nutzt die Methode schon lang, sie wurde schon vor fast 100 Jahren am Menschen ausprobiert, damals, als man noch keine Antibiotika hatte. Der erste bekannte Fall war 1915 in Paris, wo Kinder an irgendeinem unbekannten Durchfall starben. In ihrer Not kochten die Ärzte eine Virusbrühe, probierten sie erst selbst und gaben sie dann den Kindern zu trinken. Diese wurden buchstäblich übernacht gesund. Die Herstellung war relativ einfach: Man nahm seine Bazillen, etwas schmutziges Wasser aus dem Abwasserkanal und ließ das Ganze übernacht stehen. Im Abwasser tummeln sich Legionen von Phagen aller Art.

Alsbald wurden weltweit Phagen in großer Menge über die Apotheken verscheuert, gegen Typhus, Cholera oder Harnwegsinfekte. Da es damals aber noch keine Qualitätskontrolle gab, versuchte sich allerlei Gelichter, das sich seit jeher im Umfeld der Pharmazie herumtreibt und vom Verkauf von Wundermitteln profitieren will, mit wirkungslosen Präpraten. Dadurch kam die Methode allmählich in Verruf. Ihr Ende bedeuteten dann die Entdeckung der Antibiotika.

Und warum macht man das heute nicht mehr? Inzwischen werden die Phagen wieder in den Krankenhäusern einiger bettelarmer Nachfolgestaaten der Sowjetunion genutzt. Die haben kein Geld für Antibiotika. Also züchten sie in Georgien ihre Phagen selbst. Das kostet nix. Aufgrund der Diskussionen über die Resistenzbildung bei den Antibiotika scheint sich mittlerweile die Wissenschaft wieder dafür zu interessieren. Phagen wirken nicht nur spezifisch, sie lösen im Gegensatz zu Antibiotika keine allergischen Reaktionen aus. Sie kommen überall hin, auch in Gewebe wie den Knochen, die schlecht durchblutet sind, da sie sich über Bakterien ausbreiten. Sie sind noch dazu einfach und billig herzustellen. Es gibt allerdings auch hier die Gefahr einer Resistenzbildung wie bei Antibiotika, allerdings lernen die Phagen meist sehr schnell die Abwehr der Mikroben zu überwinden. Problematischer ist die Angewohnheit einiger Phagen, den Wirt, d.h. die Bakterie nicht zu töten sondern eine Symbiose mit ihr einzugehen. Dann statten die Phagen ihre Bazillen mit den erforderlichen Genen aus, um Gifte zu bilden.

Quellen:
FDA: Bacteria-eating virus approved as food additive. Consumer Magazine Jan/Feb 2007
US-Patent zur Bekämpfung von Listerien mit Phagen
MacGregor J: Set a bug to catch a bug. New Scientist 5. April 2003/S.36-37