Mit Verständnis durch stürmische Zeiten

01.06.2010
Der Däne Jesper Juul setzt in seinem Buch "Pubertät" auf Dialog und Austausch statt auf Belehrung und Strafe der jungen Menschen. Er betont die Wichtigkeit von Einbeziehung statt Machtausübung und wirbt dafür, nicht Kontrolle ausüben zu wollen.
Die Turnschuhe werden in die Ecke geschleudert, schlecht gelaunt und wortlos geht die 14-Jährige in ihr Zimmer, stellt die Musik laut. Eltern sind in so einer Situation oft ratlos. Was ist mit dem bis vor wenigen Wochen noch so fröhlichen und ausgeglichenen Kind los? Nichts, sie ist nur in die Pubertät gekommen.

Unaufgeregt und pragmatisch begegnet der Familientherapeut Jesper Juul auch in seinem neusten Ratgeber krisengeschüttelten Eltern. Dabei bleibt kein Thema außen vor: Schule, Fernsehen und Liebe werden genauso besprochen wie Sex und Drogen.

Und wie schon zuvor auch setzt der Däne auch diesmal wieder auf Dialog und Austausch statt auf Belehrung und Strafe, er betont die Wichtigkeit von Einbeziehung statt Machtausübung und wirbt dafür, Interesse zu zeigen und nicht Kontrolle ausüben zu wollen.

Damit Eltern seinem Plädoyer besser folgen können, beschreibt er ausführlich, welchen körperlichen und geistigen Umbrüchen Pubertierende ausgesetzt sind. Schnell wird so klar, dass der Umbau des Gehirns in erster Linie für Stimmungsschwankungen und Kontrollverluste verantwortlich ist und nicht böse Absichten hinter dem oft unverständlichen Verhalten stehen.

Doch Jesper Juul wäre nicht Jesper Juul, wenn er nicht auch die Situation der Eltern im Auge behielte, deren Schwierigkeiten, angemessen zu reagieren. Denn was heißt heute eigentlich Erziehen, fragt er, wo es kaum noch verbindliche Regeln gibt?

Verbindliche Antworten hat zwar auch der Autor nicht, aber darum geht es diesem vorbildlichen Familientherapeuten auch gar nicht. Vielmehr wirbt er für Verständnis und Offenheit, denn sie sind - nicht nur - in der Pubertät das Fundament für einen Dialog zwischen Eltern und Kind.

In zahlreichen Fallbeispielen zeigt er, wie solche Gespräche erfolgreich verlaufen können und wo mögliche Stolpersteine liegen. Da ist zum Beispiel Mohammed, der den Matheunterricht schwänzt. Der Lehrer beschwert sich bei den Eltern. Diese erfahren durch verständnisvolles Nachfragen von ihrem Sohn, dass der Lehrer ihn mehrmals als dumm bezeichnet hat und nicht bereit war, schwierige Sachverhalte ein zweites Mal zu erklären. Die Eltern werden den Lehrer zwar nicht ändern können, aber sie können Verständnis für ihren Sohn zeigen und ihn so stärken.

Für die 15-jährige Lisa, die spätabends angetrunken nach Hause kommt, beschreibt Juul folgendes Szenario: Die Eltern bleiben entspannt, raten der Tochter schlafen zu gehen und bemitleiden ihren Kater am nächsten Morgen. Ermahnungen und Sanktionen sind hier kontraproduktiv, betont der Autor. Dagegen gibt das Akzeptieren von Fehlern den Jugendlichen die Möglichkeit, ihr Scheitern mit ihrer Familie zu teilen und so mit ihr im Dialog zu bleiben.

Sollte das mal nicht gelingen, weil das pubertierende Kind sich wortlos in sein Zimmer zurückzieht, dann gibt es immer noch die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme: Schreiben Sie eine E-Mail, schlägt Jesper Juul vor, und laden Sie zum Pizzaessen ein. Ganz einfach! Manchmal haben kleine Tipps große Wirkung. Und genau das macht die Bücher des dänischen Familientherapeuten aus.

Besprochen von Susanne Nessler

Jesper Juul: Pubertät
Kösel Verlag 2010, 208 Seiten, 16,95 Euro