"Mit unserer Vorstellung von Menschenwürde nicht vereinbar"

Moderation: Hanns Ostermann |
Der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Stefan Vesper, hat das Bemühen um eine juristische Prüfung der Beihilfe zur Selbsttötung unheilbar Kranker begrüßt. Diese Stoßrichtung gegen die deutsche Organisation Dignitate sei richtig und notwendig, sagte Vesper.
Ostermann: Wir werden im kommenden Jahr auch einem Menschen in Deutschland helfen, so die Ankündigung, wir werden ihm helfen, sich das Leben zu nehmen. Seit Tagen sorgt der deutsche Ableger des Schweizer Sterbehilfevereins Dignitas für Empörung. Mit Hilfe des Gewerberechts wollen die einen der Organisation das Handwerk legen, andere sind davon überzeugt, die gegenwärtige Rechtsordnung reiche aus. Der Fall wirft aber weitergehende Fragen auf, über die ich jetzt mit Stefan Vesper reden möchte. Er ist der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Guten Morgen, Herr Vesper.

Stefan Vesper: Guten Morgen.

Ostermann: Legt Dignitas, der Schweizer Verein, oder Dignitate in Deutschland nicht auch den Finger in eine Wunde der Gesellschaft, nämlich die, dass wir uns viel zu wenig um Schwerstkranke gekümmert, ihre Interessen missachtet haben?

Vesper: Das ist ganz sicher so. Wir haben zwar ein immer besser ausgebautes System der Palliativmedizin, auch der Hospize, in denen sehr, sehr gute Arbeit geleistet wird auch von kirchlichen Trägern getragen. Aber wir beschäftigen uns in der Gesellschaft viel zu wenig mit dem Sterben, mit dem Leiden. Und das ist allerdings auch der einzige gute Aspekt dieser Debatte um Dignitas.

Ostermann: Sie haben eben gerade gesagt, wir haben die Hospizbewegung, die gute Arbeit leistet. Die wird aber nur von rund vier Prozent der etwa 830.000 Menschen, die jährlich sterben, genutzt, diese Hospizbewegung. Und noch weniger wissen um die Möglichkeiten der Palliativmedizin. Da verspielt die Gesellschaft doch Chancen.

Vesper: Das stimmt. Wir leben natürlich in einer Gesellschaft, in der das Bewusstsein, dass das Leben ein Ende finden muss, dass das Sterben, das Leiden, auch sehr schwierige Phasen des Sterbens zum Leben gehören, immer mehr verloren geht. Der Tod ist weitgehend verdrängt. Junge Menschen haben oft noch nie einen Menschen leiden oder gar sterben sehen. Und der Tod ist zu weiten Teilen tabuisiert. Das gibt eben auch solchen Initiativen erst den richtigen Raum zur Entfaltung. Und ich kann nur alle einladen, sich stärker mit dem Thema zu beschäftigen. In jeder Stadt gibt es ein Krankenhaus, es gibt Menschen und Experten, die in diesen Bereichen arbeiten, und sie einzuladen und anzuhören in den Gruppen, in den Vereinen, in denen sie sind.

Ostermann: Herr Vesper, haben nicht vielleicht aber auch die beiden großen christlichen Kirchen, die evangelische und die katholische Kirche, versagt, sich zu wenig um die Frage gekümmert, wie Menschen ... nicht gekümmert, aber sozusagen vermittelt, wie menschenwürdiges Sterben aussieht?

Vesper: Das glaube ich nicht. Als kleines Beispiel, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat in der letzten Vollversammlung sich mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigt, Leben und Sterben in Würde. Wir haben einen fantastischen Vortrag gehört von Bischof Fürst, der noch einmal gesagt hat, wir dürfen uns nicht zu Herren über Leben und Tod machen. Wir haben, das war sicherlich die Sternstunde der letzten Jahre der Arbeit des ZdK, eine Pflegedienstleiterin gehört, die ganz konkret darüber gesprochen hat, wie sich die Pflegenden den Menschen zuwenden, wie sie ihnen über Monate oder manchmal auch Jahre Lebensqualität verschaffen – das Wort ist sehr wichtig – Lebensqualität auch im Sterben durch sehr kleine, vielleicht für uns fast schon am Rande der Lächerlichkeit liegenden Dinge, die für Sterbende und für Kranke sehr wichtig sind.

Ostermann: Herr Vesper, jetzt kennen Sie Beispiele, ich kenne Beispiele, wo Menschen sterbenskrank sind und man zur Untätigkeit verurteilt ist. Wie sieht dann menschenwürdiges Sterben aus?

Vesper: Uns geht es immer um Hilfe im Sterben, nicht Hilfe zum Sterben. Das Wichtigste ist, dass man sich diesen Menschen zuwendet. Und es gibt da kein Allheilmittel, sondern es gibt die konsequente Orientierung am Wohl des Patienten. Leidende und Sterbende brauchen zu aller erst mal Anteilnahme, Zuwendung, Menschen, die ihnen in ihrem Umfeld beistehen, Menschen auch, die schauen, was kann er wollen – wurde berichtet von einem Fall, wo jemand ein ganz entstelltes Gesicht hat und über Wochen und Monate nicht mehr aus dem Zimmer gegangen ist. Man hat dann gefunden, dass man eine Maske ihm machen kann, sodass er wieder in die Stadt fahren konnte. In ganz schwierigen Situationen des menschlichen Lebens muss man nach Lösungen suchen, und man darf an diesen Stellen, in diesen schwierigen Momenten nicht einladen und dazu geradezu herausfordern, dem Leben ein Ende zu machen.

Ostermann: Dass sich die Parteien jetzt mit Dignitate in Deutschland beschäftigen und juristisch prüfen, was zu tun ist, ist das eine richtige Stoßrichtung aus Ihrer Sicht?

Vesper: Ich finde sie richtig und notwendig, und wir unterstützen das sehr. Die Justizminister der B-Länder haben ja schon einen entsprechenden Entwurf gemacht gegen die gesetzmäßige Förderung der Selbsttötung. Es ist mit unserer Vorstellung von menschlicher Lebenswürde, von Menschenwürde nicht vereinbar, dass man hier ein Angebot macht zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung.

Ostermann: Stefan Vesper, der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Danke Ihnen für das Gespräch.