Mit Theater Strukturen aufbrechen

Von Michael Laages · 16.06.2013
Die nun bereits zweiten Privattheatertage in Hamburg haben daran erinnert, dass es in Deutschland mehr private als städtisch-staatliche Bühnen gibt. Und sie zeigten, dass "privat" nicht "Boulevard" heißt.
Immer wieder nichts als Boulevard! - Wer sich unter dem Begriff "Privattheater" nur das vorstellt, irrt gewaltig. Das weiß Axel Schneider, Hausherr an immerhin vier privaten Bühnen in Hamburg:

"Was ist der Unterschied zwischen Privattheater und Staatstheater? - Also das ist vielen Menschen ja auch gar nicht klar, das das eigentlich die Frage nach der Trägerschaft ist: Mal ist es die Stadt, mal ist es eben eine Privatperson. Aber auch das Missverständnis, dass Privattheater automatisch dann für reine Unterhaltung steht und im Klischeesinne natürlich schlechtes Boulevard ist - es gibt natürlich auch sehr gutes Boulevard. Also auch das galt es natürlich zu beweisen, wie weit gesteckt, wie vielseitig und vielschichtig Privattheater sich selber darstellt in den verschiedenen Städten, in den verschiedenen Theatern ja sogar."


Und von wegen: Nix als Klamotte! Zwölf Stücke konkurrierten in knapp zwei Wochen, nur vier Komödien, dafür auch vier zeitgenössische Dramen und vier Bearbeitungen klassischer Stoffe. Das Wolfgang-Borchert-Theater in Münster, eine Art Urgestein des privat betriebenen Theaters, zeigte mit David Mamets "Oleanna" und Ingrid Lausunds "Benefiz. Jeder rettet einen Afrikaner" gleich zwei zeitgenössische Stücke. Das "prinz regent theater" aus Bochum und das Theater "Die Färbe", einziges Profitheater in Singen am Hohentwiel, bearbeiteten Schiller-Stoffe; das Theater "fact" aus Leipzig mixte Büchners "Leonce und Lena" frech mit einem zeitgenössischen Theater-im-Theater-Ulk.

Die "bremer shakespeare company", entstanden im kollektiven Impuls der späten 70er Jahre, suchte die Alternative selbstbestimmten Theaters und fand den Platz dafür in einer alten Schule in der Bremer Neustadt - sie pflegt den sehr eigenen Blick auf den Hausgott Shakespeare. Das "Junge Theater" in Göttingen, eine studentische Gründung aus den mittleren 60er Jahren, wird aktuell bedroht von örtlichen Plänen zur Zwangskooperation mit dem Deutschen Theater der Stadt; das "Metropoltheater München", für das der Regisseur und Choreograph Jochen Schölch arbeitet, ist zu Hause in einem alten Kino in der Vorstadt Freimann; das in Schlitz bei Fulda beheimatete Theater "con cuore" spielt - der Name sagt's - "mit Herz", vor allem aber mit Puppen.

Und aus Berlin waren gleich drei Bühnen eingeladen: das altbewährte und immerjunge GRIPS-Theater, die Komödie am Kurfürstendamm, die mit dem Winterhuder Fährhaus in Hamburg kooperiert, und schließlich das noch recht neue Ballhaus Naunynstraße, dessen aktueller Leiter Tuncay Kolaoglu zu denen gehört, die noch echte Ziele formulieren:

"Wir wollten die Strukturen - versuchen zumindest - aufzubrechen und Sensibilität dafür entwickeln, warum diese Geschichten, die wir erzählen, nicht erzählt werden und wenn sie erzählt werden, dann immer aus einer Perspektive eben der Mehrheitsgesellschaft und - in den fast immer meisten Fällen - reduziert auf Klischees."

"Unsere Geschichten" - das sind Geschichten von Berliner Familien mit migrantischem Hintergrund in der Türkei.

Im tiefstbürgerlichen Mariendorf gerät eine junge Frau türkischer Abstammung haarscharf an den Abgrund psychischer Verwirrung; weil sie unglücklich ist mit den türkischen Familientraditionen, in denen sie lebt und gegen die sie rebelliert - bis zu Streit und Schock gegenüber dem Lebenspartner. Danach ist nichts wie zuvor:

"Und als der Schrecken vorüber war, da war es dann in Deinen Augen so, als sei nichts geschehen. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich acht Jahre lang hier mit einem fremden Mann zusammen gelebt, dass ich ihm drei Kinder geboren [habe]. Dieser Gedanke ist mir unerträglich."

Sie flüchtet in eine andere Existenz: als Schauspielerin, die gerne starke Stoffe spielen würde, aber immer nur Werbe-Model ist fürs Fernsehen - und für türkische Produkte. Ein wohlmeinender deutscher Psychiater will Orientierung stiften und entlarvt frühe Fluchten, schon vor dem übermächtigen Vater:

Ausschnitt aus "Die Saison der Krabben":
"-"Ich frage Sie ein zweites Mal: Wollen Sie vielleicht nicht, dass Ihr Vater mitbekommt, dass Sie damals in das Maisfeld gelaufen sind, um abzuhauen."
- "Herr Doktor, das Maisfeld ist aber nicht ewig. Und wo das Maisfeld aufhört, da kann kein neues Leben anfangen.""Die Saison der Krabben", geschrieben und inszeniert von Hakan Savas Mican am Ballhaus Naunynstraße, hat den Preis für das beste zeitgenössische Drama gewonnen. "Richard III" in der Fassung der "bremer shakespeare company", inszeniert von Ricarda Beilharz, erhielt den Preis für den beste modernen Umgang mit den Klassikern, "Eine Sommernacht" von David Greig und Gordon McIntyre in Folke Brabands Regie für die "Komödie" in Berlin den Komödien-Preis. Der Publikumspreis ging an eine weitere: "Der Vorname", viel gespielt auch an Stadt- und Staatstheatern, in Hamburg gezeigt vom Jungen Theater aus Göttingen.

Aber Wettbewerb hin oder her - die "Privattheatertage" scheinen anders zu funktionieren als …sagen wir mal… das Theatertreffen, das gerade 50 Jahre alt wurde. Noch einmal Axel Schneider:

""Wohin sich das Berliner Theatertreffen entwickelt, vermag ich nicht zu sagen, vermag ich jetzt nicht zu sagen, während ich hier im Rahmen dieses Festivals ein großes Wir-Gefühl spüre und eine wirkliche Freude, dabei zu sein und ein wirkliches Gönnen an Preisen, die dann ein anderer gewinnt, weil man dann auch die Leistung des anderen anerkennt. Wir haben ganz viele Ensemblemitglieder, die auch einen Tag früher gekommen sind oder noch länger geblieben sind, sich Aufführungen auch der anderen Theater angekuckt haben. Theaterleiter, die immer wieder kamen."

So soll Festival sein. Und wer weiß, womöglich lassen sich demnächst auch "Berliner Ensemble" und die "Schaubühne" aus Berlin 'mal in Hamburg sehen. Denn auch sie sind - der Rechtsform nach - Privat-Theater. Schön wär's, sie mal in direkter Konkurrenz mit dem Theater "Die Färbe" aus Singen zu sehen. Das ist die Vielfalt, die der Standort Deutschland bietet.
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