Mit Schriftstellerin Judith Zander in Anklam

In inniger Hassliebe verbunden

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Blick auf den Markt der Stadt Anklam im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Zu sehen sit die Nikolaikirche und alte Häuser.
Hübsch ausgebaut, doch wenig Menschen: In ihrem Roman "Dinge, die wir heute sagten" setzt sich Judith Zander mit Anklam auseinander. © Imago / Jens Koehler
Von André Hatting · 17.06.2019
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Die Menschen in Vorpommern gelten nicht als besonders gesprächig. Judith Zander lässt die Figuren in ihrem Roman "Dinge, die wir heute sagten" in inneren Monologen sprechen. Doch die Menschen in ihrer Heimatstadt Anklam sehen sie als Nestbeschmutzerin.
"Anklam ist für mich schon Heimat in dem Sinne, dass es eben die Gegend ist, aus der ich komme", sagt die Autorin Judith Zander.
"Und die Herkunft erzeugt ein Gefühl in einem, was, glaube ich, nicht weiter in Begrifflichkeiten aufzulösen ist. Es stellt sich aber immer auch das gleiche Spannungsverhältnis her. Also diese Vorstellung, dort wieder dauerhaft zu leben, die wird dann innerlich immer so abgewehrt. Trotzdem bin ich gerne da. Aber es ist eben immer ein Gerne-da-Sein auf Zeit."
Anklam und Judith Zander – vielleicht hätte auch das Wort "Hassliebe" gut gepasst. Aber Zander ist keine Frau der lauten Worte. Das Ruhige, Stille, Bedächtige teilt die zierliche Person mit ihren Landsleuten.

Innere Monologe mit wenigen Worten

Der Vorpommer an sich spricht eher wenig. Genau das war eine der Motivationen für ihren Debütroman "Dinge, die wir heute sagten":
"Das machte sehr stark den Reiz für mich aus, eben die Leute, die dort wohnen, zum Sprechen zu bringen – es werden in dem Buch hauptsächlich innere Monologe geführt – um diese Dinge hörbar zu machen, die eigentlich nicht ausgesprochen werden."
Zander lässt ihre Figuren auch "Missingsch" sprechen, eine Mischung aus Hoch- und Niederdeutsch. Bereits Uwe Johnson hat das Missingsch in seinem Hauptwerk "Jahrestage" literarisch geadelt. Mit diesem Autor verbindet Judith Zander nicht nur die gemeinsame Herkunft Anklam, seit 2011 auch ein Preis gleichen Namens, ausgelobt von der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft.

Freude an der Beobachtung von Menschen

Wie Johnson in den "Jahrestagen" spannt auch Zander in ihrem "Dinge, die wir heute sagten" einen Bogen über mehrere Generationen. So nimmt beispielsweise die 17-jährige Romy, eine der Protagonistinnen des Romans, Anklam wahr, als sie einem Freund aus Irland durch die Stadt führt:
"Als wir am Sonntag mit ihm in Anklam waren, ihm die Stadt gezeigt haben, das heißt die paar Ecken, bei denen man zumindest nicht sofort vor Scham im Boden versinken möchte, hatte ich förmlich erwartet, dass uns alle Leute hinterhergucken würden, fassungslos. Aber es war nur wie immer: ausgestorben. Außer ein paar rumlungernden Nazis, dreieinhalb Rentnerpaaren und einem Togolesen auf einem Fahrrad gab es kein sichtbares Leben, und ob es noch irgendwo verborgenes gab, zum Beispiel in den 'Arbeiterschließfächern' rund um den Markt, wo es doch auch gar keine Arbeiter mehr gibt, war mehr als zweifelhaft."
Die Autorin Judith Zander sitzt vor einem See und schaut in die Kamera.
Eher Land- als Stadtmensch: Die Autorin Judith Zander zieht von Berlin nach Jüterbog.© Imago / Gezett
Dieser ungeschönte Blick auf die eigene Geburtsstadt hat Judith Zander nicht nur Freunde gemacht. Eine "Nestbeschmutzerin" sei sie. Ein unsinniger Vorwurf, zumal der Roman kein Schwarz-Weiß-Bild von Anklam zeichnet.
Das wird an der Perspektive von Romys Mutter deutlich. Sonja kommt nach Anklam, als sie in dem Alter ihrer Tochter Romy war. Mutter Sonja machte damals eine Lehre in einem Fotogeschäft:
"Wenn die Chefin nicht da war, hab ich oft nur aus dem Fenster geguckt. War ja mitten in der Stadt, und Leute hab ich ja schon immer gern beobachtet, schon als meine Mutter mich als Kind mit in die Stadt genommen hat, das fand ich immer toll. Die ganzen Menschen, und keinen kannte man, nicht so wie aufm Dorf, wo man schon von weitem sehen konnte, da kommt Beschke oder da torkelt Karlchen Kröwer lang."

Zurück in die Kleinstadt

Die Stadt Anklam als Kontrast zum Dorf. Für Judith Zander selbst ist Anklam Provinz. Nach dem Studium in Greifswald zieht sie nach Leipzig, dann nach Berlin.
"Ich hätte nicht über die Provinz schreiben können, wenn ich immer dageblieben wäre. Es braucht also doch dann diesen Abstand. Es gab aber umgekehrt nie das Bedürfnis, über die Großstadt zu schreiben. Also es kommt sehr vereinzelt mal in Gedichten vor. Aber so als Romanhintergrund interessiert mich das eigentlich nicht."
Das könnte sich bald ändern. Judith Zander hat sich Abstand zu Berlin verschafft. Im Frühjahr ist die Autorin wieder aufs Land zurückgekehrt. Nicht nach Anklam in Vorpommern, sondern nach Jüterbog in Brandenburg. Zander hatte wortwörtlich die Nase voll von der Großstadt:
"In Berlin riecht man ja die Jahreszeiten nicht, das vermisse ich eigentlich am stärksten. In Berlin gibt es immer nur die Abgase und andere olfaktorische Zumutungen zu riechen. Es ist alles irgendwie dreckig. Es sind immer viel zu viele Leute unterwegs.
Und ich war, glaube ich, nie ein geborener Großstadtmensch. Es hat mich immer sehr viel stärker aufs Land gezogen. Jetzt ziehe ich zwar nicht direkt aufs Land, sondern nach Jüterbog in eine Kleinstadt. Aber es ist erst mal ein ganz guter Kompromiss, bevor dann vielleicht irgendwann das totale Land kommt."

Judith Zander: Dinge, die wir heute sagten
Roman. dtv, München 2010
480 Seiten, 16,90 Euro

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