Mit scharfer Munition bestückt

Von Jürgen König · 11.08.2011
Der Besucher findet sich zwischen Propagandaplakaten und Lageskizzen, Gewehren und Helmen wieder: Im Berliner Alliierten-Museum wird der Kalte Krieg lebendig. Dennoch ist "Wie ein Pulverfass!" mehr als eine Militaria-Ausstellung.
Es soll ja Leute geben, die das Thema "Mauerbau" nicht mehr hören können, aber ein 50. Jahrestag ist nun mal etwas Besonderes. Für die, deren Leben durch diese Mauer unmittelbar geprägt wurde, sowieso – und hat sie nicht als innerdeutsche Grenze unser aller Lebensläufe oder zumindest die unserer Eltern geprägt? Das Interesse an all den neuen Büchern und Ausstellungen, an all den Lesungen, Film- und Diskussionsabenden, die es landauf, landab jetzt gibt, scheint jedenfalls sehr groß zu sein. Wo man hinkommt: volle Säle; es muss auch ein Bedürfnis geben, über dieses Thema "Mauerbau" zu reden und zu streiten. Mancherorts scheint Aufklärung bitter nötig zu sein, glauben doch zum Beispiel 17 Prozent der Jugendlichen in Brandenburg, dass die Mauer von den Alliierten gebaut wurde.

Dass man in Berlin besonders intensiv des Mauerbaus gedenkt, liegt auf der Hand. Heute eröffnete das Alliierten-Museum eine Sonderausstellung, sie stellt die internationale Dimension der Ereignisse rund um den Mauerbau in den Mittelpunkt und schafft es, alle vier Mächte noch einmal in Berlin zu versammeln. Auch aus Moskau wurden Exponate zur Verfügung gestellt, Kurator Florian Weiß ist begeistert:

"Es war ein großer Moment und es ist bis jetzt ein großer Moment. Wir hatten noch nie mit russischen Stellen verhandelt, wir hatten eine sehr fachkundige freie Kollegin, die die Recherchen vor Ort für uns gemacht hat. Wir haben auf englisch sehr intensiv korrespondiert; die Mails sind von Woche zu Woche herzlicher und persönlicher geworden und wir würden gerne in Zukunft weiter kooperieren. Wir haben viele Ideen, der Kalte Krieg ist ein großes Thema. Es ist eine große Bereicherung für uns."

"Wie ein Pulverfass!" – unter diesem Titel versucht die Ausstellung, die Atmosphäre jener Jahre rund um den Mauerbau einzufangen: von Chruschtschows Drohung, die Westmächte aus der Stadt zu drängen bis hin zu jenem Moment im Oktober 1961, als sich auf der Berliner Friedrichstraße sowjetische und amerikanische Panzer, mit scharfer Munition bestückt, unmittelbar gegenüberstanden. Der Besucher findet sich zwischen Propagandaplakaten und Lageskizzen, Gewehren und Helmen wieder. Fotos, Filme, Zeitzeugenberichte, etwa Luftpostbriefe der Soldaten, die von ihrem Alltag erzählen; als Rauminszenierungen das Wachhäuschen vom Checkpoint Charlie, ein Konferenzsaal, ein Raketensilo mit originalem Sprengkopf. Am Ende steht man vor Originalplänen der Westmächte für den militärischen Ernstfall. Bei alledem schafft es die Ausstellung, nicht als Militaria-Sammlung zu erscheinen, sondern als Dokumentation, von dramatischem Pathos getragen. Als Kulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Eröffnung der Ausstellung den Alliierten dankte –

"Ich möchte an dieser Stelle unseren Freunden, den Alliierten, besonders danken. An der Spitze den Amerikanern. Ohne Sie hätten wir das Glück der Wiedervereinigung niemals erreicht und wir als Deutsche sind Ihnen dafür von Herzen dankbar."

... da fand sich im Publikum nicht nur bei den in Uniform erschienenen Offizieren etwas von diesem "dramatischen Pathos" wieder, ein kurzer Moment nur, die Gesichter fast andachtsvoll.

Weniger andachtsvoll, sondern geradezu gemütlich plauderten zwei Stunden später in der Berliner Urania Egon Bahr und Gregor Gysi miteinander über den Mauerbau. Egon Bahr, 1961 Sprecher des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Willy Brandt: Ihm scheint jede Minute dieser Jahre noch gegenwärtig zu sein. Ob die Allierten, statt die Abriegelung des Berliner Ostsektors hinzunehmen, auch anders hätten reagieren können?

Egon Bahr: "Man hätte die Demütigung der drei Mächte verhindern können. Indem man den Stacheldraht beiseite geschafft hätte. Und dann wäre nämlich das passiert, was vorgesehen war. Die hatten vorne keine Munition, die Betriebkampfgruppen und die NVA. Die wären dann beiseite gegangen. Und stattdessen wäre die Sowjetunion mit ihren Panzern vorgerückt und hätte klargemacht: Das ist unsere, die sowjetische Entscheidung, und dazu stehen wir. Das wäre der Unterschied gewesen: Die Demütigung wäre ausgeblieben, die Verantwortung wäre von vornherein klar gewesen: Es war eine sowjetische Verantwortung. Und Chruschtschow hat es, zugegeben, auf Drängen Ulbrichts, entschieden."

Gregor Gysi, Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke, er wurde natürlich nach Gesine Lötzsch befragt, die kürzlich den Mauerbau als eine Folge des deutschen Überfalls auf Russland bezeichnet hatte:

"Was sie damit meint, ist doch klar. Wenn wir die Nazi-Macht nicht bekommen hätten, wenn es keinen Zweiten Weltkrieg gegeben hätte, hätte es natürlich auch keine Besetzung Deutschlands gegeben, und dann wäre Deutschland nicht gespalten worden, und dann hätte die Frage einer Mauer in Berlin oder einer Grenzsicherung dieser Art in der DDR logischerweise nicht bestanden. Das Problem ist: Der historische Zusammenhang ist da."

Und mehr sagt er nicht zur Parteivorsitzenden Lötzsch, sondern kommt rhetorisch geschickt auf Stalins Wunsch nach einem vereinigten Deutschland, das Adenauer wie Ulbricht nicht wollten; kommt wieder zurück auf die Gründe für den Mauerbau, die in seiner Partei immer noch genannt würden – am Schluss landet er bei John F. Kennedy und bekommt Applaus dafür:

"Da wird mir gesagt: die Grenzgänger. Stimmt. Da gab es Leute in Ost-Berlin, die arbeiteten in West-Berlin, verdienten dort West-Geld, verfünffachten das in den Wechselstuben, kamen zurück, kauften subventioniert Lebensmittel im Osten. Dann wird gesagt: Ja, die DDR hat die Leute gut ausgebildet, dann gingen sie nach dem Westen, natürlich hat der Westen dafür nichts bezahlt – ja wie käme er denn auch dazu – mag ja alles sein. Ich bestreite davon nichts. Das waren alles Gründe. Aber eins muss man sagen, und da hat doch der Kennedy Recht: Wenn ich eine gerechtere Gesellschaft aufbaue, kann ich es nie dadurch machen, dass ich die eigenen Leute einsperre und auf sie schieße, wenn sie gehen wollen. Das geht einfach nicht, das ist zutiefst inhuman... (Applaus)."

Etwa 600 Plätze hat der Große Saal der Berliner Urania, und trotzdem müssen einige der zahlenden Gäste noch stehen – wahrlich, das Bedürfnis, sich über den Mauerbau Gedanken zu machen: es muss vorhanden sein.

Informationen des Alliierten-Museums zur Ausstellung
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