Mit reichlich PS durch die Krise

Von Arno Orzessek |
Finanzminister Peer Steinbrück teilt rhetorisch gerne aus. Neoliberale, Manager oder Steueroasen - für alle hat der SPD-Politiker einen verbalen Faustschlag parat. Und das war auch bei einer Matinee im Berliner Ensemble, bei der es um die Rhetorik in der Krise ging, nicht anders.
Rhetorik heißt das Medium, das die Kultur mit der Finanzkrise verbindet. Alle reden über sie, aber alle mit besonderem, entlarvendem Zungenschlag. Die Leitfrage beim Besuch einer Matinee mit Peer Steinbrück lautet also: Wie sagt er, was er zu sagen hat?

Dass sich der Finanzminister, vom Sachverstand abgesehen, seiner rhetorischen Kompetenz völlig bewusst ist, haben von hiesigen Steuerhinterziehern bis zu ausländischen Banken schon viele erfahren. Die Schweiz degradierte er zu Ouagadougou – worauf Moderator und Journalist Frank A. Meyer Bezug nahm.

"Sie haben schon gemerkt, ich bin Schweizer. Und für uns Schweizer ist Peer Steinbrück seit einiger Zeit so eine Art, wie ein Leibhaftiger – der Leibhaftige!"

Peer Steinbrück gefiel sich, charakterlich genommen, eher in der Rolle des Nashorns, seinem Lieblingstier seit einem Namibia-Urlaub. Man beachte, wie liebevoll er die Gewalt des Steppentieres fühlbar machte.

"Ist ein wunderbar archaisches Tier, das ganz langsam in Fahrt kommt … Ganz langsam … Aber wenn es in Fahrt ist, ist es kaum aufzuhalten."

Frank A. Meyer ließ sich nicht bedrohen. Er äußerte Lust am intellektuellen Scharmützel – und bekam natürlich laute Zustimmung.

"Ich sage Ihnen, ich weiche nicht aus. Es ist nur noch nicht so weit."
"Herr Meyer, darin stimmen wir überein: ich auch nicht."

Und deshalb befriedigte es den Finanzminister, die Verfechter der Deregulierung und Börsenzockerei, die in der Krise reihenweise klein beigeben müssen, in leicht ätzendem Tonfall hochzunehmen.

"Im Augenblick haben wir es ja mit der absurden Situation zu tun, dass sich Manager bei uns melden, die vorher mit dem Staat gar nichts am Hut hatten. Wo der Staat eigentlich verschwinden sollte. Und ausgerechnet von denen, die sie vorher, ich sage: teilweise sogar verachtet haben, weil sie immer zu langsam sind, sie sind immer ineffektiv, ihre Zeitökonomie läuft nicht, die Kompromisse, die die Politik macht, sind immer faul – die brauchen sie jetzt."

Peer Steinbrück kartet nach. Er besteht auf Revanche, wo er verletzt worden ist. Man kann das – eingedenk der jahrelangen Besserwisserei seiner neoliberalen Gegner – sympathisch finden.

"Ich weiß genau, wovon ich rede, weil ich damals gegenüber den Angloamerikanern sehr jovial behandelt worden bin."

Ihn, Peer Steinbrück, behandelt keiner "sehr jovial" - auch nicht ein Josef Ackermann, dem, samt der Banken-Branche, eine strenge Lektion in Demokratie gewidmet war.

"Da bin ich, gelinde gesagt, immer entsetzt, dass diese Branche, nenne ich sie mal, wenig Gefühl oder wenig Einsichtsmöglichkeiten, offenbar auch wenig Lerneffekte hat in eine politisch-parlamentarische Welt. Ein Mann, der zum zweiten Mal betont, man müsste eine 25-prozentige Kapitalrendite erzielen, muss wissen, wie das auf das Nachbargebäude des Deutschen Bundestages in seinen Beratungen wirkt. Das verlange ich von ihm, wenn ich gleichzeitig das Problem der Schrottpapiere zu lösen habe."

Steinbrück liebt die politische Kampfrhetorik, weil er sich seiner Stärke sicher ist. Er verfügt über die Helmut Schmidt'sche Leidenschaft zur praktischen Vernunft, über Franz Münteferings sozialdemokratisches Hauptsatz-Stakkato, über Gerhard Schröders Bulligkeit. Speziell ist jedoch die Art, in der Steinbrück die politischen Dinge persönlich nimmt und dadurch emotionalisiert.

Im vergangenen Herbst hat bei Ausbruch der Finanzkrise der hämische Spruch die Runde gemacht: "Frankreich handelt, Deutschland denkt." Steinbrück wurde mit konjunkturprogrammatischen Empfehlungen überhäuft – und zögerte. Seine Abrechnung, gerade mit den Medien, lautete nun:

"Dann gab es Weihnachten. Und im Glanze der Tannenbaumlichter sind viele auf die Idee gekommen, dass das ja mit Schulden verbunden ist. Da habe ich gedacht: Donnerwetter! Riesiger Erkenntnisfortschritt. So dass, als ich aus der Weihnachtspause herauskam, ich nichts anderes mehr las als: Rekordverschuldung! Ja, watt denn sonst?"

Kantische Verstandeskraft, mühevoll gezügelter Hochmut, das draufgängerische Gebaren eines Cowboys: alles drei wird im Vexierbild des Finanzpolitikers Steinbrück sichtbar. Dass sein Ministerium samt der Staatsanwaltschaft auf bestem Wege ist, die Steuerflüchtlinge samt ihrer Oase Lichtenstein komplett hochzunehmen, drückte er so aus:

"Wir sind an die rangekommen einmal über eine kleine Diskette aus Lichtenstein, für die wir auch bezahlt haben. Nie habe ich einen besseren Deal gemacht als den."

Das war filmreif gesprochen – und nicht nur das. Die ganze Matinee im Berliner Ensemble war durchwirkt von Steinbrücks politischer Virilität. Dass er die Schweiz mit Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, verglichen hat, erklärte sich Steinbrück durch …

"die Verliebtheit in eine lautmalerische Verirrung. Auch gegenüber meinen Kindern sprach ich entweder von Takatuka-Land – kennen Sie das? Ah! Sie haben viel vorgelesen! – von Haparanda, Ouagadougou und dergleichen. Und es ist mir aus dem Mund gepurzelt. Die Journalisten, die anwesend waren, haben das durchaus als humorvoll genommen. Bis auf zwei."

Die Initialen des Finanzministers sind P und S. Vielleicht sollte man die rhetorische Einheit PS etablieren – für ‚1 Peer Steinbrück’. Die nette Matinee, davon abgesehen, dass auf ihr zu hören war, was der Finanzminister auch sonst sagt, lässt sich so paraphrasieren: Mit viel PS durch die Krise.

Hier ein letzter Peer Steinbrück:

"Dass ein Politiker gelegentlich Bilder benutzt, auch wie so ein Flugzeugträger, um diese Themen zum Fliegen zu bringen, weiß ich …"
Und ein allerletzter PS – zur Zukunft der Krise. Wie geht es weiter, Herr Steinbrück? Wird alles noch schlimmer?

"Ich habe keinen Kriterienkatalog. Die für Sie enttäuschende Aussage ist, wir fahren auf Sicht. Wir fahren auf Sicht."