Mit Nanoteilchen gegen Tumore

Hitze im Kampf gegen Krebs

06:33 Minuten
Nanoteilchen für die Wärmetherapie.
Nanoteilchen aus Berlin, die bei der Wärmetherapie eingesetzt werden. © Martin Mair
Von Martin Mair · 13.06.2019
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Bei einer Wärmetherapie wird ein Tumor mit Hitze bekämpft und kann ein Baustein in der Krebsbehandlung sein. Weltweit versuchen Forscher und Forscherinnen, die experimentelle Methode zu verbessern. In Berlin setzt man dabei auf Nanomagnete.
Andreas Jordan öffnet eine Stahltür und betritt eine große Fabriketage: An den Wänden Metallregale voller elektrischer Bauteile, riesige Holzkisten auf dem Boden, auf einem Tisch liegen rosa Metalldrähte – als elektrische Leiter, so genannte Litzen, sind sie zu einem meterlangen Zopf geflochten. "In diesem geflochtenen Zopf sind noch dünnere Litzen, dünner als ein Millimeter", so Jordan. Der Biologe sprüht vor Begeisterung, während er die unscheinbaren Drähte in seinen Händen wiegt. Sie sind ein kleiner Baustein seiner großer Vision: Krebs mit Magnetkraft zu bekämpfen.
Vor mehr als 30 Jahren hatte Jordan diese Idee und sie lässt ihn seitdem trotz aller Widerstände nicht mehr los. Für seine Doktorarbeit arbeitete er mit Medizinern an der Charité zusammen, die anfangs von seiner Vision begeistert waren. Doch der Erfolg wollte sich nicht einstellen: "Irgendwann haben sie gesagt: Junge das wird nichts. Das kannst Du vergessen."

Magnetfeld bringt Teilchen zum Zittern

Dabei klingt das Prinzip seiner Therapie verblüffend einfach: Eisenoxidkügelchen in Nanogröße werden in das Tumorgewebe gespritzt. Die Patienten liegen in einem Gerät, das an einen Computertomografen erinnert. Doch statt Röntgenstrahlen erzeugt der so genannte Aktivator ein starkes Magnetfeld, das von außen angelegt wird. "Das Feld verändert die Polarität der Teilchen", erklärt Jordan. Das passiert 100.000 Mal in der Sekunde und die winzigen Partikel beginnen zu zittern. Dabei entstehe eine "gleichförmige Überwärmung", die die Krebszellen schädige.
Jordans Methode ist ein Ansatz in der so genannten Hyperthermie, bei der ein Tumor mit Hitze bekämpft wird. Dazu zählen ganz verschiedene Verfahren, sagt Birgit Hiller vom Krebsinformationsdienst. Viele Patienten wenden sich an den Informationsservice des deutschen Krebsforschungszentrums – oft mit falschen Hoffnungen. Denn nicht alles habe etwas mit seriöser Therapie zu tun: "Die Hyperthermie ist nur für ganz wenige Krankheitssituationen und damit natürlich auch nur für ganz wenige Betroffene eine geprüfte Standardtherapie", warnt Hiller. Trotz langjähriger wissenschaftlicher Arbeiten friste die Krebsbehandlung mit Hitze weiter ein Nischendasein. Ein zentrales Problem ist das punktgenaue Erhitzen des kranken Gewebes, damit tatsächlich nur Tumorzellen geschädigt werden.

Heureka-Moment kam per Zufallstreffer

Für den Biologen Andreas Jordan liegt der Schlüssel in seinen magnetischen Nanoteilchen. Er testete hunderte verschiedener Proben, aber keiner der Stoffe war geeignet. Eines Tages dann der Durchbruch, als er sich mit einem Kollegen über verschiedene Werkstoffe unterhielt. "Plötzlich machte es bumm", erinnert sich Jordan. Das Probenröhrchen war geplatzt. Innerhalb weniger Minuten stieg die Temperatur im Wechselfeld so stark an, weil die Nanoteilchen viel Energie aufgenommen hatten. Ein "Heureka-Effekt" für den Wissenschaftler, weil die zuvor getesteten Stoffe die Temperatur immer nur leicht erhöhen konnten.

In einem Berliner Labor steht Markus Nettel vor einem großen, runden Glaskolben. Darin eine tintenblaue Flüssigkeit, in der die winzigen Eisenoxid-Partikel schwimmen. Überzogen werden sie mit einer dünnen Hülle einer Siliziumverbindung, erklärt der Produktionsleiter: "So schweben sie gleichmäßig in der Flüssigkeit, die später in das Tumorgewebe gespritzt wird." Zudem verhindert die Hülle, dass die winzigen Teilchen durch den Körper wandern. Ein Milliliter der Lösung enthält rund 17 Billiarden der Eisenoxid-Kügelchen – abgesehen von diesen gigantischen Zahlen sieht die Flüssigkeit reichlich unspektakulär aus. "Die Wirkung entsteht tatsächlich erst im Magnetfeld", so Nettel. Dort fangen die Partikel an zu schwingen und geben so am Ende die Hitze ab.
In der rechten Flüssigkeit schwimmen winzige Eisenoxid-Partikel.
In der rechten Flüssigkeit schwimmen winzige Eisenoxid-Partikel.© Martin Mair

Fachwelt fordert weitere Studien

Derzeit dürfen mit der Wärme-Therapie mit den Nanopartikeln in Europa Glioblastome behandelt werden – ein besonders aggressiver Hirntumor. Im Schnitt sterben Patienten binnen eines halben Jahres an den Folgen. In einer Studie konnte Jordans Methode in Kombination mit klassischer Bestrahlung die Überlebenszeit verdoppeln, doch die Fachwelt bleibt skeptisch. Die Zahl der Patienten sei mit 59 zu klein für eine verlässliche Aussage und eine Kontrollgruppe habe gefehlt. Zudem ist das Verfahren als Medizinprodukt zugelassen. Andres als bei Medikamenten gelten hier keine strengen Maßstäbe, wenn es darum geht, die Wirksamkeit nachzuweisen.
Jordan selbst stellt klar: Sein Ansatz sei bei den besonders bösartigen Hirntumoren nur eine Ergänzung. "Wir werden alles brauchen", so der Biologe und spricht davon, dass es neue Ansätze in der Molekularbiologie für die Therapie gibt. Eines aber sei sicher: "Es wird immer eine Kombination bleiben, weil kein Verfahren allein in der Lage ist, diese Tumorart nachhaltig zu behandeln."

Hyperthermie ist keine Kassenleistung

Für Birgit Hiller vom Krebsinformationsdienst des deutschen Krebsforschungszentrums ist ebenfalls klar, dass die Hyperthermie mit anderen Verfahren verbunden werden muss. "Meist ist das eine Chemotherapie oder eine Bestrahlung", so die Expertin. Zudem ist die Methode trotz vieler Jahre Entwicklung noch immer in der experimentellen Phase. Krankenkassen zahlen die rund 23.000 Euro teure Behandlung nur im Einzelfall.
Ein Allheilmittel können die winzigen Nanoteilchen ohnehin nie sein. Denn gerade sehr kleine Tumore bleiben häufig unentdeckt und lassen sich nicht mit den Partikeln behandeln. Chemotherapie oder Bestrahlung bleiben dann das Mittel der Wahl, weil sie auf den ganzen Körper wirken.
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