Mit Leibniz im Garten

Von Volkhard App |
Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz soll Pate sein für die "KunstFestSpiele Herrenhausen", die sich vorgenommen haben, eine Balance zwischen Tradition und Moderne herzustellen. Und so gibt es neben Alter Musik auch zeitgenössische Performances oder an Hubschraubern hängende Kajaks zu bestaunen.
Ungewohnte Töne in den Barockgärten von Hannover-Herrenhausen, wo die sommerlichen Festwochen einen neuen Namen und ein neues Konzept erhalten haben, geprägt von der eigenwilligen Intendantin Elisabeth Schweeger. In den historischen Gärten will sie die Tradition zur Moderne hin öffnen und die verschiedenen Künste miteinander verbinden.

Selbstverständlich spielt Stadtmarketing eine Rolle bei diesem Neuanfang. Waren die bisherigen Sommer-Festveranstaltungen eher eine lokale Pflichtübung mit barocken Konzerten und etwas Theater, so möchte man nun mit wahren Events überregionale Aufmerksamkeit erregen. Wieviel Moderne aber ist an diesem Ort überhaupt möglich?

Elisabeth Schweeger: "Nachdem Leibniz ein ungewöhnlich moderner Mensch war und sich immer für das Neue eingesetzt hat und er sozusagen der Spiritus Rector dieses Ortes ist, denke ich, dass die Moderne hier ihren konkreten Platz hat. Und wir haben versucht, ein Programm zu entwickeln, das eine Balance zwischen der Tradition und der Moderne herstellt. Die Moderne ist ohne die Tradition nicht zu verstehen, sie generiert sich aus der Tradition. Aber man muss diese weiterdenken, die Menschheit muss sich weiterentwickeln, und mit ihr die Kunst."

Einfach ist das sicher nicht. So bot die Inszenierung von Monteverdis "Orfeo" zunächst sinnliche Opulenz, um dann merklich abzukühlen und mit Texten des verstorbenen Rockrebellen Kurt Cobain zu überraschen.

Ältere Musik und zeitgenössische bietet dieses Festival, präsentiert zeitkritische Diskurse, Performances und Installationen. Da ließ der Schweizer Roman Signer in gewohnt witziger Manier einen Kajak per Hubschrauber durch die Luft schweben, und Christoph Schlingensief erinnert mit Modellen und Gebäuden an sein mutiges Opernprojekt in Afrika. Ausgerechnet hier in den Herrenhäuser Gärten?

Elisabeth Schweeger: "Weil es ein Nachdenken ist über andere Zustände, andere Völker und Kulturen. Und Leibniz wollte die Welt nach Hannover bringen - auch die, die uns nicht bekannt ist. Und hier gibt es mit Christoph Schlingensief einen europäischen Künstler, der ähnlich universell denkt und in Afrika sieht, dass man noch was lernen kann."

Kein Mangel an Irritationen. "Pate Leibniz" hieß am Wochenende ein Abend in der Orangerie: Jean-Pierre Drouet trommelte und stieß Sprachfetzen hervor, machte vielerlei Geräusche mit Papier und anderen Materialien, Michael Riessler experimentierte an der Bassklarinette und Performer Nigel Charnock tanzte über die Bühne und lief durch den weitgehend leeren Zuschauerraum. Drei wunderbare Solisten - aber die Bezüge zum "Paten", den Universalgelehrten Leibniz, blieben doch eher vage.

Riessler trat auch an anderen Abenden der KunstFestSpiele Herrenhausen auf. Sein Eindruck von diesem Festival:

"Man wünschte sich, dass mehr kämen. Da war überall noch Luft nach oben. Aber insgesamt kann ich sagen, es ist ein sehr interessiertes und aufmerksames Publikum."

Über den konkreten Kartenverkauf schweigt sich Hannovers Kulturdezernentin Marlis Drevermann nach zwei Wochen noch aus, zeigt sich aber erfreut über die mediale Resonanz. Dabei ist fraglich, ob sich dieses neue, weitgesteckte Festivalprofil, dieser Jahrhunderte übergreifende Mix aus unterschiedlichen Künsten einer breiteren Öffentlichkeit wirklich schon eingeprägt hat. Die Dezernentin:

"Was heißt breit? Die Menschen kommen zu uns, und wir bieten immer wieder Einführungen zu den verschiedenen Konzerten und zu den anderen Veranstaltungen. Die einzelnen Formate sind sicher sehr unterschiedlich - es geht mit der Leichtigkeit eines 'Orfeo', und wenn man dann Roman Signer sieht, muss man schon ein bisschen mehr nachdenken. Aber insgesamt ist es die spielerische Vermittlung des Alten wie der Moderne."

Besser besucht als manch andere Darbietung war der Abend "Chorus", eben weil er ein Publikum anzog, das an diesem historischen Ort nicht soviel Zeitgenössisches, sondern eher Traditionelles erwartet. Der "Große Garten" sollte mehrere Stunden lang zum Klingen gebracht werden. Chöre mit Hunderten von Mitwirkenden hatten sich über die Anlage verteilt, das Publikum wanderte und machte unter lieblichen Bäumen und zwischen hohen Hecken seine Entdeckungen.

Ein paar Tage noch dauert dieser beherzte erste Versuch, dann wird Bilanz gezogen. Ein couragierter Neuanfang mit vielen Ideen, soviel zeitgenössische Akzente gab es hier noch nie - wobei die Vielfalt vereinzelt in ein Vielerlei umzuschlagen droht. Und der Festivaltitel "Die Macht des Spiels" ist austauschbar und hält die Facetten nicht wirklich zusammen. Aber vielleicht ist damit ja vor allem die derzeit alle Kulturereignisse überschattende Fußball-WM in Südafrika gemeint.