Mit Kooperationen gegen steigende Militärausgaben
Die Länder Europas könnten durch militärische Zusammenarbeit viel Geld sparen, sagen Experten. Ein positives Beispiel ist das Europäische Lufttransport-Kommando in Eindhoven. Doch oft verhindern nationale Interessen eine intensivere Kooperation.
Die Zentrale des Europäischen Lufttransport-Kommandos liegt im zweiten Stock eines Neubaus auf dem Flughafen der niederländischen Luftwaffe bei Eindhoven. Hier arbeiten vier Soldaten rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche im Schichtbetrieb. Auf ihren Monitoren verfolgen sie knapp 170 Transportflugzeuge, die ihnen unterstellt sind. Hier koordinieren die Diensthabenden die Transportflüge für die Luftstreitkräfte der Niederlande, Deutschlands, Frankreichs und bald auch Belgiens. Oberst Ludger Bette, verantwortlich für die operative Leitung der Transporter, erklärt die Anzeigen auf den Bildschirmen:
"Dort sehen sie jetzt also die Einsätze, insgesamt sind 87 aufgeführt, und sie sehen dann beispielsweise unsere Einsätze mit den unterschiedlichen Rufzeichen, mit den unterschiedlichen Flugzeugtypen am rechten Rand und welche Nation es betrifft. Wir nutzen verschiedene Farbskalen, damit wir erkennen können, welchen zustand dieses Flugzeug gerade hat, ob das Flugzeug sich am Boden befindet, ob es ein technischen Problem hat, oder ob es in der Luft sich gerade befindet."
In einer Zeile steht VIP, NL, Afghanistan.
"Das ist zum Beispiel eine Gulfstream 40, die aus Kabul zurückgeflogen ist und die sich auf dem Weg nach Rotterdam befindet mit einer hochgestellten Persönlichkeit aus den Niederlanden."
Geflogen werden Soldaten, Fracht, manchmal auch Politiker. Und wer in wessen Maschine sitzt, ist egal. Hier wird zusammen gelegt, gemeinsam geplant, gemeinsam gespart. Eine deutsche Transall fliegt zum Beispiel Nachschub für französische Soldaten, eine niederländische transportiert Franzosen nach Afrika. Das Europäische Lufttransport-Kommando hat im Sommer 2010 seine Arbeit aufgenommen. Die Zusammenarbeit ist weitreichend: Deutschland wickelt einen Großteil seiner Transporte über Eindhoven ab, das deutsche Lufttransportkommando ist aufgelöst. Die Gründe liegen auf der Hand: Es geht ums Geld. Die vier Partnernationen haben das Projekt initiiert, um zu sparen. Präzise Zahlen nennt niemand. Kommandant Jochen Both:
"Ich bin der festen Überzeugung, dass wir an die 15 bis 20 Prozent einsparen werden im Vergleich zu den alten Systemen, die die Nationen unterhalten haben. Von den Einsparungen sollen auch andere Länder profitieren können. Spanien beispielsweise zeigt Interesse. Und nach der Auslieferung des neuen Transportflugzeuges A400M dürfte das Lufttransportkommando noch attraktiver werden."
Beispiele wie das Europäische Lufttransport-Kommando in Eindhoven sind in der Europäischen Union eher selten. Zwar geben die Länder der EU jedes Jahr um die 200 Milliarden Euro für ihre Armeen aus. Doch Experten bemängeln: viele Soldaten –wenig schlagkräftig. Mehr Effizienz wäre möglich. Die Finanz- und Schuldenkrise drängt überdies zu Budget-Kürzungen. Aber bei den Militärs ist Kooperation ein ganz sensibles Thema. Die Zusammenarbeit steht noch am Anfang. Im Mittelpunkt zahlreicher Bemühungen um Kooperation auf europäischer Ebene steht die Europäische Verteidigungsagentur, EDA. Die Staats- und Regierungschefs der EU gründeten die EDA 2004. Seitdem hat sie zahlreiche Projekte initiiert. Beispiel: gemeinsames Training von Hubschrauber-Piloten.
Die Gegend um Zaragossa erinnert ein bisschen an Afghanistan. Staubig, heiß und hoch gelegen. Ein ideales Terrain, um mit Hubschraubern den Einsatz am Hindukusch zu üben, ohne Gefahr, von Raketen beschossen zu werden. Denn Zaragossa liegt im Norden Spaniens, am Fuße der Pyrenäen. Hier veranstaltete die Europäische Verteidigungsagentur EDA im Juni 2010 ein dreiwöchiges Training für Hubschrauber-Piloten aus den Ländern der EU. Projektleiter Andrew Gray:
"Es geht bei diesem Training um drei Sachen: Erstens landen bei schlechter Sicht, verursacht zum Beispiel durch Staub. Dann geht es darum, Flüge im Gebirge zu trainieren. Das verlangt vom Piloten viel Können. Zuerst fliegen wir im Mittelgebirge, dann geht es ins Hochgebirge."
Das Ziel: Die Piloten sollen das Fliegen unter extremen Bedingungen üben. Denn dazu sind nicht alle Besatzungen in der Lage. Außerdem sind Hubschrauber bei vielen NATO- oder EU-Einsätzen Mangelware. Zum einen, weil die Europäer zu wenig Helikopter haben, zum anderen, weil einige Nationen nicht über die Piloten verfügen, die im schwierigen Gelände fliegen können. An dem Training haben Teams aus neun Ländern teilgenommen – über 700 Personen, mehr als 40 Maschinen. Der Erfolg solcher Übungen stellt sich aber eher langsam ein: Wie viele zusätzliche Maschinen nach dem Training zu Kampfeinsätzen entsendet werden, lässt sich kaum erheben.
Den Mangel an Hubschraubern wollten die Nationen durch ein weiteres Projekt beheben, den NH 90. 15 Länder beteiligen sich. Das Firmenkonsortium aus Eurocopter, Agusta Westland und Stork Fokker soll knapp 600 Maschinen bauen. Die ersten wurden bereits ausgeliefert. Doch das gemeinsame, gut gemeinte Projekt ist alles andere als ein positives Beispiel für die Zusammenarbeit. Dick Zandee, Projektleiter bei der Europäischen Verteidigungsagentur EDA, nennt den NH 90 einen "Lost case", einen verlorenen Fall:
"Ein anderes Problem mit dem NH 90: Am Anfang hat es eine Bestellung gegeben für einen Hubschrauber-Typ, beschlossen von allen Mitgliedsstaaten. Und während der Produktion haben dann alle Extrabestellungen für bestimmte Ausstattungen eingereicht. Das Ergebnis: Am Ende hatten wir 24 Versionen des NH 90. Das ist nicht nur ein Albtraum für die Industrie, die unterschiedliche Produktionsstraßen bereitstellen muss. Vor allem treibt das die Kosten nach oben und sorgt dafür, dass gemeinsame Einsätze der Maschinen wieder schwieriger sind."
Dick Zandee kennt das Problem: Tag für Tag bekommt die Europäische Verteidigungsagentur die Fragmentierung Europas zu spüren. Nach wie vor gebe es nationale Armeen, Ausschreibungen erfolgten auf nationaler Ebene, und viele Staaten wollten eigene Rüstungsbetriebe schützen. Es gebe nach wie vor zu wenig Kooperation über die Grenzen hinweg.
Ein weiteres Beispiel: die sogenannte Flugtüchtigkeitsprüfungen.
"Das wird alles national durchgeführt. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass 25 Prozent der Kosten bei großen Anschaffungen wie Flugzeugen oder Helikoptern für die Zertifizierung ausgegeben werden. Wenn sie das harmonisieren, wenn es eine Luftsicherheitsbehörde gibt, dann können sie 25 Prozent der Kosten sparen. Wenn sie den NH 90 nehmen – das ist ja ein einfaches Rechenbeispiel, 600 Maschinen werden derzeit von 15 Staaten gekauft. Alle führen die Flugtüchtigkeitsprüfungen rein national durch. Die Maschinen zusammen genommen kosten 20 Milliarden Euro. Wenn wir 25 Prozent sparen könnten, dann sind das fünf Milliarden Euro. Das ist viel Geld."
Die EDA, die Europäische Verteidigungsagentur, möchte es jetzt besser machen. 2007 haben Deutschland und Frankreich vereinbart, einen Hubschrauber zu bauen, der schwere Lasten befördern kann. Arbeitstitel: Future Transport Helicopter. Diese Maschine soll bis zu 15 Tonnen Material oder Personal in Einsatzgebieten transportieren können – ein Bereich, in dem die europäischen Armeen Defizite haben. Derzeit liefen Gespräche mit Deutschland, Frankreich und anderen interessierten Nationen, sagt Dick Zandee. Es gehe darum, nicht erneut zahlreiche unterschiedliche Versionen eines Modells zu bestellen. Die EDA denkt auch darüber nach, eine europäische Hubschrauber-Einheit zu gründen, das dem Lufttransport-Kommando in Eindhoven ähnelt. Projektleiter Andrew Gray:
"Ich wurde beauftragt, die Verfügbarkeit von Hubschraubern zu verbessern. Das kann man machen, indem man neue Hubschrauber kauft, alte Maschinen wieder herrichtet oder solche, die wir fliegen, besser nutzt. Die Situation ist ähnlich wie vor einigen Jahren, als wir zu wenig Transportflugzeuge hatten – Stichwort C 17 - und deswegen frage ich mich, ob es nicht einfacher wäre, wenn die Nationen zusammen treten und eine gemeinsame Hubschrauber-Einheit bilden. Wir sind da noch ganz am Anfang. Aber ich möchte untersuchen, was das kosten würde und welche Länder Interesse haben."
Der gemeinsame Verband hätte den Vorteil, dass sich gerade auch kleinere Streitkräfte finanziell beteiligen könnten, ohne eine eigene Hubschrauber-Flotte aufbauen zu müssen. Die Staaten hätten dann Kapazitäten für ihre Einsätze, beispielsweise in Afghanistan.
Insgesamt betreut die Europäische Verteidigungsagentur unzählige größere und kleinere Projekte. Darunter eine elektronische Plattform, auf der die Verteidigungsministerien ihre Ausschreibungen aufgeben können, um europaweit Angebote einholen zu können. Dabei geht es zum Beispiel um die Beschaffung von Decken, Stiefeln, unter Umständen auch von Munition.
Weiteres Projekt: gemeinsame Forschung im Bereich Sprengfallen. Im Rahmen der EDA haben die Staaten ein Experten-Team zusammen gestellt, das Sprengfallen untersucht, um die Ergebnisse für Schutzmaßnahmen auszuwerten. Dadurch muss nicht jede Nation, die beispielsweise Soldaten in Afghanistan hat, solche Einheiten bilden. Das Thema ist wichtig, weil in Afghanistan die meisten Soldaten durch Sprengfallen ums Leben kommen.
Einige Projekte zeigen jedoch eine gemischte Bilanz: Für den schnellen Einsatz in Krisengebieten hat die Europäische Union die sogenannten Battlegroups gegründet. Diese schnellen Eingreiftruppen werden jedes halbe Jahr neu zusammen gestellt. Mal kämpfen Niederländer gemeinsam mit Franzosen, mal Schweden mit Finnen. Theoretisch, denn einen Einsatz hatte dieses Instrument der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik noch nicht. Kritiker sagen, die Battlegroups hätten in Darfur das Leben unschuldiger Flüchtlinge schützen können. Doch bislang müssen alle Länder zustimmen – und einer ist bekanntlich immer dagegen. Der Druck auf die Staaten wächst, ihre Budgets zu kürzen. Deutschland hat 2009 mehr als 31 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgegeben, inklusive Pensionszahlungen. 2010 ist diese Zahl nach Angaben des schwedischen Forschungsinstituts SIPRI etwas niedriger.
Auch Frankreich, Polen und Italien setzen im Militärhaushalt den Rotstift an. In Großbritannien will die neue Regierung in allen Budgets 20 Prozent einsparen. Am 2. November vergangenen Jahres unterzeichneten Frankreich und Großbritannien ein Abkommen über eine engere militärische Kooperation. Nachdem Frankreichs Präsident Sarkozy und der britische Premier Cameron die schweren Ledermappen mit dem Vertragstext und ihren Unterschriften getauscht hatten, hob Cameron die Bedeutung hervor:
"Heute schlagen wir ein neues Kapitel in einer langen Geschichte der Kooperationen zwischen Großbritannien und Frankreich auf. Das Ergebnis ist mehr Sicherheit für unsere Bürger in einer unsicheren Welt. Das Abkommen hilft uns auch dabei, unsere Stärke beizubehalten in einer Zeit, in der nationale Haushalte unter Druck stehen."
Das Ziel: Sparen, ohne das Militär zu schwächen. Die Nuklearmächte wollen gemeinsam neue Atomsprengköpfe entwickeln, Flugzeugträger gemeinsam nutzen, genauso wie A400M Transportflugzeuge und eine gemeinsame Einheit aufbauen für den schnellen Eingriff im Krisenfall. Wie wichtig es den beiden Ländern ist, unterstreicht auch die Dauer des Abkommens: 50 Jahre. Ökonomisch klingt die Kooperation vernünftig, doch politisch ist sie umstritten. Für Professor Arnand Menon von der Universität Birmingham ist klar: Zwei bedeutende Länder wenden der Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik den Rücken zu.
"Grundsätzlich könnte das Abkommen für die Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik schädlich sein. Es ist interessant, dass dieses Abkommen unterzeichnet wurde, weil es deutlich macht, dass es immer schwieriger wird, alleine zu handeln. Großbritannien und Frankreich sagen also, es gibt Grenzen für das, was wir alleine erreichen können. Das ist ein Wendepunkt. Aber ich hätte lieber gesehen, dass die beiden Länder es in einem europäischen Zusammenhang getan hätten."
Doch dazu waren beide Länder offenbar nicht bereit. Aus unterschiedlichen Gründen. Auf britischer Seite mag eine Rolle gespielt haben, dass die neue Regierung europakritisch ist. Vor allem Verteidigungsminister Liam Fox gilt als Kritiker der Brüsseler Behörden. Doch die Reserviertheit gegenüber Europa ist nur ein Grund gewesen sein, warum Frankreich und Großbritannien eng kooperieren. Die britische Regierung musste gleich nach ihrem Amtsantritt ein umfassendes Sparpaket durchsetzen. Premier Cameron kommt es auf schnelle Spar-Erfolge an. Und die sind auf der europäischen Ebene erst einmal nicht zu erreichen – auch wenn die EU-Regierungen darum bereits seit zehn Jahren bemüht sind.
Trotz der Ungeduld in einigen Ländern versuchen die Verteidigungsminister, die Zusammenarbeit zu verbessern. Seit 2009 gilt der Vertrag von Lissabon, der auch die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärken soll. Auf ihrem informellen Treffen im belgischen Gent haben die Verteidigungsminister einen Drei-Stufen-Plan beschlossen. Die einzelnen Ministerien sollen nun prüfen, wo sie sich eine vertiefte Kooperation vorstellen können, wo sie sogar auf Fähigkeiten verzichten können und wo die Grenzen der Kooperation sind, also in welchen Bereichen die einzelnen Armeen nicht zusammen arbeiten wollen. Der Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Christian Schmidt:
"Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass wir in Zeiten, in denen jeder den Rechenstift nehmen muss, dass wir es uns nicht mehr leisten können, 20 mal die gleiche Fähigkeit leidlich zur Verfügung zu haben, und nirgendwo so richtig ganz effizient."
Bis zum Sommer 2011 haben die EU-Länder Zeit, ihre Standpunkte auszuloten. Danach sollen weitere Schritte eingeleitet werden.
"Dort sehen sie jetzt also die Einsätze, insgesamt sind 87 aufgeführt, und sie sehen dann beispielsweise unsere Einsätze mit den unterschiedlichen Rufzeichen, mit den unterschiedlichen Flugzeugtypen am rechten Rand und welche Nation es betrifft. Wir nutzen verschiedene Farbskalen, damit wir erkennen können, welchen zustand dieses Flugzeug gerade hat, ob das Flugzeug sich am Boden befindet, ob es ein technischen Problem hat, oder ob es in der Luft sich gerade befindet."
In einer Zeile steht VIP, NL, Afghanistan.
"Das ist zum Beispiel eine Gulfstream 40, die aus Kabul zurückgeflogen ist und die sich auf dem Weg nach Rotterdam befindet mit einer hochgestellten Persönlichkeit aus den Niederlanden."
Geflogen werden Soldaten, Fracht, manchmal auch Politiker. Und wer in wessen Maschine sitzt, ist egal. Hier wird zusammen gelegt, gemeinsam geplant, gemeinsam gespart. Eine deutsche Transall fliegt zum Beispiel Nachschub für französische Soldaten, eine niederländische transportiert Franzosen nach Afrika. Das Europäische Lufttransport-Kommando hat im Sommer 2010 seine Arbeit aufgenommen. Die Zusammenarbeit ist weitreichend: Deutschland wickelt einen Großteil seiner Transporte über Eindhoven ab, das deutsche Lufttransportkommando ist aufgelöst. Die Gründe liegen auf der Hand: Es geht ums Geld. Die vier Partnernationen haben das Projekt initiiert, um zu sparen. Präzise Zahlen nennt niemand. Kommandant Jochen Both:
"Ich bin der festen Überzeugung, dass wir an die 15 bis 20 Prozent einsparen werden im Vergleich zu den alten Systemen, die die Nationen unterhalten haben. Von den Einsparungen sollen auch andere Länder profitieren können. Spanien beispielsweise zeigt Interesse. Und nach der Auslieferung des neuen Transportflugzeuges A400M dürfte das Lufttransportkommando noch attraktiver werden."
Beispiele wie das Europäische Lufttransport-Kommando in Eindhoven sind in der Europäischen Union eher selten. Zwar geben die Länder der EU jedes Jahr um die 200 Milliarden Euro für ihre Armeen aus. Doch Experten bemängeln: viele Soldaten –wenig schlagkräftig. Mehr Effizienz wäre möglich. Die Finanz- und Schuldenkrise drängt überdies zu Budget-Kürzungen. Aber bei den Militärs ist Kooperation ein ganz sensibles Thema. Die Zusammenarbeit steht noch am Anfang. Im Mittelpunkt zahlreicher Bemühungen um Kooperation auf europäischer Ebene steht die Europäische Verteidigungsagentur, EDA. Die Staats- und Regierungschefs der EU gründeten die EDA 2004. Seitdem hat sie zahlreiche Projekte initiiert. Beispiel: gemeinsames Training von Hubschrauber-Piloten.
Die Gegend um Zaragossa erinnert ein bisschen an Afghanistan. Staubig, heiß und hoch gelegen. Ein ideales Terrain, um mit Hubschraubern den Einsatz am Hindukusch zu üben, ohne Gefahr, von Raketen beschossen zu werden. Denn Zaragossa liegt im Norden Spaniens, am Fuße der Pyrenäen. Hier veranstaltete die Europäische Verteidigungsagentur EDA im Juni 2010 ein dreiwöchiges Training für Hubschrauber-Piloten aus den Ländern der EU. Projektleiter Andrew Gray:
"Es geht bei diesem Training um drei Sachen: Erstens landen bei schlechter Sicht, verursacht zum Beispiel durch Staub. Dann geht es darum, Flüge im Gebirge zu trainieren. Das verlangt vom Piloten viel Können. Zuerst fliegen wir im Mittelgebirge, dann geht es ins Hochgebirge."
Das Ziel: Die Piloten sollen das Fliegen unter extremen Bedingungen üben. Denn dazu sind nicht alle Besatzungen in der Lage. Außerdem sind Hubschrauber bei vielen NATO- oder EU-Einsätzen Mangelware. Zum einen, weil die Europäer zu wenig Helikopter haben, zum anderen, weil einige Nationen nicht über die Piloten verfügen, die im schwierigen Gelände fliegen können. An dem Training haben Teams aus neun Ländern teilgenommen – über 700 Personen, mehr als 40 Maschinen. Der Erfolg solcher Übungen stellt sich aber eher langsam ein: Wie viele zusätzliche Maschinen nach dem Training zu Kampfeinsätzen entsendet werden, lässt sich kaum erheben.
Den Mangel an Hubschraubern wollten die Nationen durch ein weiteres Projekt beheben, den NH 90. 15 Länder beteiligen sich. Das Firmenkonsortium aus Eurocopter, Agusta Westland und Stork Fokker soll knapp 600 Maschinen bauen. Die ersten wurden bereits ausgeliefert. Doch das gemeinsame, gut gemeinte Projekt ist alles andere als ein positives Beispiel für die Zusammenarbeit. Dick Zandee, Projektleiter bei der Europäischen Verteidigungsagentur EDA, nennt den NH 90 einen "Lost case", einen verlorenen Fall:
"Ein anderes Problem mit dem NH 90: Am Anfang hat es eine Bestellung gegeben für einen Hubschrauber-Typ, beschlossen von allen Mitgliedsstaaten. Und während der Produktion haben dann alle Extrabestellungen für bestimmte Ausstattungen eingereicht. Das Ergebnis: Am Ende hatten wir 24 Versionen des NH 90. Das ist nicht nur ein Albtraum für die Industrie, die unterschiedliche Produktionsstraßen bereitstellen muss. Vor allem treibt das die Kosten nach oben und sorgt dafür, dass gemeinsame Einsätze der Maschinen wieder schwieriger sind."
Dick Zandee kennt das Problem: Tag für Tag bekommt die Europäische Verteidigungsagentur die Fragmentierung Europas zu spüren. Nach wie vor gebe es nationale Armeen, Ausschreibungen erfolgten auf nationaler Ebene, und viele Staaten wollten eigene Rüstungsbetriebe schützen. Es gebe nach wie vor zu wenig Kooperation über die Grenzen hinweg.
Ein weiteres Beispiel: die sogenannte Flugtüchtigkeitsprüfungen.
"Das wird alles national durchgeführt. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass 25 Prozent der Kosten bei großen Anschaffungen wie Flugzeugen oder Helikoptern für die Zertifizierung ausgegeben werden. Wenn sie das harmonisieren, wenn es eine Luftsicherheitsbehörde gibt, dann können sie 25 Prozent der Kosten sparen. Wenn sie den NH 90 nehmen – das ist ja ein einfaches Rechenbeispiel, 600 Maschinen werden derzeit von 15 Staaten gekauft. Alle führen die Flugtüchtigkeitsprüfungen rein national durch. Die Maschinen zusammen genommen kosten 20 Milliarden Euro. Wenn wir 25 Prozent sparen könnten, dann sind das fünf Milliarden Euro. Das ist viel Geld."
Die EDA, die Europäische Verteidigungsagentur, möchte es jetzt besser machen. 2007 haben Deutschland und Frankreich vereinbart, einen Hubschrauber zu bauen, der schwere Lasten befördern kann. Arbeitstitel: Future Transport Helicopter. Diese Maschine soll bis zu 15 Tonnen Material oder Personal in Einsatzgebieten transportieren können – ein Bereich, in dem die europäischen Armeen Defizite haben. Derzeit liefen Gespräche mit Deutschland, Frankreich und anderen interessierten Nationen, sagt Dick Zandee. Es gehe darum, nicht erneut zahlreiche unterschiedliche Versionen eines Modells zu bestellen. Die EDA denkt auch darüber nach, eine europäische Hubschrauber-Einheit zu gründen, das dem Lufttransport-Kommando in Eindhoven ähnelt. Projektleiter Andrew Gray:
"Ich wurde beauftragt, die Verfügbarkeit von Hubschraubern zu verbessern. Das kann man machen, indem man neue Hubschrauber kauft, alte Maschinen wieder herrichtet oder solche, die wir fliegen, besser nutzt. Die Situation ist ähnlich wie vor einigen Jahren, als wir zu wenig Transportflugzeuge hatten – Stichwort C 17 - und deswegen frage ich mich, ob es nicht einfacher wäre, wenn die Nationen zusammen treten und eine gemeinsame Hubschrauber-Einheit bilden. Wir sind da noch ganz am Anfang. Aber ich möchte untersuchen, was das kosten würde und welche Länder Interesse haben."
Der gemeinsame Verband hätte den Vorteil, dass sich gerade auch kleinere Streitkräfte finanziell beteiligen könnten, ohne eine eigene Hubschrauber-Flotte aufbauen zu müssen. Die Staaten hätten dann Kapazitäten für ihre Einsätze, beispielsweise in Afghanistan.
Insgesamt betreut die Europäische Verteidigungsagentur unzählige größere und kleinere Projekte. Darunter eine elektronische Plattform, auf der die Verteidigungsministerien ihre Ausschreibungen aufgeben können, um europaweit Angebote einholen zu können. Dabei geht es zum Beispiel um die Beschaffung von Decken, Stiefeln, unter Umständen auch von Munition.
Weiteres Projekt: gemeinsame Forschung im Bereich Sprengfallen. Im Rahmen der EDA haben die Staaten ein Experten-Team zusammen gestellt, das Sprengfallen untersucht, um die Ergebnisse für Schutzmaßnahmen auszuwerten. Dadurch muss nicht jede Nation, die beispielsweise Soldaten in Afghanistan hat, solche Einheiten bilden. Das Thema ist wichtig, weil in Afghanistan die meisten Soldaten durch Sprengfallen ums Leben kommen.
Einige Projekte zeigen jedoch eine gemischte Bilanz: Für den schnellen Einsatz in Krisengebieten hat die Europäische Union die sogenannten Battlegroups gegründet. Diese schnellen Eingreiftruppen werden jedes halbe Jahr neu zusammen gestellt. Mal kämpfen Niederländer gemeinsam mit Franzosen, mal Schweden mit Finnen. Theoretisch, denn einen Einsatz hatte dieses Instrument der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik noch nicht. Kritiker sagen, die Battlegroups hätten in Darfur das Leben unschuldiger Flüchtlinge schützen können. Doch bislang müssen alle Länder zustimmen – und einer ist bekanntlich immer dagegen. Der Druck auf die Staaten wächst, ihre Budgets zu kürzen. Deutschland hat 2009 mehr als 31 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgegeben, inklusive Pensionszahlungen. 2010 ist diese Zahl nach Angaben des schwedischen Forschungsinstituts SIPRI etwas niedriger.
Auch Frankreich, Polen und Italien setzen im Militärhaushalt den Rotstift an. In Großbritannien will die neue Regierung in allen Budgets 20 Prozent einsparen. Am 2. November vergangenen Jahres unterzeichneten Frankreich und Großbritannien ein Abkommen über eine engere militärische Kooperation. Nachdem Frankreichs Präsident Sarkozy und der britische Premier Cameron die schweren Ledermappen mit dem Vertragstext und ihren Unterschriften getauscht hatten, hob Cameron die Bedeutung hervor:
"Heute schlagen wir ein neues Kapitel in einer langen Geschichte der Kooperationen zwischen Großbritannien und Frankreich auf. Das Ergebnis ist mehr Sicherheit für unsere Bürger in einer unsicheren Welt. Das Abkommen hilft uns auch dabei, unsere Stärke beizubehalten in einer Zeit, in der nationale Haushalte unter Druck stehen."
Das Ziel: Sparen, ohne das Militär zu schwächen. Die Nuklearmächte wollen gemeinsam neue Atomsprengköpfe entwickeln, Flugzeugträger gemeinsam nutzen, genauso wie A400M Transportflugzeuge und eine gemeinsame Einheit aufbauen für den schnellen Eingriff im Krisenfall. Wie wichtig es den beiden Ländern ist, unterstreicht auch die Dauer des Abkommens: 50 Jahre. Ökonomisch klingt die Kooperation vernünftig, doch politisch ist sie umstritten. Für Professor Arnand Menon von der Universität Birmingham ist klar: Zwei bedeutende Länder wenden der Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik den Rücken zu.
"Grundsätzlich könnte das Abkommen für die Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik schädlich sein. Es ist interessant, dass dieses Abkommen unterzeichnet wurde, weil es deutlich macht, dass es immer schwieriger wird, alleine zu handeln. Großbritannien und Frankreich sagen also, es gibt Grenzen für das, was wir alleine erreichen können. Das ist ein Wendepunkt. Aber ich hätte lieber gesehen, dass die beiden Länder es in einem europäischen Zusammenhang getan hätten."
Doch dazu waren beide Länder offenbar nicht bereit. Aus unterschiedlichen Gründen. Auf britischer Seite mag eine Rolle gespielt haben, dass die neue Regierung europakritisch ist. Vor allem Verteidigungsminister Liam Fox gilt als Kritiker der Brüsseler Behörden. Doch die Reserviertheit gegenüber Europa ist nur ein Grund gewesen sein, warum Frankreich und Großbritannien eng kooperieren. Die britische Regierung musste gleich nach ihrem Amtsantritt ein umfassendes Sparpaket durchsetzen. Premier Cameron kommt es auf schnelle Spar-Erfolge an. Und die sind auf der europäischen Ebene erst einmal nicht zu erreichen – auch wenn die EU-Regierungen darum bereits seit zehn Jahren bemüht sind.
Trotz der Ungeduld in einigen Ländern versuchen die Verteidigungsminister, die Zusammenarbeit zu verbessern. Seit 2009 gilt der Vertrag von Lissabon, der auch die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärken soll. Auf ihrem informellen Treffen im belgischen Gent haben die Verteidigungsminister einen Drei-Stufen-Plan beschlossen. Die einzelnen Ministerien sollen nun prüfen, wo sie sich eine vertiefte Kooperation vorstellen können, wo sie sogar auf Fähigkeiten verzichten können und wo die Grenzen der Kooperation sind, also in welchen Bereichen die einzelnen Armeen nicht zusammen arbeiten wollen. Der Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Christian Schmidt:
"Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass wir in Zeiten, in denen jeder den Rechenstift nehmen muss, dass wir es uns nicht mehr leisten können, 20 mal die gleiche Fähigkeit leidlich zur Verfügung zu haben, und nirgendwo so richtig ganz effizient."
Bis zum Sommer 2011 haben die EU-Länder Zeit, ihre Standpunkte auszuloten. Danach sollen weitere Schritte eingeleitet werden.