Mit Hip Hop gegen Mubarak

Von Kersten Knipp |
In der arabischen Welt haben viele Dichter einen regelrechten Kultstatus. Große Lyrik-Wettbewerbe füllen ganze Hallen, werden sogar vom Fernsehen übertragen. Oft geht es um Liebe, doch auch Politik ist ein Thema.
(Musik) "Baladi" – mein Land. Ein Stück über die Wut, den angesammelten Unmut, der die Ägypter im Winter dieses Jahres wieder auf die Straße trieb und bis heute dort hält, derzeit wieder mit frischer Energie. Denn es geht nicht recht weiter in dem Land, zwar steht Ex-Präsident Mubarak vor Gericht, viele andere aber, die auch dorthin gehören, nicht.

In seinem Song bringt der Dichter und Hip-Hop-Sänger Deeb die Kritik an der Nomenklatura seines Landes zum Ausdruck. "Sie haben uns eine eitle, frivole Generation genannt", heißt es in dem Stück. "Doch wir erheben uns und schweigen nicht mehr den Alten gegenüber."

Ganz nebenbei hat die ägyptische Revolution sehr viele Lieder hervorgebracht, in traditionellen ebenso wie zeitgenössischen Formen. In seiner Aggressivität bringe Hip Hop die Gefühle vieler Ägypter zwar drastisch, aber angemessen zum Ausdruck, meint Deeb:

"Ich beteilige mich durch meine Gedichte, genauer, den Hip Hop an der Revolution. Der Hip Hop ist die Sprache des Kampfes. Er greift Themen auf, die die Ägypter beschäftigen: die Korruption, den täglichen Kampf ums Überleben, die Allmacht der Regierung. Ich lebe ja genauso wie alle anderen Ägypter auch, habe dieselben Erfahrungen wie sie, dieselbe Frustration, denselben Ärger. Diese Erfahrungen greife ich dann in meinen Stücken auf, und so erzähle ich auf sehr persönliche Weise von der Revolution."

Einen ganz anderen, aber nicht weniger entschiedenen Ton schlägt die junge Hind Hammam an. "Unser Land wurde in Ihrer Amtszeit zerstört", klagt sie an. "Ihr Volk ist hungrig, es frisst schon von der Erde", heißt es in diesem Gedicht, das sich direkt an die Regierung wendet. Erst an die von Mubarak, jetzt an die neue – als vorsorgliche Mahnung gewissermaßen, als Aufforderung, die Reformen auch zu Ende zu bringen.

Auch Hind Hammam ist eine Stimme der jungen Revolutionäre. Bekannt wurde sie, nachdem sie ihre Dichtung in Jugendclubs vorgetragen hatte – diese waren insbesondere vor der Revolution eine Bühne für kritische Stimmen.

Hind Hammam: "Ich habe immer wieder versucht, die ägyptische Regierung, die Regierung Mubarak anzusprechen. Ich hatte es über Aufsätze und Essays in Zeitungen tun wollen, aber die wollten es nicht veröffentlichen, da sie unter dem Druck der Regierung standen. Darum habe ich mich der Dichtung zugewandt, die Dinge in lyrischer Form angesprochen und begonnen, mich auf diese Weise zu äußern."

Bis heute ist die Dichtung ein wichtiges Element der Revolution. Sie artikuliert die Gefühle der vielen, bringt zum Ausdruck, was sich sonst kaum sagen lässt. Zwar lässt dank der neuen Pressefreiheit vieles sagen in Ägypten, aber die Lektüre der Zeitungen ersetzt nicht die drängende Kraft der Dichtung. Vorgetragen in der Öffentlichkeit entwickelt sie eine viel größere Dynamik, erklärt Hind Hammam.

"Ich habe diese Texte in Jugendclubs vorgetragen. Es gibt in Ägypten sehr viele dieser Clubs. Während der Unruhen, aber auch nach dem Zusammenbruch des Regimes sind die Leute in die Clubs gekommen, um sich dort auf ihre Weise auszudrücken. "

Doch woher kommt diese Kraft der Dichtung, seien es Hip Hop–Verse oder klassische Gedichtzeilen? In seiner Arbeit knüpfe er an die Tradition an, erklärt Deeb, an eine uralte lyrische Kultur, die zwar auch eine intime Richtung kenne – aber eben auch eine politische.

Deeb: "Die Dichtung drückt den Zustand der Gesellschaft aus. Seit jeher hat sie sich auch den gesellschaftlichen Problemen gewidmet, die Missstände aufgegriffen, unter denen die Menschen leiden. Die Dichtung verleiht den Leuten eine Stimme, und sie hören zu, fühlen sich durch sie verstanden und ausgedrückt. Außerdem lieben die Araber die Sprache, sie lieben die Dichtung – als Hörer, aber auch als Amateurdichter. Wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin, fangen wir gelegentlich auch an, aus dem Stehgreif zu dichten."

Es ist schwer, in der arabischen Welt zu leben. So schwer, dass manche sich entscheiden, es anderswo zu versuchen. Der libysche Dichter Abduldaim Ukwas etwa. Vor vier Jahren verließ er sein Land, brach auf nach London, wo er seitdem lebt. Und wo er schreibt – darüber, was es heißt, in die Fremde zu gehen.

"Ich sehe in den Augen der Kinder Blitze / Sonnenaufgänge / Auswege aus der kreisförmigen Gegenwart", heißt es in diesem Text über eine erstarrte Gesellschaft. Darum ging auch Ukwas ins Exil."

Die Leute leben im Exil, wenn sie nicht tun oder sagen können, was sie wollen. Das ist das Exil. Jeder Ort der Welt, an dem das nicht möglich ist, stellt ein Exil dar. Aber die Bedeutung des Exils geht noch darüber hinaus. Denn auch, wenn man sich nicht entwickeln kann, wenn man nicht weiterkommt, lebt man im Exil. Auch wenn man nicht in der Fremde lebt, kann man doch im Exil leben – im schöpferischen Exil.
20, 30 Jahre lang boten allein die sich religiös gebenden Kräfte ein Forum für oppositionelle Stimmen. Das hat sich geändert. Einer jungen Generation von Dichtern geht es jetzt darum, mit ihren Mitteln dazu beizutragen, dass Araber künftig ein Leben in Würde und Freiheit führen können.