Mit Herodot auf Reisen
Der polnische Reisejournalist Ryszard Kapuscinski hat aus den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt berichtet. Der Band "Meine Reisen mit Herodot" ist eine Rückschau auf sein Reporterleben in Verbindung mit der Lektüre Herodots, der ihn stets begleitet hat. Mit dem naiven Blick eines Fremden nähert sich Kapuscinski seinen Themen, manchmal verfällt er jedoch zu sehr ins Allgemeine.
Es gibt zwei Typen von Reisejournalisten. Der eine möchte dem Leser vermitteln, dass die Welt schön ist und sozusagen immer eine Reise wert. Der andere, man denkt vor allem an den polnischen "Journalisten des Jahrhunderts", Ryszard Kapuscinski, wartet mit der pessimistischen Einsicht auf, dass die Erde bestenfalls als "gewalttätiges Paradies" gelten kann. Er berichtet vor allem aus Kriegs- und Krisengebieten und vermittelt dem Leser über einer spannenden Lektüre das Grundgefühl, dass es am besten ist, zuhause zu bleiben - und von den gefährlichen Erfahrungen anderer zu lesen.
Der Regisseur Andrzej Wajda hat Ryszard Kapuscinski einmal als "freien Menschen, der in der ganzen Welt zuhause ist", bezeichnet. Der Reporter war in Afrika, Asien und Lateinamerika unterwegs, er hat den konfliktgeladenen Prozess der Entkolonisierung begleitet, erst als Auslandskorrespondent für polnische Zeitungen, dann im Auftrag westlicher Medien, schließlich als freier Schriftsteller.
Große Beobachtungsgabe, Erlebnisbereitschaft, die Fähigkeit, sich in fremde Kulturen einzufühlen und erzählerische Ausgestaltung des Materials - diese Qualitäten charakterisieren seine Reisereportagen. Sie sind mehr als recherchiert, sie sind erlebt.
In seinem neuen Buch "Reisen mit Herodot" blickt der 1932 geborene Autor zurück auf seine großen Reisen; er erzählt seine Reportervita im Wechsel mit Herodot-Lektüreerfahrungen. Er berichtet davon, wie er als junger Mann "die Grenze überschreiten wollte" - eine Formulierung, die zum Leitmotiv wird. Als Mitarbeiter einer polnischen Jugendzeitung bittet er um die Entsendung ins Ausland. An die Tschechoslowakei hat er gedacht. Zu seiner großen Überraschung wird er nach Indien und China geschickt.
Als Reiselektüre gibt ihm seine Chefin ein Buch mit: die "Historien" von Herodot. Er hat dieses Buch seitdem auf viele Erdteile getragen, immer war das Kompendium des Weltwissens und der Gemetzel sein Begleiter. Der antike Autor wurde zur Leitfigur von Kapuscinskis eigener schriftstellerischer Tätigkeit.
Herodot wurde um das Jahr 485 vor Christus in Halikarnassos geboren. Seine Welt hatte andere Konturen als unsere: Das Mittelmeer und seine bewohnten Ränder bildeten das Zentrum, darüber hinaus taten sich Regionen auf, über die wenig bekannt war, und dieses wenige hatte oft sagenhaften, mythischen Zuschnitt. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich, so eine Pointe Kapuscinskis, die Herodotsche Reportage als antikes Medium: Reisen und den Menschen genau beim Erzählen zuhören, weil es andere Erinnerungsspeicher und Wahrheitsquellen noch nicht gab.
Angenehm ist die Bescheidenheit dieses Weltbürgers, der seine Reportagen oft auf der Basis fundierten Nichtwissens beginnt. Selten beherrscht er die Sprache der Länder, die er bereist (eine Gemeinsamkeit mit Herodot); die Gebräuche sind ihm unvertraut. Auf den ersten Reisen nach Indien und China kapituliert er als ahnungsloser Journalist im Angesicht dieser Hochkulturen; er rettet sich ins seitenlange Referieren indischer und chinesischer Philosophie. Das ist menschlich sympathisch, leider aber auch eine eher enttäuschende Lektüre.
Das Buch kommt erst auf gewohnte Höhe, wenn es orientalische und schwarzafrikanische Reiseerfahrungen schildert, wenn es zum Beispiel von einem merkwürdigen Louis-Amstrong-Konzert im Sudan erzählt oder vom vergeblichen Versuch, in Ägypten eine Bierdose wegzuschmeißen.
Man genießt diese Geschichten, in denen der Reporter wieder einmal mit dem Rücken zur Wand steht und dann doch wieder ungeschoren davonkommt, um eine porentief authentische Erfahrung reicher. Immer wieder gerät er in bedrohliche oder gar lebensgefährliche Situationen, als Beobachter von Kriegen, Revolutionen oder sonstigen Umwälzungen. Hier, wo Wirklichkeiten zerfallen oder sich gerade neu zusammensetzen, ist er ganz Auge und Ohr.
Weil man sich von Kapuscinski Welthaltigkeit in gesteigerter Dosis verspricht, wird man bisweilen etwas ungeduldig, wenn er in diesem Buch ausgiebig von den Völkern und Kriegen der Antike referiert, wenn er seitenlang Herodot zitiert und kommentiert. Kapuscinski ist ein großer Beobachter und Schilderer; als Politanalytiker und Philologe, Lebensphilosoph und Aphoristiker ist er schwächer.
Leider bietet "Meine Reisen mit Herodot", wie schon das vor einigen Jahren erschienene "Die Welt im Notizbuch", viele Einsichten der allgemeineren Art. Mit siebzig Jahren ist Kapuscinski ins Stadium der sekundären Verarbeitung und Ausdeutung seiner Reiseerfahrungen getreten. Entschädigt wird man durch die Kapitel, in denen nach wie vor der legendäre "Dichter in der Maske des Reporters" zu vernehmen ist.
Ryszard Kapuscinski: Meine Reisen mit Herodot
Aus dem Polnischen von Martin Pollack.
Eichborn Verlag, 360 Seiten, 24,90 Euro
Der Regisseur Andrzej Wajda hat Ryszard Kapuscinski einmal als "freien Menschen, der in der ganzen Welt zuhause ist", bezeichnet. Der Reporter war in Afrika, Asien und Lateinamerika unterwegs, er hat den konfliktgeladenen Prozess der Entkolonisierung begleitet, erst als Auslandskorrespondent für polnische Zeitungen, dann im Auftrag westlicher Medien, schließlich als freier Schriftsteller.
Große Beobachtungsgabe, Erlebnisbereitschaft, die Fähigkeit, sich in fremde Kulturen einzufühlen und erzählerische Ausgestaltung des Materials - diese Qualitäten charakterisieren seine Reisereportagen. Sie sind mehr als recherchiert, sie sind erlebt.
In seinem neuen Buch "Reisen mit Herodot" blickt der 1932 geborene Autor zurück auf seine großen Reisen; er erzählt seine Reportervita im Wechsel mit Herodot-Lektüreerfahrungen. Er berichtet davon, wie er als junger Mann "die Grenze überschreiten wollte" - eine Formulierung, die zum Leitmotiv wird. Als Mitarbeiter einer polnischen Jugendzeitung bittet er um die Entsendung ins Ausland. An die Tschechoslowakei hat er gedacht. Zu seiner großen Überraschung wird er nach Indien und China geschickt.
Als Reiselektüre gibt ihm seine Chefin ein Buch mit: die "Historien" von Herodot. Er hat dieses Buch seitdem auf viele Erdteile getragen, immer war das Kompendium des Weltwissens und der Gemetzel sein Begleiter. Der antike Autor wurde zur Leitfigur von Kapuscinskis eigener schriftstellerischer Tätigkeit.
Herodot wurde um das Jahr 485 vor Christus in Halikarnassos geboren. Seine Welt hatte andere Konturen als unsere: Das Mittelmeer und seine bewohnten Ränder bildeten das Zentrum, darüber hinaus taten sich Regionen auf, über die wenig bekannt war, und dieses wenige hatte oft sagenhaften, mythischen Zuschnitt. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich, so eine Pointe Kapuscinskis, die Herodotsche Reportage als antikes Medium: Reisen und den Menschen genau beim Erzählen zuhören, weil es andere Erinnerungsspeicher und Wahrheitsquellen noch nicht gab.
Angenehm ist die Bescheidenheit dieses Weltbürgers, der seine Reportagen oft auf der Basis fundierten Nichtwissens beginnt. Selten beherrscht er die Sprache der Länder, die er bereist (eine Gemeinsamkeit mit Herodot); die Gebräuche sind ihm unvertraut. Auf den ersten Reisen nach Indien und China kapituliert er als ahnungsloser Journalist im Angesicht dieser Hochkulturen; er rettet sich ins seitenlange Referieren indischer und chinesischer Philosophie. Das ist menschlich sympathisch, leider aber auch eine eher enttäuschende Lektüre.
Das Buch kommt erst auf gewohnte Höhe, wenn es orientalische und schwarzafrikanische Reiseerfahrungen schildert, wenn es zum Beispiel von einem merkwürdigen Louis-Amstrong-Konzert im Sudan erzählt oder vom vergeblichen Versuch, in Ägypten eine Bierdose wegzuschmeißen.
Man genießt diese Geschichten, in denen der Reporter wieder einmal mit dem Rücken zur Wand steht und dann doch wieder ungeschoren davonkommt, um eine porentief authentische Erfahrung reicher. Immer wieder gerät er in bedrohliche oder gar lebensgefährliche Situationen, als Beobachter von Kriegen, Revolutionen oder sonstigen Umwälzungen. Hier, wo Wirklichkeiten zerfallen oder sich gerade neu zusammensetzen, ist er ganz Auge und Ohr.
Weil man sich von Kapuscinski Welthaltigkeit in gesteigerter Dosis verspricht, wird man bisweilen etwas ungeduldig, wenn er in diesem Buch ausgiebig von den Völkern und Kriegen der Antike referiert, wenn er seitenlang Herodot zitiert und kommentiert. Kapuscinski ist ein großer Beobachter und Schilderer; als Politanalytiker und Philologe, Lebensphilosoph und Aphoristiker ist er schwächer.
Leider bietet "Meine Reisen mit Herodot", wie schon das vor einigen Jahren erschienene "Die Welt im Notizbuch", viele Einsichten der allgemeineren Art. Mit siebzig Jahren ist Kapuscinski ins Stadium der sekundären Verarbeitung und Ausdeutung seiner Reiseerfahrungen getreten. Entschädigt wird man durch die Kapitel, in denen nach wie vor der legendäre "Dichter in der Maske des Reporters" zu vernehmen ist.
Ryszard Kapuscinski: Meine Reisen mit Herodot
Aus dem Polnischen von Martin Pollack.
Eichborn Verlag, 360 Seiten, 24,90 Euro