Mit Helden gegen den "Ehrenmord"

Güner Balci im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 16.03.2009
In einem mehrmonatigen Training üben junge Männer aus islamischen Migrantenfamilien in Berlin-Neukölln, sich für die Rechte von Frauen einzusetzen. Autorin Balci begrüßt das Projekt namens "Heroes", das "Ehrenmorde" verhindern helfen soll. Die "Heroes" wüssten, wie die jungen Männer tickten, die ihre Schwester gern zu Hause versteckten, meint Balci. Das Projekt, das ursprünglich aus Schweden kommt, erhält heute an der schwedischen Botschaft ein offizielles Anerkennungszertifikat.
Liane von Billerbeck: Im Studio zu Gast ist jetzt Güner Balci. Sie ist als Tochter von Migranten in Berlin geboren, hat Literatur- und Erziehungswissenschaften studiert und als Sozialarbeiterin in Berlin-Neukölln gearbeitet. Aus Frust über die eigene Hilflosigkeit und auch über die wachsende Gewalt hat sie diese Arbeit aufgegeben und angefangen, darüber zu schreiben. Ihr Buch "Arabboy" machte sie bundesweit bekannt. Heute Nachmittag wird sie auch an einer Diskussion über die ersten "Heroes" teilnehmen. Herzlich willkommen erst mal!

Güner Balci: Guten Tag!

von Billerbeck: Was halten Sie von diesem Projekt?

Balci: Ich finde es revolutionär. Also das mag vielleicht sehr hochtrabend klingen, aber ich denke, dass wenn Jungs aus so einem Milieu, wo patriarchale Strukturen herrschen, über diese Dinge so offen sprechen wie Sexualität und Rechte der Frauen und der Mädchen, dann ist das schon ein ganz gewaltiger Schritt, weil es sehr wenige Jungs gibt in dem Alter, die das überhaupt thematisieren können.

von Billerbeck: Warum ist es so wichtig, sich an die jungen Männer zu wenden?

Balci: Weil, ich denke, sie eben auch diese ganze Last dieser Regeln auf ihren Schultern tragen. Und wenn es zu einem Ehrenmord kommt, ist es ja in der Regel auch so, dass das der Bruder ist, der da unmittelbar beteiligt ist als Mörder. Und diese Jungs sind halt so sozialisiert in ihren Familien, dass sie verantwortlich sind für die Ehre der Familie, deswegen sind sie auch für mich mit die ersten Ansprechpartner.

von Billerbeck: Nun sind das Gymnasiasten, also da kann man davon ausgehen, dass die schon etwas weitergekommen sind, es sind keine Hauptschüler, es sind keine Arbeitslosen. Denen ist klar, wie wichtig die Funktion ist. Ist das bei den anderen auch schon so, dass denen klar ist, welche Rolle sie eigentlich spielen als junge Männer?

Balci: Ich glaube weniger. Ich denke, es stimmt schon, dass man bei Gymnasiasten erst mal von Grund auf davon ausgehen kann, dass die das viel mehr reflektieren und sich noch mal anders mit dem Thema auseinandersetzen. Ich glaube aber trotzdem, dass auch unter Gymnasiasten in diesen speziellen Stadtvierteln in Deutschland das immer noch ein Tabu ist und dass auch dort eine Meinung vorherrscht unter den jungen Männern, die Schwester vielleicht doch lieber zu Hause zu behalten. Deswegen denke ich, dass gerade diese paar jungen Männer, die man jetzt da trainiert hat, ganz, ganz große und wichtige Vorbilder sind, um auch Hauptschüler zu erreichen.

von Billerbeck: Da wird es keine soziale Kluft geben, weil die ja Gymnasiasten sind? Wie schätzen Sie das ein?

Balci: Also davon würde man ausgehen, das habe ich mir auch überlegt. Und dann habe ich letztens einem Treffen beigewohnt, wo unter anderem Hauptschüler auch zugegen waren und eben diese "Heroes", die heute ausgezeichnet werden. Und ich habe sehr schnell mitbekommen, dass die untereinander eine Sprache sprechen. Das ist dann doch eine Ebene, weil das, was sie verbindet, ist, sie kommen aus demselben Kulturkreis und häufig auch aus demselben Milieu. Und das Einzige, was sie dann unterscheidet, ist, dass einige es schaffen, zu Bildungsaufsteigern zu werden, aber ansonsten spricht man die gleiche Sprache.

von Billerbeck: Funktionieren die quasi wie die großen Brüder?

Balci: Ja, ähnlich, es ist ähnlich. Ich denke schon, dass es zuerst auch große Vorbehalte der zum Beispiel Hauptschüler oder Gesamtschüler gegen diese Gymnasiasten gibt, und dass dann aber in Gesprächen schon rauskommt, man gehört doch zu einer Peergroup und man kann sich verständigen.

von Billerbeck: Was meinen Sie, welche Wirkung wird dieses Projekt haben? Es sind ja erst eine Handvoll junge Männer, die da ausgebildet wurden, und eine zweite Gruppe, die jetzt gerade dabei ist, ausgebildet zu werden.

Balci: Ja, leider ist es wirklich das einzige Projekt, was mir bekannt ist deutschlandweit. Und ich denke, die Wirkung, die es haben kann und auch haben sollte, ist die, dass es zum Nachahmen animiert und dass es vielleicht auch irgendwann bundesweit mehr solcher Projekte gibt. Weil ich glaube, die sind ganz bitter notwendig in Zeiten, wo Mädchen so stark unterdrückt werden aufgrund kultureller Besonderheiten.

von Billerbeck: Wir haben ja im Beitrag eine Reaktion eines der "Heroes" gehört. Was sind denn Ihre Erfahrungen, was haben die erlebt, wenn sie sich ins Feld begeben und mit ihren Geschlechtsgenossen sprechen darüber?

Balci: Ja, sie sind nicht immer gern gesehen, und sie sind auch oft angefeindet und sie machen auch Diskriminierungserfahrungen, ganz klar. Weil es geht um bestimmte Machtansprüche der jungen Männer auf der Straße und auch zu Hause gegenüber den Frauen. Und diese Machtansprüche möchte nicht jeder unbedingt sofort aufgeben. Also da gibt es auch einen großen Kampf drum. Und es ist ja auch schwierig, von einem Tag auf den anderen sich zu verabschieden von diesen traditionellen und religiösen Vorstellungen von Geschlechterrollen. Also da machen die "Heroes" schon die Erfahrung – so habe ich das mitbekommen –, dass sie jetzt nicht überall Freunde haben und gern gesehen sind. Und das ist ein Kampf, dem sie sich stellen. Das ist sehr mutig, finde ich.

von Billerbeck: Machen die sich auch lächerlich, weil sie ein anderes Männerbild leben?

Balci: Also das könnte leicht passieren. In dem Fall ist es aber so, dadurch, dass sie den gegenüber ja so gut kennen, also dass das ihr Milieu ist und sie einfach auch wissen, wie diese jungen Männer ticken, die ihre Schwester gerne zu Hause verstecken, sind sie da sehr diplomatisch, habe ich mitbekommen in Gesprächen. Das heißt also, sie gehen da jetzt auch nicht hin und sagen: Eh du, pass mal auf, deine Schwester darf schlafen, mit wem sie möchte, das entscheidet sie selber! - sondern das wird dann anders formuliert und man geht anders ran an die Geschichte.

von Billerbeck: Wie machen die das?

Balci: Man redet dann erst mal allgemein über Gewalt und über Menschenrechte und dann auch über persönliche, individuelle Selbstbestimmung, diese Freiheit, die jeder Mensch haben sollte. Also es kommt immer ganz darauf an, wie man die Dinge verpackt, die man da an den Mann bringen möchte. Und das machen die ganz gut.

von Billerbeck: Die größte Gewalt, habe ich gelesen, wird gerade in solchen Migrantenvierteln von arabischstämmigen Jugendlichen verübt, deshalb hieß Ihr Buch ja auch "Arabboy". Die stellen also zurzeit die gewaltbereiteste und problematischste Gruppe dar. Wird dieses Projekt auch in diesen Kreisen Erfolg haben?

Balci: Ja, aber viel weniger als in den türkischstämmigen, also bisher. Das heißt, man müsste – also bei der Mobilisierung der arabischstämmigen Jungen ist man da noch relativ am Anfang. Ich glaube, es ist einfacher, türkischstämmige Gymnasiasten für diese gemeinsame Sache zu gewinnen, aber ich habe auch schon ein, zwei arabischstämmige Jungs gesehen, und das ist total in den Anfängen. Also da muss noch viel, viel mehr gemacht werden, glaube ich.

von Billerbeck: Warum ist das da gerade bei diesen Familien oder bei Jungs aus diesen Familien so schwer?

Balci: Weil die dann doch noch mal einen anderen kulturellen und religiösen Hintergrund haben, der eben sich auch noch mal anders entwickelt hat in Deutschland, der auch noch nicht so eine lange Geschichte hat in Deutschland. Die türkischstämmigen Menschen sind ja schon viel, viel länger hier und haben auch schon viel mehr diesen Integrationsprozess mitgemacht. Und bei den Arabischstämmigen ist das so, die sind als Flüchtlinge gekommen und in der Regel jetzt leider auch häufig nur unter sich, das heißt, man muss sich auch gar nicht anpassen. Und so kultiviert man dann Traditionen, die einfach nicht passen zu den Grundrechten in diesem Land. Das ist, glaube ich, das große Problem bei denen.

von Billerbeck: Nun sind das ja halb erwachsene oder tatsächlich erwachsene junge Männer, die in diesem Projekt "Heroes" mitmachen. Müsste dieser Prozess nicht viel früher ansetzen?

Balci: Unbedingt. Ich glaube, man müsste sich ähnliche Konzepte einfallen lassen, zugeschnitten auf viel Jüngere, vielleicht auch schon im Kindergarten, im Hort oder in der Grundschule anfangen und auch dort eben die Lebensrealität dieser jungen Menschen, Migranten, auch mit aufnehmen in den Prozess der Schule und des Austauschs. Weil ich glaube, wir haben viel zu lange ausgeblendet, in welcher Lebensrealität sich diese junge Menschen befinden, was sie da für eine Bürde mit sich tragen, mit diesem Ehrbegriff, mit dem sie rumlaufen. Und da kann man schon viel früher ansetzen.

von Billerbeck: "Heroes", ein Projekt, mit dem junge Männer aus Migrantenfamilien aktiv für Gleichberechtigung und gegen Gewalt im Namen der Ehre vorzugehen versuchen. Güner Balci, die Journalistin und Buchautorin, war bei uns zu Gast. Herzlichen Dank!

Balci: Gerne!