Mit einer gehörigen Portion Gift
Léautaud schrieb sein ganzes Leben lang Tagebuch. In seinen Alltagsnotizen aus dem besetzten Paris verstößt er so gegen ziemlich alles, was das politisch korrekte Denken der Gegenwart an Tabus etabliert hat.
Paul Léautaud (1872-1956) war selbst da noch Kritiker, wo er Schriftsteller war: Stets nahm er die Rolle des Zeugen, des Beobachtenden ein, sprach seine gelegentlich vernichtenden und oft überraschenden Urteile.
In Frankreich wurde er als Mitarbeiter des "Mercure de France" zu einer Art literarischen Institution, aber nie populär. Es waren die hoch gebildeten und neugierigen Leser, die sich für seine eigenwilligen Betrachtungen der Welt, insbesondere der Kultur, zwar nicht gerade erwärmten, so doch interessierten. Einer davon war Walter Benjamin, ein anderer Ernst Jünger. Und der polnische Kritiker Zagajewski gestand, er greife zu Léautaud, um sich "vom Schauer des Gewöhnlichen durchrieseln zu lassen".
Léautaud schrieb sein ganzes Leben lang Tagebuch. In den nun auf Deutsch erschienenen Kriegstagebüchern findet man tatsächliche viele Gelegenheiten zum Schaudern. Nicht weil darin besondere Gräuel geschildert wären; doch der bekennende Misanthrop, der prinzipiell gegen allgemeines Wahlrecht und Demokratie war, der für Juden, Sozialisten, Frauen und vor allem Kinder wenig übrig hatte, verstößt in diesen Alltagsnotizen aus dem besetzten Paris gegen so ziemlich alles, was das politisch korrekte Denken der Gegenwart an Tabus etabliert hat.
Den Angriffskrieg des Deutschen Reiches hält er für eine naheliegende Reaktion auf den Versailler Vertrag; und im Lauf der Besatzungsjahre wird seine Haltung erstaunlicherweise immer freundlicher gegenüber dem "Feind". Doch Léautaud denkt nicht in solchen Kategorien. Er verachtet Kategorien, wie er jede Art von physischem Kampf verachtet, auch den der Resistance.
Seine manchmal hellsichtigen, manchmal abstrusen Kommentare mit ihrer beachtlichen Dosis Gift beziehen ihren Reiz dabei vor allem aus einer schnörkellosen, aber immens treffenden Sprache, die gegen jede Rhetorik dem Ideal der Klarheit folgt. Doch leider lässt die vorliegende deutsche Übersetzung davon wenig ahnen: sie liegt allzu nah am Französischen und klingt deshalb oft ungelenk.
Leautauds so boshafte wie elegante Ausfälle werden so zu skurrilen Schimpfkanonaden oder gar simplen Tratschgeschichten, die vor allem als Zeitzeugnisse interessant sind.
Ein weiteres Problem dieser Tagebuch-Ausgabe ist, dass ihr nicht die vollständigen Tagebücher zugrunde liegen: ein Teil davon ist immer noch unter Verschluss. Beispielsweise fehlt hier die Notiz über Leautauds erste Begegnung mit Ernst Jünger. Auslassungen sind nicht gekennzeichnet, und der Leser wird im Unklaren gelassen, ob der Verfasser oder der Herausgeber für Lücken, Brüche und Gedankensprünge verantwortlich zu machen ist.
Was bleibt, ist ein sehr ungewohnter Blick auf einen Ausschnitt des Zweiten Weltkriegs. Und der schaudernde Respekt für Léautauds geistige Unabhängigkeit, die von Hybris oft nicht zu unterscheiden ist.
Besprochen von Katharina Döbler
Paul Léautaud: Kriegstagebuch 1939 - 1945
Herausgegeben und aus dem Französischen von Hanns Grössel
Berenberg Verlag, Berlin 2011
192 Seiten, 20,00 Euro
In Frankreich wurde er als Mitarbeiter des "Mercure de France" zu einer Art literarischen Institution, aber nie populär. Es waren die hoch gebildeten und neugierigen Leser, die sich für seine eigenwilligen Betrachtungen der Welt, insbesondere der Kultur, zwar nicht gerade erwärmten, so doch interessierten. Einer davon war Walter Benjamin, ein anderer Ernst Jünger. Und der polnische Kritiker Zagajewski gestand, er greife zu Léautaud, um sich "vom Schauer des Gewöhnlichen durchrieseln zu lassen".
Léautaud schrieb sein ganzes Leben lang Tagebuch. In den nun auf Deutsch erschienenen Kriegstagebüchern findet man tatsächliche viele Gelegenheiten zum Schaudern. Nicht weil darin besondere Gräuel geschildert wären; doch der bekennende Misanthrop, der prinzipiell gegen allgemeines Wahlrecht und Demokratie war, der für Juden, Sozialisten, Frauen und vor allem Kinder wenig übrig hatte, verstößt in diesen Alltagsnotizen aus dem besetzten Paris gegen so ziemlich alles, was das politisch korrekte Denken der Gegenwart an Tabus etabliert hat.
Den Angriffskrieg des Deutschen Reiches hält er für eine naheliegende Reaktion auf den Versailler Vertrag; und im Lauf der Besatzungsjahre wird seine Haltung erstaunlicherweise immer freundlicher gegenüber dem "Feind". Doch Léautaud denkt nicht in solchen Kategorien. Er verachtet Kategorien, wie er jede Art von physischem Kampf verachtet, auch den der Resistance.
Seine manchmal hellsichtigen, manchmal abstrusen Kommentare mit ihrer beachtlichen Dosis Gift beziehen ihren Reiz dabei vor allem aus einer schnörkellosen, aber immens treffenden Sprache, die gegen jede Rhetorik dem Ideal der Klarheit folgt. Doch leider lässt die vorliegende deutsche Übersetzung davon wenig ahnen: sie liegt allzu nah am Französischen und klingt deshalb oft ungelenk.
Leautauds so boshafte wie elegante Ausfälle werden so zu skurrilen Schimpfkanonaden oder gar simplen Tratschgeschichten, die vor allem als Zeitzeugnisse interessant sind.
Ein weiteres Problem dieser Tagebuch-Ausgabe ist, dass ihr nicht die vollständigen Tagebücher zugrunde liegen: ein Teil davon ist immer noch unter Verschluss. Beispielsweise fehlt hier die Notiz über Leautauds erste Begegnung mit Ernst Jünger. Auslassungen sind nicht gekennzeichnet, und der Leser wird im Unklaren gelassen, ob der Verfasser oder der Herausgeber für Lücken, Brüche und Gedankensprünge verantwortlich zu machen ist.
Was bleibt, ist ein sehr ungewohnter Blick auf einen Ausschnitt des Zweiten Weltkriegs. Und der schaudernde Respekt für Léautauds geistige Unabhängigkeit, die von Hybris oft nicht zu unterscheiden ist.
Besprochen von Katharina Döbler
Paul Léautaud: Kriegstagebuch 1939 - 1945
Herausgegeben und aus dem Französischen von Hanns Grössel
Berenberg Verlag, Berlin 2011
192 Seiten, 20,00 Euro