Mit deutsch-polnischem Doppelblick
Der Besuch eines Bierlokals in der Krakauer Altstadt wirft den Autor aus der Bahn. Während er einem kitschigen Retro-Song lauscht und ein älteres Paar beim Tango-Tanzen beobachtet, verfällt er ganz gegen seinen Willen in sentimentale Kneipenromantik und verliert jene Abgeklärtheit, die er - wie er bekennt - aus Deutschland mitgebracht hat.
In 15 Kapiteln beschreibt der 1975 in Toruń geborene und 1981 mit seinen Eltern nach Koblenz ausgewanderte Literaturwissenschaftler und "Zeit"-Autor Adam Soboczynski eine Reise durch Polen, die ihn zugleich immer wieder durch Deutschland führt.
Adam Soboczynskis "Polski Tango", erschienen im Kiepenheuer Verlag, versammelt Beobachtungen und Selbstbeobachtungen eines Reisenden, der in beiden Ländern aufgewachsen ist und ihre beiden einerseits zunehmend ähnlichen, andererseits nach wie vor gegensätzlichen Gesellschaften mit ebenso scharfem wie humorvollem Doppelblick durchdringt. Soboczynski begibt sich vom gemütlich-traditionsreichen Krakau in die polnische Hauptstadt Warschau, wo ihm der wilde Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre in Form von hemmungslosem Konsum, zwielichtigen Baulöwen und Kleinkriminellen begegnet.
Dabei erblickt er in diesem neuen Warschau auch das Wunder eines katholisch-kapitalistischen "Himmelreiches ohne irdische Schuld" - weitab von jener moralischen Selbstzermürbung, wie man sie vor allem im protestantischen Deutschland nur zu gut kennt. Soboczynski reist weiter nach Masuren, um Angehörige und Freunde aus der Kinderzeit wieder zu treffen, die ihm fremd geworden sind, und die ihm den fließenden Übergang von Erinnerung und Selbstbetrug bzw. Lüge vor Augen führen.
Polen ist heute nicht mehr – wie in fernen Kindheitstagen – die Heimat einer aufrechten Solidarność-Opposition und jener Papstbegeisterung, in der Karol Wojtyla als Held im Kampf gegen die kommunistische Diktatur gefeiert wurde, sondern ein EU-Staat, in dem gleichwohl autoritäre Regierungsformen, Intoleranz gegenüber Homosexuellen und Engherzigkeit gegenüber politischen Flüchtlingen praktiziert und sogar zu nationalen Tugenden verklärt werden. Dennoch geht es in diesem Polen in mancher Hinsicht entspannter und toleranter zu als im liberal aufgeklärten Deutschland.
"Polski Tango" ist ein Buch, das auf recht lockere und allemal amüsante Weise auch von den Missverständnissen zwischen Polen und Deutschen handelt, die heute so unvermeidlich scheinen wie eh und je.
Rezensiert von Martin Sander
Adam Soboczynski: Polski Tango. Eine Reise durch Deutschland und Polen
Gustav Kiepenheuer Verlag
207 S., 17,90 €
Adam Soboczynskis "Polski Tango", erschienen im Kiepenheuer Verlag, versammelt Beobachtungen und Selbstbeobachtungen eines Reisenden, der in beiden Ländern aufgewachsen ist und ihre beiden einerseits zunehmend ähnlichen, andererseits nach wie vor gegensätzlichen Gesellschaften mit ebenso scharfem wie humorvollem Doppelblick durchdringt. Soboczynski begibt sich vom gemütlich-traditionsreichen Krakau in die polnische Hauptstadt Warschau, wo ihm der wilde Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre in Form von hemmungslosem Konsum, zwielichtigen Baulöwen und Kleinkriminellen begegnet.
Dabei erblickt er in diesem neuen Warschau auch das Wunder eines katholisch-kapitalistischen "Himmelreiches ohne irdische Schuld" - weitab von jener moralischen Selbstzermürbung, wie man sie vor allem im protestantischen Deutschland nur zu gut kennt. Soboczynski reist weiter nach Masuren, um Angehörige und Freunde aus der Kinderzeit wieder zu treffen, die ihm fremd geworden sind, und die ihm den fließenden Übergang von Erinnerung und Selbstbetrug bzw. Lüge vor Augen führen.
Polen ist heute nicht mehr – wie in fernen Kindheitstagen – die Heimat einer aufrechten Solidarność-Opposition und jener Papstbegeisterung, in der Karol Wojtyla als Held im Kampf gegen die kommunistische Diktatur gefeiert wurde, sondern ein EU-Staat, in dem gleichwohl autoritäre Regierungsformen, Intoleranz gegenüber Homosexuellen und Engherzigkeit gegenüber politischen Flüchtlingen praktiziert und sogar zu nationalen Tugenden verklärt werden. Dennoch geht es in diesem Polen in mancher Hinsicht entspannter und toleranter zu als im liberal aufgeklärten Deutschland.
"Polski Tango" ist ein Buch, das auf recht lockere und allemal amüsante Weise auch von den Missverständnissen zwischen Polen und Deutschen handelt, die heute so unvermeidlich scheinen wie eh und je.
Rezensiert von Martin Sander
Adam Soboczynski: Polski Tango. Eine Reise durch Deutschland und Polen
Gustav Kiepenheuer Verlag
207 S., 17,90 €