Mit der Wucht eines Shakespeareschen Königsdramas

Von Christoph Leibold |
Wo findet man noch ein Dorf, in dem die Bewohner ihren Sommer opfern, um ein Stück einzustudieren? In Oberammergau, wo man alle zehn Jahre ein Passionsspiel aufführt. Um die Wartezeit bis 2010 zu überbrücken, wird nun ein Stück um den alttestamentarischen König David gezeigt.
Dieses Dorf lebt vom Theaterspielen. Und: dieses Dorf lebt fürs Theaterspielen.

Christian Stückl: " Wenn du in der Stadt einen 15-Jährigen fragst, magst Du Theaterspielen? Dann sagt er wahrscheinlich: Nein. Hier heraußen sagt er: Ja, welche Rolle? Man muss die Leute nicht motivieren, die sind schon motiviert."

... erzählt Christian Stückl, gebürtiger Oberammergauer und Intendant des Münchner Volkstheaters; außerdem schon zwei Mal, 1990 und im Jahr 2000, Leiter der Passion, die in seinem Heimatdorf gespielt wird, seit dort im 17. Jahrhundert die Pest wütete. Woraufhin der Ältestenrat ein Gelübde ablegte, alle zehn Jahr den Leidensweg Christi auf die Bühne zu bringen, wenn es nur um Himmelswillen vorbei wäre mit dem schwarzen Tod.

Der Ort hat sich an sein Versprechen gehalten: Bei der letzten Passion vor fünf Jahren wirkten sage und schreibe 2500 Oberammergauer mit – auf und hinter der Bühne oder im Orchestergraben. Und das in einem Dorf von nicht vielmehr als 5000 Einwohnern.

Szene "David vs. Goliath":
" Du frecher Zwerg, der Du Dich aufbäumst, weil Du auf Deinen Gott vertraust. Der hilft Dir nicht. Ich aber werde Dich mit einem Drucke meiner Hand zermalmen.
Ich werde Dich töten. Mit Deinem Schwert, den Kopf vom Rumpf Dir trennen! "

In diesem Sommer spielt Oberammergau wieder Theater auf der monumentalen Freilichtbühne des Passionsspielhauses. Dabei ist 2005 gar kein Passionsjahr. Aufgeführt wird daher auch nicht die Leidensgeschichte Jesu, sondern ein über dreistündiges Schauspiel mit Musik um den alttestamentarischen König David: über seinen Aufstieg vom gesalbten Hirtenjungen und Bezwinger des Philisters Goliath zum König Israels.

Als Christian Stückl vor einem Jahr den Vorschlag machte, ein biblisches Stück zur Halbzeit zwischen zwei Passionsspieljahren aufzuführen, und als er dafür Mitspieler suchte, meldeten sich spontan ein paar Hundert. 430 Mitwirkende wurden es dann insgesamt. Das ist zwar deutlich weniger als bei der Passion. Andererseits: Wo fände man sonst noch ein Dorf, in dem es beinahe jeden zehnten auf die Bühne treibt? In dem so viele Menschen ihren Sommer opfern, um ein Stück einzustudieren und aufzuführen?


Das Theaterspielen, so scheint's, ist den Oberammergauern über die Jahrhunderte in Fleisch und Blut übergegangen. Und manche, wie Christian Stückl, witzeln, es sei inzwischen sogar genetisch.

Christian Stückl: " Man weiß nicht, was die Evolution alles macht. Jetzt sind wir doch schon 350 Jahre mit der Passion befasst, vielleicht hat sich da ein Gen gebildet. Aber es gibt noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen dazu!"

Die Realität ist zunächst einmal weitaus banaler: Jahrhunderte lange Übung macht den Meister, sagt Anton Burkhart, der zu den prominentesten Theaterspielern im Ort zählt – vor fünf Jahren war er einer von zwei Christus-Darstellern der Passion, im "König David" spielt er die Titelrolle.

Anton Burkhart: " Die Passion prägt das Dorfleben, sowohl die Musiker als auch die Sänger als auch die Schauspieler. Man hat immer, immer, immer geprobt seit 100 Jahren. Und daraus hat sich das entwickelt. Man macht ja nicht nur Theater, dass es lustig ist im Dorf, sondern weil wir wissen: Alle zehn Jahre ist Passion, da brauchen wir Leute, die spielen, daher müssen wir trainieren. Daraus hat sich das ergeben, dass die Oberammergauer mehr aber auch bessere Schauspieler und auch Musiker haben als andere Gemeinden."

Tatsächlich: Kaum eine Kommune tut soviel für die musische Förderung ihrer Kinder wie Oberammergau. Wer ein Instrument lernen will, bekommt den Unterricht, wenn daheim nicht genügend Geld dafür da ist, von der Gemeinde gezahlt.

Für den "König David" hat der Gemeinderat 250.000 Euro locker gemacht. Auch das ist erst mal eine Investition. Denn im Gegensatz zur Passion ist das Stück kein Selbstläufer, der das gigantische Freilichttheater und damit die Kassen mühelos füllt. Aber es gibt ja auch das, wofür Ökonomen das schöne Wort "Umwegrentabilität" erfunden haben: Der "König David" lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf Oberammergau – für einen Fremdenverkehrsort ist das von unschätzbarem Wert.

Trotzdem wäre es verfehlt, den Oberammergauern vorzuwerfen, sie spielten doch nur Theater, um den Tourismus anzukurbeln. Man muss nur einmal in diesem verregneten Sommer eine Probe zum "König David" auf der Freilichtbühne des Passionstheaters miterlebt haben, um zu spüren, wie die Menschen in diesem Dorf fürs Theaterspielen brennen.

Ein Sonntag im Juli anderthalb Wochen vor der Premiere. Wieder einmal gießt es in Strömen. Heerscharen von Statisten in Regenzeug, vom Kleinkind bis zur Großmutter, lassen sich über die Bühne scheuchen von Regisseur Christian Stückl, dem die schwarzen Locken klatschnass am Kopf kleben. Was ihn aber nicht im Mindesten zu stören scheint. Wie sich überhaupt keiner darüber aufregt, den kompletten Sonntagnachmittag bis in den späten Abend für langwierige Proben bei ungemütlich-nassen 12 Grad unter freiem Himmel opfern zu müssen. Dabei bekommt niemand, nicht Mal Christian Stückl, ein Gage gezahlt.

Statisten:

" Das ist fast wie's Passions-Feeling. Wie alle zehn Jahre: Kalt ist es, schiach is ... Das ist halt so, da macht man mit, weil es Spaß macht. "

" Probe ist Probe. Es macht ja auch Spaß, da mit den anderen da mitzumachen. Ich find es schön, da dabei zu sein. Dass man was vorspielt vor den Leuten, der Christian ist auch nett und so. Da muss man einfach durch, wenn's regnet bei er Probe."

" Ich muss immer "David" schreien."

" Wir spielen des Volk, dass den Saul begrüßt: Da kehrt er siegreich von der Schlacht zurück und wird empfangen. "Gepriesen sei Saul" rufen wir. Das ist halt Theaterspielen einfach."

Wie die Passion ist auch das Spiel von "König David" vor allem eins: ein gigantisches Gemeinschaftserlebnis, das enorme Energien frei setzt. Energien, die sich vor allem in den Massenszenen Bahn brechen, die Christian Stückl mit geübter Hand und Sinn für Sinnlichkeit in Szene gesetzt hat.

Mit dem Wort "Theater" ist dieses Spektakel vielleicht nur unzureichend beschrieben. "Soziale Plastik" trifft es wohl eher. Mit den Mitteln der Theaterkritik kommt man diesem Ereignis jedenfalls nicht bei. Die meisten Laienspieler, die beim "König David" beeindrucken, würden vermutlich auf jeder Stadttheaterbühne baden gehen.

Unter dem Bühnenportal des Passionsspielhauses, das mindestens doppelt so breit ist wie die der meisten Opernhäuser, vor imposanter Tempelkulisse, füllen sie die mit rotem Wüstensand bedeckte Bühne erstaunlicher Weise spielend. Weil sich die Kraft aller Spieler zusammen nicht einfach nur addiert, sondern potenziert.

Der Text, von Christian Stückl zusammengestückelt aus drei verschiedenen, jeweils an die hundert Jahre alten "David"-Dramen wenig bekannter Autoren, der Text ist eigentlich Flickwerk. Auf der Passionsbühne entwickelt er jedoch die Wucht eines Shakespeareschen Königsdramas, das vom Aufstieg eines Königs, David, erzählt, und parallel dazu vom Fall eines anderen: Saul. Das ganze eingebettet in die eigens für dieses Stück komponierte Musik von Markus Zwink - auch er ein gebürtiger Oberammergauer - die an Dramatik nicht zu wünschen übrig lässt.

Die urgewaltige Theaterleidenschaft der Oberammergauer dürfte weit und breit einmalig sein. Sie lässt sich auch nicht exportieren. Ist nur durch das Zusammenwirken von Aufführungsort, kollektiver Begeisterung und uralter Tradition zu erklären. Christian Stückl trägt diesen besonderen Oberammergauer Geist in sich. Wenn er andernorts inszeniert, scheint diese Kraft immer wieder einmal auf. Die Inszenierung des "König Davids" in Oberammergau war für ihn daher auch ein Auftanken an der heimischen Kraftquelle.

Christian Stückl: " Meine ganzen Theaterwurzeln liegen hier in Oberammergau, die liegen nicht in München. Ich bin da gern Intendant und hab auch meinen absoluten Traumberuf gefunden: Regisseur. Aber meine Wurzeln liegen hier. Und jetzt mache ich mit den Leuten hier Theater. Ich mach das in erster Linie für mein eigenes Wohlbefinden, das Stück hier heraußen. Weil ich hier wieder landen will, wieder zurückkommen will und weil ich mit den Leuten, mit denen ich mein halbes Leben verbring, wieder was machen möchte."

Service:

Die Premiere von "König David" des Passionstheaters Oberammergau unter der Regie von Christian Stückl fand am 22. Juli 2005 fand. Weitere Aufführungen an den Wochenenden: 23. Juli 2005, 29./30. Juli 2005, 05./ 06. August 2005, 12./13. August 2005.
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