"Mit der Muttermilch aufgesogen"
Von Susanne Burkhardt · 29.07.2010
An ihren Arbeiten scheiden sich die Geister: Die einen buhen sie aus – für die anderen zählen ihre Inszenierungen zu den besten des Jahres - die Opernregisseurin Vera Nemirova. Am 1. August hat ihre Inszenierung von Alban Bergs "Lulu" bei den Salzburger Festspielen Premiere.
Wenn man, wie Vera Nemirova, einen Opernregisseur als Vater hatte und eine Mutter, die Sängerin ist, wenn man seine Kindheit mehr oder weniger im Theater verbracht hat, dann kann einem das die Bühnenwelt für immer verleiden. Oder aber, man kommt nicht mehr davon los. Für Vera Nemirova gilt Letzteres und so verwundert es nicht, dass sie bereits mit 17 - als Jüngste - die Aufnahmeprüfung im Fach "Regie" an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin bestand.
"Das ist etwas, was ich mit der Muttermilch aufgesogen habe - das ist Bestandteil des Zuhauses gewesen, des Alltags und es ist aber so, dass speziell Oper da eine besondere Rolle gespielt hat und ich mich sehr früh entschieden habe, das zu meinem Beruf zu machen."
Zur Eignungsprüfung brachte sie ein Opernkonzept für den "Fliegenden Holländer" mit. Nicht ganz zufällig – schließlich war Wagner der erste Komponist, auf den sie in Deutschland stieß. 1982, im Alter von neun Jahren, als ihre Mutter – zu der sie bis heute eine enge Beziehung hat - mit ihr aus dem bulgarischen Sofia nach Rostock zog, um dort am Theater die Partie der Senta zu singen.
An der Berliner Musikhochschule studierte und bewunderte Vera Nemirova Ruth Berghaus und ihre strikte Forderung nach Disziplin; Sie wurde Meisterschülerin von Peter Konwitschny. Zwei Lehrer, denen sie bis heute dankbar ist und die ihre Arbeiten lange Zeit geprägt haben. Längst aber geht sie eigene Wege.
"Das ist natürlich nach zehn Jahren wirklich nervig, wenn man immer wieder liest, die Konwitschny-Schülerin – das ist wirklich auch so eine Geschichte – dieses Brecht-Schüler Weckwerth, Benno Besson, die Leute sind schon 70 und immer noch Schüler. Das muss einfach irgendwann aufhören, glaub ich."
Ob Verdis "Macbeth" oder "Rigoletto", Bizets "Carmen" oder Beethovens "Fidelio" – in Wien, Freiburg, Bonn, Graz oder Dresden - was Vera Nemirova inszeniert, wird ins Heute geholt, auf Aktualität hin untersucht und lebendig gemacht. Besonders ein eher konservatives Opernpublikum kommt damit nicht immer klar, wenn die Outfits schrill, wenn der Hintern des Königs in "Macbeth" nackt ist, wenn in "Carmen" der Stier am Bungee-Seil herunter fliegt oder wenn der Tamino in der "Zauberflöte" statt einer Flöte nur die Partitur hält.
"Ich will die Geschichten erzählen, möglichst schlüssig, möglichst sinnlich erlebbar machen und nicht unbedingt provozieren. Aber das ist auch immer wieder dieser Drang danach, Gewohntes, immer wieder zu hören und zu sehen. Und gerade wenn man gegen diese Seh- und Hörgewohnheiten anarbeitet – das ist schon Grund genug, irgendetwas völlig pauschal niederzumachen."
Dabei hat sie nichts gegen konstruktive Kritik. Aber aggressive Reaktionen auf ihre Arbeiten verletzen sie. Schließlich stecken in einer Operninszenierung enorm viel Lebensenergie, Kraft und Zeit.
"Man kann einfach in eine Galerie gehen und auf ein Bild spucken, wenn es einem nicht gefällt. Dafür wird man verhaftet. Aber wenn man in der Oper mitten in die Musik hinein Buh schreit, da sagt dann keiner was. "
Geprägt durch ihre osteuropäische Herkunft und ihr Leben in der DDR, hat Vera Nemirova gelernt, Schwierigkeiten und Veränderungen als Herausforderung zu verstehen. Und drauf loszugehen.
"Es sind ja erstmal zwei unterschiedliche Modelle einer Gesellschaft, die man erlebt und mitgemacht hat, und das ist für uns, die wir aus dem Osten kommen, denke ich, ein ungeheurer Reichtum."
In Puccinis Oper "Mädchen aus dem goldenen Westen", die Vera Nemirova an der Deutschen Oper Berlin und später in Bulgarien inszenierte, gibt es die Hauptdarstellerin Minnie, die eigentlich ein "Kerl" ist, ein bisschen bieder, aber eine, die mit Pistolen umgehen kann und die sich bei aller Rauheit nach Glück sehnt. Das Ensemble in Bulgarien sah deutliche Parallelen zwischen der Regisseurin und diesem "Mädchen aus dem goldenen Westen.
"Sicher, das trifft voll auf mich zu – wunderbar."
Ja, das mit den Pistolen passt. Vera Nemirova hat etwas Zupackendes, Präsentes in ihrem Auftreten – unterstrichen von wild gelockten Haaren, die nur mühsam durch ein Tuch gebändigt werden. Ihr Rasen – das gesteht sie als Schwäche ein – sei nicht ordentlich gemäht, ihr Auto immer chaotisch. Kein Wunder, schließlich ist sie oft unterwegs zu Blind Dates mit Ensembles, Orchestern, Opernhäusern, fremden Menschen, die sie vor jeder neuen Arbeit kennenlernen muss. Hilfreich dabei, dass sie kommunikativ und optimistisch ist – eine Grundvoraussetzung, um Regie führen zu können.
"Ich denke, ein guter Psychologe sollte man sein, man müsste kommunikativ sein, man muss mit Leuten umgehen können, mit nem großen Apparat – aber auch mit ganz vielen, etwas schrägen Individuen, auf die man dann im Laufe seines Berufslebens trifft. Der Regieberuf als Machtfaktor, ich glaube, das ist überholt."
Bis 2014 ist Vera Nemirova ausgebucht, beendet in Frankfurt Wagners Ring, inszeniert unter anderem in Basel und Sankt Petersburg. Da bleibt wenig Platz fürs Privatleben. Eher der Traum, etwas mehr Zeit für sich zu haben. Ein Traum, der wohl noch länger geträumt werden muss. Die Opernhäuser dürften sich darüber freuen.
"Das ist etwas, was ich mit der Muttermilch aufgesogen habe - das ist Bestandteil des Zuhauses gewesen, des Alltags und es ist aber so, dass speziell Oper da eine besondere Rolle gespielt hat und ich mich sehr früh entschieden habe, das zu meinem Beruf zu machen."
Zur Eignungsprüfung brachte sie ein Opernkonzept für den "Fliegenden Holländer" mit. Nicht ganz zufällig – schließlich war Wagner der erste Komponist, auf den sie in Deutschland stieß. 1982, im Alter von neun Jahren, als ihre Mutter – zu der sie bis heute eine enge Beziehung hat - mit ihr aus dem bulgarischen Sofia nach Rostock zog, um dort am Theater die Partie der Senta zu singen.
An der Berliner Musikhochschule studierte und bewunderte Vera Nemirova Ruth Berghaus und ihre strikte Forderung nach Disziplin; Sie wurde Meisterschülerin von Peter Konwitschny. Zwei Lehrer, denen sie bis heute dankbar ist und die ihre Arbeiten lange Zeit geprägt haben. Längst aber geht sie eigene Wege.
"Das ist natürlich nach zehn Jahren wirklich nervig, wenn man immer wieder liest, die Konwitschny-Schülerin – das ist wirklich auch so eine Geschichte – dieses Brecht-Schüler Weckwerth, Benno Besson, die Leute sind schon 70 und immer noch Schüler. Das muss einfach irgendwann aufhören, glaub ich."
Ob Verdis "Macbeth" oder "Rigoletto", Bizets "Carmen" oder Beethovens "Fidelio" – in Wien, Freiburg, Bonn, Graz oder Dresden - was Vera Nemirova inszeniert, wird ins Heute geholt, auf Aktualität hin untersucht und lebendig gemacht. Besonders ein eher konservatives Opernpublikum kommt damit nicht immer klar, wenn die Outfits schrill, wenn der Hintern des Königs in "Macbeth" nackt ist, wenn in "Carmen" der Stier am Bungee-Seil herunter fliegt oder wenn der Tamino in der "Zauberflöte" statt einer Flöte nur die Partitur hält.
"Ich will die Geschichten erzählen, möglichst schlüssig, möglichst sinnlich erlebbar machen und nicht unbedingt provozieren. Aber das ist auch immer wieder dieser Drang danach, Gewohntes, immer wieder zu hören und zu sehen. Und gerade wenn man gegen diese Seh- und Hörgewohnheiten anarbeitet – das ist schon Grund genug, irgendetwas völlig pauschal niederzumachen."
Dabei hat sie nichts gegen konstruktive Kritik. Aber aggressive Reaktionen auf ihre Arbeiten verletzen sie. Schließlich stecken in einer Operninszenierung enorm viel Lebensenergie, Kraft und Zeit.
"Man kann einfach in eine Galerie gehen und auf ein Bild spucken, wenn es einem nicht gefällt. Dafür wird man verhaftet. Aber wenn man in der Oper mitten in die Musik hinein Buh schreit, da sagt dann keiner was. "
Geprägt durch ihre osteuropäische Herkunft und ihr Leben in der DDR, hat Vera Nemirova gelernt, Schwierigkeiten und Veränderungen als Herausforderung zu verstehen. Und drauf loszugehen.
"Es sind ja erstmal zwei unterschiedliche Modelle einer Gesellschaft, die man erlebt und mitgemacht hat, und das ist für uns, die wir aus dem Osten kommen, denke ich, ein ungeheurer Reichtum."
In Puccinis Oper "Mädchen aus dem goldenen Westen", die Vera Nemirova an der Deutschen Oper Berlin und später in Bulgarien inszenierte, gibt es die Hauptdarstellerin Minnie, die eigentlich ein "Kerl" ist, ein bisschen bieder, aber eine, die mit Pistolen umgehen kann und die sich bei aller Rauheit nach Glück sehnt. Das Ensemble in Bulgarien sah deutliche Parallelen zwischen der Regisseurin und diesem "Mädchen aus dem goldenen Westen.
"Sicher, das trifft voll auf mich zu – wunderbar."
Ja, das mit den Pistolen passt. Vera Nemirova hat etwas Zupackendes, Präsentes in ihrem Auftreten – unterstrichen von wild gelockten Haaren, die nur mühsam durch ein Tuch gebändigt werden. Ihr Rasen – das gesteht sie als Schwäche ein – sei nicht ordentlich gemäht, ihr Auto immer chaotisch. Kein Wunder, schließlich ist sie oft unterwegs zu Blind Dates mit Ensembles, Orchestern, Opernhäusern, fremden Menschen, die sie vor jeder neuen Arbeit kennenlernen muss. Hilfreich dabei, dass sie kommunikativ und optimistisch ist – eine Grundvoraussetzung, um Regie führen zu können.
"Ich denke, ein guter Psychologe sollte man sein, man müsste kommunikativ sein, man muss mit Leuten umgehen können, mit nem großen Apparat – aber auch mit ganz vielen, etwas schrägen Individuen, auf die man dann im Laufe seines Berufslebens trifft. Der Regieberuf als Machtfaktor, ich glaube, das ist überholt."
Bis 2014 ist Vera Nemirova ausgebucht, beendet in Frankfurt Wagners Ring, inszeniert unter anderem in Basel und Sankt Petersburg. Da bleibt wenig Platz fürs Privatleben. Eher der Traum, etwas mehr Zeit für sich zu haben. Ein Traum, der wohl noch länger geträumt werden muss. Die Opernhäuser dürften sich darüber freuen.