"Mit der großen Peitsche geht es heute einfach nicht mehr"

Michael Gross im Gespräch mit Nana Brink · 10.03.2011
Nach Ansicht des früheren Schwimmsportlers und heutigen Unternehmensberaters Michael Gross sind autoritäre Fußball-Trainer ein Modell aus der Vergangenheit. Wenn man einen Bundesliga-Verein mit einem Wirtschaftsunternehmen vergleiche, dann hinkten die Trainer mit ihren Führungsqualitäten oft noch sehr hinterher.
Nana Brink: Eigentlich sind ja die tollen Tage vorbei, aber beim Fußball dauern sie anscheinend noch an, wobei wahrscheinlich eher das Katergefühl überwiegt: Gleich drei große Clubs suchen neues Trainingspersonal. Bayern München will seinen Trainer Louis van Gaal nur noch bis Saisonende behalten, und Schalke 04 seinen Coach Felix Magath auch nach dem gestrigen Sieg im Achtelfinale einfach feuern.

Felix Magath: "Ich habe nicht erfahren, was Herr Zorn gesagt hat. Herr Zorn hat gesagt, dass ich nächstes Jahr kein Trainer mehr wäre. Darauf habe ich gesagt: Das habe ich nicht erfahren! Ich habe ihm … - auf Facebook habe ich auf Zeitungsartikel reagiert, aber nicht auf die Tatsache, dass ich nächstes Jahr eben nicht mehr Trainer bin."

Brink: Am Telefon ist jetzt Michael Gross, bislang erfolgreichster Schwimmer aller Zeiten, er unterrichtet jetzt an der Frankfurt School of Finance and Management und hat eine eigene PR-Firma. Einen schönen guten Morgen, Herr Gross!

Michael Gross: Ja, ich grüße Sie herzlich!

Brink: Warum sind Trainer wie Louis van Gaal, Felix Magath oder auch Armin Veh gescheitert?

Gross: Das gibt bestimmt pro Club unterschiedliche Gründe, aber die Tendenz zeigt ganz deutlich, was in Dortmund beispielsweise passiert: Die Spieler werden immer nicht nur jünger, sondern sie werden immer selbstbewusster. Sie haben eigene Vorstellungen, also nicht nur im Fußballverein ist das so, sondern generell. Da muss man sich auch – das merkt man auch in der normalen Wirtschaft – zurzeit wirklich massiv umstellen, weil es sind andere Führungsqualitäten erforderlich, um die Motivation der Spieler, die ja da ist, wirklich zusammenzuführen und dann zu einem gemeinsamen Resultat zu bringen. Also mit quasi der großen Peitsche geht es einfach heute nicht mehr. Einige haben es vielleicht noch nicht gemerkt.

Brink: Früher gab es ja diese kauzigen Handarbeiter, also heute sind die Laptoptrainer ja angesagt wie Klinsmann oder Jürgen Klopp. Hat sich denn das Trainerbild wirklich auch geändert, sehen wir da jetzt einen Generationswechsel?

Gross: Ja, eigentlich sind ja die Fußballtrainer und generell die Trainer im Sport ja ein bisschen der Entwicklung in der freien Wirtschaft hinterher mit den Modellen, die dort gearbeitet warden, auch schon erfolgreich gearbeitet werden, die zentrale Führung und … Das machen eigentlich ein Jürgen Klopp et cetera und das wird auch gelehrt an den Trainerakademien, nur: Das ist einfach auch eine Generationsfrage. Also jemand, der 30 ist, 35 ist, der in den Trainerberuf kommt, der hat natürlich eine ganz andere auch Sozialisierung erfahren als jemand, der 20, 30 Jahre älter ist. Das darf man denen gar nicht vorwerfen, das ist ein ganz normaler Prozess. Und insofern ist das, was sich jetzt in der Fußballbundesliga zufälligerweise jetzt trifft, ich sage mal, nichts Besonderes. Also mich persönlich kann das nicht überraschen.

Brink: Sie haben es oftmals angesprochen: Es gibt ja viele Verbindungen in die Wirtschaft, also wie führt man – wir haben da die ganzen Schlagworte von neuen Führungsstilen, kooperativer, kommunikativer, flache Hierarchien. Hat man das, wie Sie auch sagen, zu lange negiert im Sport, gerade im Fußball?

Gross: Zunächst mal ist Fußball als Führungskraft ja die einfachste Sache der Welt. Warum? Sie haben Mitarbeiter, die haben alle ihr Hobby zum Beruf gemacht und haben eigentlich die gleiche Zielsetzung, nämlich Fußballspiele gewinnen. Also es ist eine relativ einfache Situation. Das ist in der freien Wirtschaft viel komplexer, und da gibt es Leute, die sind am Berufsanfang, die sind Singles, dann gibt es Leute, die haben eine Familie, die haben ganz andere Sorgen und Nöte auch zu Hause. So, das heißt: Eigentlich müsste es wesentlich einfacher sein, und dann hat man nur 20, 25 Leute zu führen.

Und insofern ist es aber dann wiederum die Problematik, dass die Leistung sich nicht im Unternehmen quasi permanent abspielt, sondern wirklich immer nur ein, zwei Mal in der Woche 90 Minuten auf den Punkt gebracht werden muss. Das ist dann die besondere Herausforderung, wo man dann im Training gucken muss: Wie schaffe ich, die verschiedenen Fähigkeiten meiner Mitarbeiter, sprich Spieler, so zu kombinieren und mit einer Strategie zu versehen, dass sie eben im Spiel erfolgreicher sind?

Brink: Nun können Sie ja in beide Richtungen eigentlich Ratschläge geben. Sie waren erfolgreicher Leistungssportler, sehr erfolgreich sogar, Sie arbeiten jetzt im Bereich Unternehmenskultur. Was würden Sie denn Bayern München raten? Können Sie denen ein Trainerbild entwerfen, oder auch Schalke?

Gross: Man kann kein Trainerbild jetzt quasi entwerfen ferndiagnostisch, das kann man übrigens auch in Unternehmen nicht, sondern man muss gucken: Wie funktioniert dieses Unternehmen? Beispielsweise ein Unternehmen Bayern München, muss man einfach sehen, da gibt es ja noch vier, fünf Nebentrainer, die auf der Tribüne sitzen, plus noch 20 Obertrainer, die in den Medien sitzen oder 200, und das ist natürlich auch noch eine zusätzliche Herausforderung. Sie kennen das auch aus Unternehmen: Wenn Sie wissen, Sie müssen Ihre Führungskraft rechts überholen, um dann bei dem wiederum Vorgesetzten vorstellig zu werden, um da etwas zu platzieren, oder rennen zu den Medien und platzieren dort etwas – das ist natürlich in anderen, normalen Unternehmen nicht der Fall.

Insofern – dieses Showbusiness, um es mal so zu sagen, reflektiert ja massiv auf die Führung, und vielleicht sind dann auch die obersten Führungskräfte gefordert, sich zu fragen: Wie müssten wir uns verhalten, damit dann quasi die mittlere Führungsebene, sprich die Trainer, ihren Job besser machen können.

Brink: Wenn Sie jetzt ein Resumée ziehen zum Abschluss: Was könnte denn der Sport gerade im Trainerbereich von der Wirtschaft lernen?

Gross: Zunächst ist das Wichtigste, die individuellen Stärken besser nicht nur zu analysieren, sondern dann auch zu kombinieren, und das Vertrauen in die Mitarbeiter, was ja in der freien Wirtschaft elementar ist, … Also beispielsweise in meinem Unternehmen sitze ich ja nicht bei jedem Training bei meinen Mitarbeitern dort, sondern 80 Prozent der Zeit arbeiten die Mitarbeiter völlig selbstständig, ohne dass ich dabei bin oder sogar noch mehr.

Und das ist im Fußball natürlich genauso wichtig, dass man sagt, okay, letztlich müssen meine Leute meine Strategie, meine Konzepte nachvollziehen können, sie müssen davon überzeugt sein, um dann sich selber zu überlegen: Wie können wir jetzt hier gemeinsam auf dem Platz diese Strategie am besten umsetzen? Und ein Jürgen Klopp, den ich beispielsweise auch persönlich sehr schätze, der schafft es eben dann auch, ja, das Feuer zu entzünden bei den Spielern, zu sagen, okay, ihr seid gefordert, ihr seid diejenigen, die auf dem Platz euren Mann stehen müsst und die Konzepte, die ich überlegt habe, umsetzen. und ich kann nicht von außen euch ständig in den Hintern treten, um es mal so zu sagen, damit ihr besser werdet. Und das ist das klassische Führungsbild: Führungskräfte machen ihre Mitarbeiter erfolgreich, und Vorgesetzte sagen, was sie tun sollen. Das Letzte ist auch im Fußball langsam out.

Brink: Michael Gross, erfolgreicher Schwimmer und Unternehmensberater. Schönen Dank für das Gespräch!

Gross: Bitte!