Mit den Augen des Flaneurs

Rezensiert von Michael Opitz |
Nach Venedig reiste Wolfgang Koeppen häufig. Die Lagunenstadt ließ ihn nicht mehr los. Der Band "Übers Jahr vielleicht wieder in Venedig" mit Impressionen aus der Stadt enthält auch bisher unbekannte Texte des Autors. Wiederum handelt es sich dabei "nur" um Fragmentarisches, aber in diesen Skizzen zeigt sich Koeppen als ein großer Autor, der es versteht, seine Leser durch die Art, wie er Venedig ins Bild bringt, zu verzaubern.
Wegen so mancher Romane, die Wolfgang Koeppen seinem Verleger Siegfried Unseld immer wieder versprochen, aber dann doch nicht geschrieben hat, wurde er zum Meister erklärt, der es zwar verstand, das Phantasieross zu reiten, aber dem es nicht gelingen wollte, dem Gaul des schreibenden Tagesgeschäftes die Zügel anzulegen. "Manchmal glaube ich, mit dem Konzipieren und mit dem Anfang eines Werkes alles gesagt zu haben. Es gibt da viele Seiten. Sie liegen da, ich vergesse sie, ich denke mir was Neues aus. So ist das."

Als der Unvollendete ist Koeppen zur Legende geworden, wobei zu schnell vergessen wird, was er an großen Romanen hinterließ: Tauben im Gras (1951), Das Treibhaus (1953), Der Tod in Rom (1954). Die deutsche Nachkriegsliteratur wäre ohne diesen Magier aus Greifswald ärmer, denn neben Günter Grass und Uwe Johnson ist es auch das Verdienst von Wolfgang Koeppen gewesen, dass die deutsche Literatur wieder Anschluss an die europäische Moderne fand.

Doch Koeppen, der in seinen Romanen aus den fünfziger Jahren die wieder erstarkende Bundesrepublik nicht aus der Verantwortung für die Vergangenheit entlassen wollte, war auch ein viel beachteter Autor von Reisebüchern, die er als Erweiterung seiner literarischen Ausdrucksmöglichkeiten verstand: "Nach diesen drei Romanen trat vielleicht ein gewisser Überdruss an der Romanform ein, und ich nahm gern die Gelegenheit, die mir der Rundfunk bot, wahr, auf Reisen zu gehen. Daraus entstanden dann die Reisebücher."

Koeppen konnte durch das Angebot, das ihm Alfred Andersch unterbreitete, der Leiter des Radio Essays beim Süddeutschen Rundfunk war, seiner Reiselust nachgehen, woraus Bücher wie Nach Russland und anderswohin. Empfindsame Reisen (1958), Amerikafahrt (1959) und Reisen nach Frankreich (1961) entstanden.

"Ich bin neugierig, ich reise gern." Häufig und immer wieder gern reiste Koeppen auch nach Venedig. Die Lagunenstadt mit Rialto-Brücke, Markusplatz, Dogenpalast und der Kirche Il Redentore ließ ihn, nachdem er die Serenissima 1934 das erste Mal besucht hatte, nicht mehr los. Die Stadt wurde seine heimliche Geliebte, der er sich zurückhaltend näherte, er war betört von ihrer Schönheit und erschrocken , wenn sie ihn zurückwies.

Der nun im Insel Verlag erschienene Band mit Venedig-Impressionen von Wolfgang Koeppen enthält neben "Ich bin gern in Venedig warum", einem Kommentar zu einem Film von Ferry Radax, auch bisher unbekannte Venedig-Texte des Autors. Wiederum handelt es sich dabei "nur" um Fragmentarisches, aber in diesen Skizzen zeigt sich Koeppen als ein großer Autor, der es versteht, seine Leser durch die Art, wie er Venedig ins Bild bringt, zu verzaubern.

Wolfgang Koeppen hat sich in die Stadt, der seine Liebe gehörte, eingeschlichen, wobei ihn seine Stadtwanderungen stets tiefer in die Geschichte der Traumstadt geführt haben. So erklärt sich, das nicht der touristische Blick charakteristisch für seine Aufzeichnungen ist, sondern Koeppen schaut mit den Augen des Flaneurs fasziniert auf die Mauern, Paläste und Märkte einer Nekropole: "Die Toten sind diese Stadt und ihre Geschichte, sie sind das Kunststück Venedig."


Wolfgang Koeppen: Übers Jahr vielleicht wieder in Venedig. Phantasien über eine Traumstadt
Mit Fotographien des Autors.
Herausgegeben von Alfred Estermann.
Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006, 135 Seiten