Mit dem Pfarrer durch den Knast

Von Blanka Weber |
Hosea Heckert aus Thüringen ist Seelsorger in der Justizvollzugsanstalt Gera. Er tauschte seine Stelle als Pfarrer einer großen Gemeinde gegen die "Welt hinter Gittern" mit Menschen, die das Gespräch suchen, obwohl sie nicht an Gott glauben.
"Guten Tag – schön, dass Sie mich am Gesicht erkennen.... Dankeschön. Schönen Tag."

Arbeitsbeginn für Hosea Heckert, 40 Jahre alt, er ist der Anstaltsseelsorger der JVA Gera.

"Wenn dann das Klacken ertönt ... So. Jetzt können wir die nächste Tür öffnen."

Rucksack über der Schulter, beige Jacke, blau-gestreifter Wollpulli und eine legere Jeans. Der Mann mit dem kurzen hellblonden Haar sieht eher aus wie ein Sozialarbeiter. Hier in der JVA ist er der Pfarrer und ein Mitarbeiter des Hauses. Auch für ihn gelten strengste Sicherheitsvorschriften.

"Dann ist ganz wichtig für mich, jetzt hier einzuschließen, was nicht rein darf. Das Handy verschwinden zu lassen und dann lege ich meine Schlüsselkarte rein, dass auch derjenige an der Pforte weiß, aha – Pfarrer Heckert ist da."

Zwei Mal pro Woche ist er hier in Gera, ansonsten in anderen Haftanstalten Thüringens. Gespräche anbieten – so lautet die Kurzbeschreibung seines Jobs. Er hält Gottesdienste mit den Häftlingen und trifft sich mit ihnen zu Bibelstunden.

"Mein Gang ist so, dass ich Hallo sage in der Station, wo die Bediensteten sitzen und begrüße kurz und dann habe ich meist ein paar Anträge gefunden oben in meinem Briefkasten, wo jemand sagt: Ich hätte gern ein Gespräch mit Pfarrer Heckert und dann gehe ich dahin, klopfe immer noch mal an der Zelle und dann schließe ich auf, dass man eine gewisse Intimsphäre zubilligt und dann sage ich: So Sie haben einen Antrag gestellt, ich bin jetzt für sie da, passt es gerade?"

So ist es auch an diesem Tag. Station 2. Hier sitzen die Untersuchungshäftlinge.

Unzählige Türen und Schlüssel sind es bis dorthin, Treppen und lange Flure.

"Die meisten Gespräche, die bei mir beantragt werden, Seelsorge, die sind wirklich hier in der Untersuchungshaft – sie müssen sich vorstellen, da stehen manchmal noch Verhandlungen aus und man hat Angst davor – was wird da werden, wie ist meine eigene Verfassung, wie ist mein psychisches Nervenkostüm und da hat mich auch schon mal ein Gefangener gebeten, mit zur Verhandlung zu kommen, hat gesagt, ich fühl mich da irgendwie sicherer, wenn sie mit im Zuschauerraum sitzen. Das gibt mir irgendwie Kraft. Und das habe ich dann auch gemacht."

Es ist Mittagszeit – mit Nudeln und Gulasch, gekocht von den Häftlingen für alle, die hier im Hause sind. Diejenigen, die hier arbeiten und diejenigen, die hier zwangsweise ihre Zeit verbringen. Meist sind es vier Personen in einer Zelle.

Hosea Heckert kennt viele von ihnen, grüßt immer. Und vor allem immer freundlich und mit Respekt. Die Menschen – egal wen - würdevoll behandeln, ist sein Credo. Ohne jedoch alle blind in Schutz zu nehmen. Zwischen Achtung und Ächtung ist ein Unterschied:

"Das, was du getan hast, das wird geächtet, und das ist, denke ich auch, wie Gott rangeht an einen Schuldner, dass der Mensch geachtet wird an sich und das, was er getan hat, geächtet! Und diesen Unterschied zu wahren, das ist gerade in der JVA für den Pfarrer – für alle Bediensteten ganz, ganz wichtig. Und wenn man das hier macht, dann denke ich, gibt es auch viel weniger Probleme hier mit Gefangenen."

Hinter den Häftlingen mit den warmen Nudeltellern in der Hand und den schlurfenden Schritten wird die schwere grüne Stahltür geschlossen. Pause für alle.
Herr W. – ein junger Mann in dunkler Kleidung - nutzt die Zeit für ein Gespräch. Schon einige Male hat er mit Hosea Heckert geredet, auch an Bibelgesprächen teilgenommen. Obwohl er – zwar getauft – aber gar nicht religiös sei.

"Ich habe schon immer meine eigenen Gedanken über die Bibel. Ich höre mir gerne was an. Es macht auch sehr viel Spaß."

Es sei okay, sagt er später, dass es auch noch etwas anderes gäbe als das ganz normale Leben.

Seines ist gerade kompliziert. Er möchte übrigens nicht Häftling genannt werden, das sei abwertend. Gefangener – sagt er schlicht – ist das bessere Wort.

"Ich komme selber gut klar mit mir allein, es gibt auch Leute die kommen mit sich selber nicht gut klar. Die eben Suizidversuche machen und so ... aber ich habe immer noch einen Lebenswillen."

Familie gründen und anders leben will er. Doch erst einmal muss gerade stehen für das, was er getan hat. Was es war, werden wir nicht erfahren. Vielleicht Pfarrer Heckert.

Herr W. wird später von ihm zurück zur Zelle gebracht. So wie alle anderen auch, mit denen er zwischen 10 und 30 Minuten gesprochen hat.

"Ich muss sagen, ich bin eigentlich ein Seelsorger, der durchaus nicht nur zuhört und sagt: Ja du armes kleines Würmchen ... ich steh dir bei – diese Haltung ist manchmal gefragt, manchmal ist auch eine ganz andere Haltung gefragt, dass ich sage, wissen Sie was? Wie Sie jetzt gerade erzählen, wie Sie jemanden zusammengeschlagen haben und lachen noch dabei -da wird’s mir schlecht."

Impulse will er setzen in eine bessere Richtung.

"Dann liegt es auch in der Hand des Gefangenen, was er mit den Impulsen macht und wie sein Umfeld ist, und da habe ich die Hoffnung, dass Gott, wenn er hier raus ist oder wenn ich nicht mehr da bin, das weiter führt!"

Wieder geht er einen langen Gang entlang, in der oberen Etage des alten Backsteingebäudes teilt er sich mit einem katholischen Seelsorger – im Wechsel – den Job und auch das kleine Büro hinter Gitterfenstern.

"Die Leute fragen mich aus meiner alten Gemeinde. Herr Pfarrer, wie ist es denn nun da im Knast. Ist es nicht schöner bei uns gewesen? Dann sage ich natürlich, na ja es war in der Gemeinde schön, da habe ich mich richtig am Platz gefühlt und in der JVA fühle ich mich auch richtig am Platz."

Mit den Gesprächen viel bewegen ist für ihn das Schönste, sagt Hosea Heckert. Er geht noch einmal durch die Schleuse, die letzte an dem Tag, nimmt Rucksack und Telefon aus dem Fach. Einfach sei es nicht immer, manche Probleme würden schon tiefer rutschen. Gerade Drastisches, was er zu hören bekommt.

Doch dann – und da piept die Sicherheitsschleuse – nimmt auch er Hilfe in Anspruch:

"Da gibt es für den Seelsorger eine Supervision, wo er dann anonymisiert eben auch das, was ihm oben auf liegt, was er nicht ganz verkraftet – mal besprechen kann mit jemand anders – was geschützt ist durch die Schweigepflicht."

"Also Tschüß dann und noch einen ruhigen Dienst./ Auf Wiedersehen ..."