Mit dem Megafon auf dem Odeonsplatz
Ausgerechnet das traditionsbewusste München lässt zu, dass die dänisch-norwegischen Künstler Elmgreen & Dragset den öffentlichen Raum mit Kunst bespielen. Dabei hat das Duo schon in New York und Rotterdam provoziert und irritiert.
Weißblauer Himmel über dem Münchner Odeonsplatz, eine Kapelle spielt im nahen Hofgarten, Reisebusse und Pferdekutschen fahren vor, Touristengruppen versammeln sich für Stadtführungen vor der Feldherrenhalle. Ein Vormittag wie er sein soll in Deutschlands Fremdenverkehrsmetropole. Da nähert sich ein unauffällig gekleideter, älterer Mann, nimmt ein Megaphon aus einer Vitrine und brüllt: "Es ist nie zu spät, sich zu entschuldigen!" Stellt das Megaphon wieder in die Vitrine und verschwindet.
Die Touristen blicken irritiert, viele gar erschrocken, die Worte hallen nach. Manche blicken sich um und erinnern sich vage. Die Feldherrenhalle, war da nicht was mit dem Dritten Reich? Hat der Hitler hier nicht mal eine Rede gehalten? War das jetzt also eine Protestaktion? Andere meinen begeistert zu wissen, München habe hier eine Rednerecke eingerichtet, Speaker's Corner wie im Londoner Hyde Park, und wollen ebenfalls die Flüstertüte nehmen, auch sie haben der Öffentlichkeit etwas zu sagen. Aber die Vitrine ist schon wieder verschlossen.
"Aus Sicht vieler Stadtplaner ist der öffentliche Raum heute doch nur noch ein Problem. Sie arbeiten daran, zu verhindern, dass die Menschen sich davon provoziert oder sich über irgendetwas aufregen könnten, was sie auf den Straßen und Plätzen sehen. Alles wird möglichst neutral, diskret gehalten, damit die Leute sich bloß nicht aufregen oder sogar auf die Idee kommen, sich für den öffentlichen Raum engagieren zu wollen."
Sagt Michael Elmgreen, die eine Hälfte des skandinavischen Künstlerduos Elmgreen & Dragset, das von der Stadt München zum einen den Auftrag erhalten hat, eine große Ausstellung im öffentlichen Raum zu organisieren. Zum anderen haben die beiden Installationskünstler selbst eine ihrer hintersinnigen Installationen beigesteuert. Ihre Mini-Performance "It's never to late to say sorry" haben sie auch schon in Rotterdam und in New York aufgeführt, immer erntete sie verunsicherte Blicke und Mutmaßungen, wer hier von wem in aller Öffentlichkeit eine Entschuldigung fordert.
"In der Tradition sahen öffentliche Denkmäler oft so aus, dass dort alte Männer, die Kriege gewonnen hatten, auf Sockeln standen. Mit diesem Projekt versuchen wir, diese Tradition zu öffnen für kleine Feiern des Alltags, für individuelle Zeichen, die eben nicht nur Herrschaftszeichen sind."
Ergänzt Michael Elmgreen. Nur ein paar Schritte weiter vom Odeonsplatz, auf dem altehrwürdigen Wittelsbacherplatz, steht genau so ein traditionelles Denkmal, Kurfürst Maximilian I., hoch zu Pferde, doch seit neuestem steht er nicht mehr allein. Daneben hat das irisch-chinesische Künstlerduo Stephen Hall und Li Li Ren einen leeren Sockel platziert nach dem Vorbild der sogenannten Fourth Plinth auf dem Londoner Trafalgar Square, die seit einigen Jahren für temporäre Kunstprojekte dient.
Wie in London konnten sich auch in München Künstler an einem Wettbewerb für die Gestaltung dieses leeren Sockels bewerben, gewonnen hat Alexander Laner aus dem Sockel ein "luxussaniertes Baudenkmal in Toplage" mit Dachterrasse und umzäuntem Gartengrundstück gemacht hat. Was man in München mit seinen exorbitanten Mietpreisen und der innerstädtischen Wohnungsknappheit leicht versteht. Man kann sich sogar für 24 Stunden in diesen Sockel einmieten.
Ingvar Dragset: "Ich denke, in solchen Städten braucht man so ein bisschen Friktionen und ein bisschen Widerstand fast, weil hier läuft alles so gerade aus, und manchmal muss man auch ein bisschen Schwieriges erleben, um zu verstehen, wo sind wir, sind wir eigentlich noch offen. Soll es so ewig bleiben, wie es jetzt ist?"
Sagt Ko-Kurator und Künstler Ingvar Dragset, der aber auch wert auf die Feststellung legt, dass man hier in München kein Kunstspektakel abziehen will, obwohl das gewiss eher im Sinne des Münchner Stadtmarketings gewesen wäre. Aber den beiden Künstlern gelingt es mit geradezu demonstrativem Understatement, durch die insgesamt 17 temporären Installationen die öffentliche Aufmerksamkeitsökonomie umzudrehen.
Martin Kippenbergers transportabler U-Bahn-Eingang, der erstmals auf der documenta 1997 zu sehen war, steht nun so selbstverständlich auf dem Marienhof, dass es eines zweiten Blicks bedarf. Denn hier befand bis vor gar nicht langer Zeit tatsächlich eine hoch umstrittene U-Bahn-Baustelle, die mittlerweile ergebnislos zugeschüttet wurde.
Von fast erschreckender Unauffälligkeit ist auch Kirsten Pieroths konzeptuelle Skulptur "Berliner Pfütze" am Isartorplatz – eine große Wasserlache, die nicht auf die örtlichen Regenfälle der letzten Wochen zurückzuführen ist, sondern eigens für dieses Projekt in Berlin gesammelt und hier in München wieder installiert wurde. Das muss man wissen, um zu verstehen, dass die Künstlerin damit auf die Austauschbarkeit städtischer Identität in Zeiten der Globalisierung verweisen will. Wer gehört werden will, muss leise sprechen, sagt Michael Elmgreen:
"Unterschiedliche Weltsichten, unterschiedliche Interessen, denen wir nicht unbedingt zustimmen müssen, die wir aber respektieren lernen sollten. Wir wollen dazu ermuntern, das Laptop einfach einmal eine Weile auszuschalten, nach draußen zu gehen, die Realität in 3D zu genießen, auch wenn das vielleicht altmodisch ist."
Link für weitere Informationen zu Kunst im öffentlichen Raum in München:
A Space called Public - hoffentlich öffentlich
Die Touristen blicken irritiert, viele gar erschrocken, die Worte hallen nach. Manche blicken sich um und erinnern sich vage. Die Feldherrenhalle, war da nicht was mit dem Dritten Reich? Hat der Hitler hier nicht mal eine Rede gehalten? War das jetzt also eine Protestaktion? Andere meinen begeistert zu wissen, München habe hier eine Rednerecke eingerichtet, Speaker's Corner wie im Londoner Hyde Park, und wollen ebenfalls die Flüstertüte nehmen, auch sie haben der Öffentlichkeit etwas zu sagen. Aber die Vitrine ist schon wieder verschlossen.
"Aus Sicht vieler Stadtplaner ist der öffentliche Raum heute doch nur noch ein Problem. Sie arbeiten daran, zu verhindern, dass die Menschen sich davon provoziert oder sich über irgendetwas aufregen könnten, was sie auf den Straßen und Plätzen sehen. Alles wird möglichst neutral, diskret gehalten, damit die Leute sich bloß nicht aufregen oder sogar auf die Idee kommen, sich für den öffentlichen Raum engagieren zu wollen."
Sagt Michael Elmgreen, die eine Hälfte des skandinavischen Künstlerduos Elmgreen & Dragset, das von der Stadt München zum einen den Auftrag erhalten hat, eine große Ausstellung im öffentlichen Raum zu organisieren. Zum anderen haben die beiden Installationskünstler selbst eine ihrer hintersinnigen Installationen beigesteuert. Ihre Mini-Performance "It's never to late to say sorry" haben sie auch schon in Rotterdam und in New York aufgeführt, immer erntete sie verunsicherte Blicke und Mutmaßungen, wer hier von wem in aller Öffentlichkeit eine Entschuldigung fordert.
"In der Tradition sahen öffentliche Denkmäler oft so aus, dass dort alte Männer, die Kriege gewonnen hatten, auf Sockeln standen. Mit diesem Projekt versuchen wir, diese Tradition zu öffnen für kleine Feiern des Alltags, für individuelle Zeichen, die eben nicht nur Herrschaftszeichen sind."
Ergänzt Michael Elmgreen. Nur ein paar Schritte weiter vom Odeonsplatz, auf dem altehrwürdigen Wittelsbacherplatz, steht genau so ein traditionelles Denkmal, Kurfürst Maximilian I., hoch zu Pferde, doch seit neuestem steht er nicht mehr allein. Daneben hat das irisch-chinesische Künstlerduo Stephen Hall und Li Li Ren einen leeren Sockel platziert nach dem Vorbild der sogenannten Fourth Plinth auf dem Londoner Trafalgar Square, die seit einigen Jahren für temporäre Kunstprojekte dient.
Wie in London konnten sich auch in München Künstler an einem Wettbewerb für die Gestaltung dieses leeren Sockels bewerben, gewonnen hat Alexander Laner aus dem Sockel ein "luxussaniertes Baudenkmal in Toplage" mit Dachterrasse und umzäuntem Gartengrundstück gemacht hat. Was man in München mit seinen exorbitanten Mietpreisen und der innerstädtischen Wohnungsknappheit leicht versteht. Man kann sich sogar für 24 Stunden in diesen Sockel einmieten.
Ingvar Dragset: "Ich denke, in solchen Städten braucht man so ein bisschen Friktionen und ein bisschen Widerstand fast, weil hier läuft alles so gerade aus, und manchmal muss man auch ein bisschen Schwieriges erleben, um zu verstehen, wo sind wir, sind wir eigentlich noch offen. Soll es so ewig bleiben, wie es jetzt ist?"
Sagt Ko-Kurator und Künstler Ingvar Dragset, der aber auch wert auf die Feststellung legt, dass man hier in München kein Kunstspektakel abziehen will, obwohl das gewiss eher im Sinne des Münchner Stadtmarketings gewesen wäre. Aber den beiden Künstlern gelingt es mit geradezu demonstrativem Understatement, durch die insgesamt 17 temporären Installationen die öffentliche Aufmerksamkeitsökonomie umzudrehen.
Martin Kippenbergers transportabler U-Bahn-Eingang, der erstmals auf der documenta 1997 zu sehen war, steht nun so selbstverständlich auf dem Marienhof, dass es eines zweiten Blicks bedarf. Denn hier befand bis vor gar nicht langer Zeit tatsächlich eine hoch umstrittene U-Bahn-Baustelle, die mittlerweile ergebnislos zugeschüttet wurde.
Von fast erschreckender Unauffälligkeit ist auch Kirsten Pieroths konzeptuelle Skulptur "Berliner Pfütze" am Isartorplatz – eine große Wasserlache, die nicht auf die örtlichen Regenfälle der letzten Wochen zurückzuführen ist, sondern eigens für dieses Projekt in Berlin gesammelt und hier in München wieder installiert wurde. Das muss man wissen, um zu verstehen, dass die Künstlerin damit auf die Austauschbarkeit städtischer Identität in Zeiten der Globalisierung verweisen will. Wer gehört werden will, muss leise sprechen, sagt Michael Elmgreen:
"Unterschiedliche Weltsichten, unterschiedliche Interessen, denen wir nicht unbedingt zustimmen müssen, die wir aber respektieren lernen sollten. Wir wollen dazu ermuntern, das Laptop einfach einmal eine Weile auszuschalten, nach draußen zu gehen, die Realität in 3D zu genießen, auch wenn das vielleicht altmodisch ist."
Link für weitere Informationen zu Kunst im öffentlichen Raum in München:
A Space called Public - hoffentlich öffentlich