Mit dem Königshaus ist nicht zu spaßen

Von Wolf Wondratschek |
Meine These lautet: Sie war einverstanden zu sterben, nicht vielleicht mit dem Datum und schon gar nicht, nehme ich mal zu ihren Gunsten an, mit diesem Trottel von Playboy an ihrer Seite, aber es hat keine getroffen, die nicht selbst hin und wieder mit genau jenem Gedanken gespielt hätte: was wäre, wenn alles ein Ende hätte?
Ich bin fällig, mag sie gedacht haben. Ich bin wertlos geworden. So ein Leben kann nicht gut gehen. Es ist ja gar kein Leben mehr. Es ist billig wie die Ware, die ich geworden bin. Ich bin eine Mutter ohne das letzte Wort. Ich bin die untreue Ehefrau. Ich bin an sich noch immer eine kommende Königin, trete aber auch im Bikini zum Kampf an. Soll das so weitergehen? Wäre da Totsein nicht schöner?

Von Anfang an ging die ganze Angelegenheit schief. Vom ersten Liebesblick an war sie die Gefangene eines Windsors. Ein Liebling war (und blieb) sie nur jenseits der Umgrenzungen der Schlösser Britanniens. Isoliert wie sie war, hatte sie zwei Optionen: sich zu fügen oder zu rebellieren. Sie wählte das Risiko, sich nicht alles gefallen zu lassen. Sie experimentierte mit Gefühlen, den eigenen und denen der Männer, in die sie ihre orientierungslose Sehnsucht, geliebt zu werden, investierte. Vergeblich. Zwar hatte sie Rückendeckung: das Volk, die Menschen, die Medien, aber mit dem englischen Königshaus ist nicht zu spaßen.

Je konfuser sie sich benahm, umso stärker stiegen ihre Sympathiewerte. Ein weltweites Weinen hatte begonnen um die Ungeliebte, das dann Orkanstärke erreichte, als sie endlich ihre Ruhe hatte und der Sarg zu war. So dumm war sie ja nicht, dass ihr das globale Mitleid nicht gehörig auf den Wecker ging. Also legte sie einen Zahn zu, benahm sich wie eine Single – und ging mit den Tests bis an die Grenze der Selbstzerstörung. Todeswünsche wurden Gewohnheit. Aber noch kochte sie ja vor Wut. Noch wartete ja das nächste Rendezvous.

Ein privates Leben hatte sie nur, wenn sie Regeln verletzte. Durch Magersucht sich in Luft aufzulösen, haute nicht hin. Durch Kinder die Liebe zu retten auch nicht. Der junge Windsor ging fremd. Das tat sie dann auch – aber in welcher Hoffnung?

Das lässt sich nicht durchhalten. Dazu kam die Scham über fortwährend falsche Lebensentscheidungen. Die Rebellion verkam zur Rache. Sie wurde die Luxusadresse für den tief traurigen Blick. Und so lebte und litt sie, und beides weniger lebendig als symbolisch.

Die böse Entdeckung, unglücklich zu sein, lag hinter ihr. Die andere, unglücklich bleiben zu müssen, stand ihr bevor. Also Tod, komm, nimm mir die Arbeit ab.

Nachträglich kann man feststellen, dass der Tod sie beschützte, denn längst kennen wir mehr von der Vorgeschichte. Neben ihr gab es noch einen Menschen, der sich rächen wollte. Mister Al Fayed sen., der Vater jenes Dodi, in dessen Arme sie geflüchtet war. Dieser Al Fayed wollte die britische Staatsbürgerschaft – und kriegte sie nicht. Also kontaktierte er das schwächste Glied der Windsor-Clique, das unglückliche Nesthäkchen. Wenn er sich schon von den Ministern Englands beleidigen lassen musste, so würde er auf dem höchst denkbaren Niveau zurückschlagen. Es musste die Prinzessin seinen Sohn heiraten, der ja zu sonst nichts zu taugen schien als zu dieser Art von Sport.

Das war die Situation. Und ein Skandal dazu. Britannien gegen Ägypten. Abendland gegen Morgenland. Mehr Ärger war nicht zu erzeugen. Und sie, die sie Höhepunkte liebte, war auf dem Gipfel der Unverschämtheit angekommen. Der Ägypter war die offene Kriegserklärung. Und der verzweifelte Versuch, endgültig aus dem Berufsleben einer Prinzessin auszusteigen. Es war, lässt sich festhalten, außer der Geburt zweier gesunder Söhne so gut wie alles schief gelaufen. Trotzdem: mehr denn je war sie ein Welterfolg, bis zuletzt, bis über ihren Tod hinaus. Den Windsors war sie, anders als den Menschen, die sie beweinten, keine Träne wert. Sie waren die Heimsuchung, die Diane Spencer hieß, los.

Wolf Wondratschek wurde 1943 in Rudolstadt/Thüringen geboren und wuchs in Karlsruhe auf. Er studierte in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt/Main Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie. Nebenbei arbeitete er als Redakteur bei der Literaturzeitschrift "Text + Kritik". Bekannt wurde Wondratschek durch seine knappe Prosa und Satzcollagen. Er avancierte nach Kritikermeinung zum "einzigen deutschsprachigen Rockpoeten mit Breitenwirkung". Seine Gedicht-Bände erzielten überdurchschnittliche Auflagen. Veröffentlichungen u.a.: "Früher begann der Tag mit einer schusswunde" (1969), "Die Einsamkeit der Männer" (1983), "Einer von der Straße" (1992, Roman), "Das Mädchen und der Messerwerfer" (1997), "Die Kelly-Briefe" (1998, Roman), "Die große Beleidigung" (2001, Erzählungen) und "Mozarts Friseur" (2002, Roman). Wondratschek wurde u.a. mit dem "Leonce-und-Lena-Preis" ausgezeichnet.