Mit dem grünen Band der Empathie

19.07.2011
Im Mittelalter war er des Teufels, im Märchen ein verwunschener Prinz und für die Anatomen des 19. Jahrhunderts das Labortier mit den elektrischen Beinen: Der Frosch hat seine eigene Kulturgeschichte. Der Germanist Bernd Hüppauf hat sie geschrieben und plädiert aus der Froschperspektive für eine neue ökologische Ethik.
Bernd Hüppauf beginnt sein Buch mit einer Urszene aus der eigenen Kindheit. Auf dem Bauch liegend, verbringt er die Tage an einem Teich. Bis heute erinnert er sich an das wimmelnde Leben im Wasser und an den Frosch in seiner Hand.

Der Frosch in der Hand ist Hüppaufs Leitmotiv. Es symbolisiert Verbundenheit von Mensch und Tier, aber es löst auch Abwehr aus. Im Mittelalter wurden Frösche und Kröten für "böse" gehalten. Sie galten als kalt und glitschig und stanken angeblich höllisch, also nach Schwefel.

Für seine Fruchtbarkeit und die Fähigkeit zur Verwandlung wurde der Frosch von vielen Kulturen verehrt. Nur in Europa hat die Kirche ihn regelrecht verteufelt. Bernd Hüppauf zeigt, dass dieser europäische Sonderweg voller Widersprüche steckt. Während Theologen die Tiere verdammten, sprach der Volksglaube ihnen magische Kräfte zu: Der Schleim ausgekochter Frösche versprach gegen Zahnschmerzen, Krötenhaut gegen Rheuma zu helfen.

Der Neuzeit erschienen Frösche nicht mehr böse, nur noch hässlich. Im Märchen verbarg sich dahinter eine schöne Seele. Völlig seelenlos sollten die Tiere dagegen in den Labors des 19. Jahrhunderts funktionieren. Man traktierte sie mit Stromstößen, sezierte und zergliederte sie, um an ihrem Modell das menschliche Nervensystem zu begreifen.

Die Kultur macht keine Sprünge. Frei nach Michel Foucault entfaltet Hüppauf eine "Archäologie des Wissens" vom Frosch und zeigt, dass jede Zeit das Tier neu gedeutet hat. Unterhalb dieser Brüche aber entdeckt er starke Kontinuitäten. Mit dem Laborfrosch kehrten die Folter-Apparaturen der Inquisition zurück. Der Ekel vor dem Gewimmel der Frösche nahm im 17. Jahrhundert "die Angst vor den Massen des Industriezeitalters" vorweg.

Die Gegenwart hat den Frosch wieder in die Hand genommen. Er hat sich zum "Öko-Frosch" gewandelt, dem Totemtier einer neuen Haltung zur Natur. "Tiere sehen dich an", so hieß 1928 ein populäres Buch des Publizisten Paul Eipper. Adorno hat sich darauf bezogen und in der Empathie mit dem Tier ein "mimetisches Vermögen" erkannt, das jede Gesellschaft pflegen muss, um nicht inhuman zu verrohen. Heute fordern Philosophen und Schriftsteller wie der südafrikanische Nobelpreisträger J. M. Coetzee in diesem Sinne unser Mitgefühl mit den Tieren ein.

Einem Frosch kann man nicht in die Augen sehen, schreibt Bernd Hüppauf, sie sitzen zu weit außen, seitlich am Kopf. Aber die Spiegelneuronen, die uns die Einfühlung in andere Lebewesen ermöglichen, reagieren nicht auf Blicke, sondern auf die Bewegungen der anderen. Ihr Körperausdruck berührt uns so, als erlebten wir ihren Schmerz oder ihr Wohlbefinden am eigenen Leib. Die Basis der Empathie ist ein motorisches Vermögen, eine Intelligenz der Hand.

In dieser Erkenntnis der Hirnforschung sieht Hüppauf die Voraussetzung für eine Ethik, die das Überleben von Mensch und Tieren im Sinn hat. Die Tiere brauchen gute Anwälte, wenn es in dieser Sache an den Verhandlungstisch geht. Mit Bernd Hüppauf hat der Frosch einen engagierten Fürsprecher gefunden.


Besprochen von Frank Kaspar

Bernd Hüppauf: Vom Frosch. Eine Kulturgeschichte zwischen Tierphilosophie und Ökologie
transcript Verlag, Bielefeld 2011
417 Seiten, 24,80 Euro
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