Mit dem Fahrrad nach Russland
Christoph D. Brumme berichtet in seinem Buch "Auf einem blauen Elefanten - 8353 Kilometer mit dem Fahrrad von Berlin an die Wolga und zurück" von den Begegnungen und Alltagsphänomenen, die er auf einer Radtour von Berlin nach Russland und zurück erlebt hat.
Mit einem 21-Gang-Tourenrad macht sich Christoph Brumme im Mai 2007 von Berlin nach Russland auf. Sein Ziel: Saratov am Don, seine Route: quer durch das südliche Polen, durch die Ukraine, bei Svidlovotsk über den Dnepr, dann nach Süden zum Asowschen Meer und von Rostow aus parallel des Don und später der Wolga nach Saratov. Nach 5585 Kilometern, inklusive aller Abstecher und Umwege, hat er sein Ziel erreicht. Zurück nimmt er den kürzeren Weg über Kiew. Insgesamt fährt er 8353 Kilometer.
Es gibt Radfahrführer überall hin – und die passenden Erlebnisberichte dazu. Von Leuten, die die Panamericana per Rad befuhren, Leute, die einmal rund um die Welt radelten, die Neuseeland auf dem Velo durchquerten oder Afrika vom Kap bis Kairo - Bücher, die von platten Reifen und billigen Pensionen berichten.
Christoph Brummes Buch ist anders. Es kommt äußerlich als Radreisebeschreibung daher, aber außer der täglichen Kilometerleistung und darüber, dass es mal regnet, mal die Sonne scheint oder oft Gegenwind herrscht, erfährt man relativ wenig über das Radfahren in Polen, der Ukraine oder Russland. Die wenigen Beschreibungen berichten von schlechten Straßen, Abgasen in den Städten, oft rücksichtsvollen und selten rücksichtslosen Autofahrern.
Sogar die Titelassoziation ist falsch. Brumme fährt kein blaues Rad, es wirkt nur auf die Menschen, auf die er unterwegs trifft, so fremd, als käme er auf einem blauen Elefanten angeritten.
Das Buch lebt vielmehr von den Begegnungen, die Brumme widerfahren. Er erzählt von seinen Vorurteilen, die Ukraine betreffend. Räuber und Banditen vermutet man dort, alle Formen von Gesetzlosigkeit und Willkür, einfach mafiöse Zustände und Brumme – Brumme fährt mit seinem Rad durch das Land und bekennt am Ende, dass es nicht eine Stunde gegeben hätte, in der er diese Fahrt bereut habe. "Das Radfahren ist die erste Tätigkeit in meinem Leben, die ich ohne Zweifel als sinnvoll empfinde."
Er radelt jeden Tag zehn Stunden. Er radelt durch Polen, er gelangt in die Ukraine und entdeckt entlang der Straßen etwas Besonderes, etwas, das wahrscheinlich aufgrund des Reisetempos nur Radfahrern auffallen kann: Buswartehäuschen, einfache flache Gebäude aus Standard-Betonplatten zusammengesetzt. So weit, so hässlich, aber die Ukrainer schaffen Abhilfe: die Betonwände sind immer mit Mosaiken beklebt – kleinen Kacheln, die zu Bildern zusammengefügt werden. Da gibt es kühne Kosaken zu Pferd, Friedenstauben und -parolen, ganze Landschaften mit Reitern, Figuren aus der Literatur und der Volksmythologie, graphische Muster, Tänzer und Tiere, glückliche Familien und hart arbeitende Kohlekumpel - ein ganzes Sammelsurium an Gestalten und Bildfolgen von Naturmotiven über Volkskunst bis hin zur Propaganda, aber alles Unikate, alle in Handarbeit hergestellt und gepflegt – eine wie Brumme sagt, "Kultur der Verschwendung inmitten des Mangels". – Die schönsten Buswartehäuschen sind in einem Bildteil dokumentiert.
Brumme übernachtet in einem kleinen Zelt, das er außerhalb der Ortschaften, oft mitten im Wald aufbaut. Oft jedoch wird Brumme eingeladen, irgendwo zu übernachten. Die Gastfreundschaft der Ukrainer und Russen scheint umwerfend zu sein – überall. Obwohl alle ihn immer wieder vor den anderen warnen, vor denen, die weiter östlich wohnen, die er noch treffen wird: "Das Böse wohnt immer weit weg."
Doch meist trifft er auf unkomplizierte Menschen, die mit dem Fremden reden wollen, ihn befragen, warum er macht, was er macht, die jemandem zum Reden und oft genug auch zum Trinken suchen. Brumme wird ständig zum Essen eingeladen – eine ewige Bratkartoffeln-, Spiegelei- und Tomatendiät. Dazu lernt er das Wodkatrinken. In ziemlich großen Mengen.
Dass in der Ukraine und Russland gesoffen wird, ist eines der Vorurteile, das Brumme bestätigen kann. Da zweite ist ansatzweise das einer bürokratischen Gesellschaft. Überraschend problemlos überquert er Grenzen, auch dort, wo man als Radfahrer eigentlich nicht einreisen darf, aber sein Versuch, sich in Saratov behördlich anzumelden, endet in einem kafkaesken Gerenne von Büro zu Büro in der zuständigen schwer zu findenden Behörde. Er schafft es schließlich mit Hilfe von russischen Freunden und dem guten Willen einer ebenfalls russischen Beamtin.
Brumme zieht ein doppeltes Fazit aus seiner Tour de Wolga: Er liebt das Alleinsein, und er hat erlebt, dass die meisten Menschen hilfsbereit, freundlich und ehrlich sind. Das klingt recht schlicht, aber vielleicht sind viele Wahrheiten auch genau das.
Mein Fazit: Lesenswert.
Besprochen von Günter Wessel
Christoph D. Brumme: Auf einem blauen Elefanten - 8353 Kilometer mit dem Fahrrad von Berlin an die Wolga und zurück
Dittrich Verlag, Berlin 2009
250 Seiten, 19,80 Euro
Es gibt Radfahrführer überall hin – und die passenden Erlebnisberichte dazu. Von Leuten, die die Panamericana per Rad befuhren, Leute, die einmal rund um die Welt radelten, die Neuseeland auf dem Velo durchquerten oder Afrika vom Kap bis Kairo - Bücher, die von platten Reifen und billigen Pensionen berichten.
Christoph Brummes Buch ist anders. Es kommt äußerlich als Radreisebeschreibung daher, aber außer der täglichen Kilometerleistung und darüber, dass es mal regnet, mal die Sonne scheint oder oft Gegenwind herrscht, erfährt man relativ wenig über das Radfahren in Polen, der Ukraine oder Russland. Die wenigen Beschreibungen berichten von schlechten Straßen, Abgasen in den Städten, oft rücksichtsvollen und selten rücksichtslosen Autofahrern.
Sogar die Titelassoziation ist falsch. Brumme fährt kein blaues Rad, es wirkt nur auf die Menschen, auf die er unterwegs trifft, so fremd, als käme er auf einem blauen Elefanten angeritten.
Das Buch lebt vielmehr von den Begegnungen, die Brumme widerfahren. Er erzählt von seinen Vorurteilen, die Ukraine betreffend. Räuber und Banditen vermutet man dort, alle Formen von Gesetzlosigkeit und Willkür, einfach mafiöse Zustände und Brumme – Brumme fährt mit seinem Rad durch das Land und bekennt am Ende, dass es nicht eine Stunde gegeben hätte, in der er diese Fahrt bereut habe. "Das Radfahren ist die erste Tätigkeit in meinem Leben, die ich ohne Zweifel als sinnvoll empfinde."
Er radelt jeden Tag zehn Stunden. Er radelt durch Polen, er gelangt in die Ukraine und entdeckt entlang der Straßen etwas Besonderes, etwas, das wahrscheinlich aufgrund des Reisetempos nur Radfahrern auffallen kann: Buswartehäuschen, einfache flache Gebäude aus Standard-Betonplatten zusammengesetzt. So weit, so hässlich, aber die Ukrainer schaffen Abhilfe: die Betonwände sind immer mit Mosaiken beklebt – kleinen Kacheln, die zu Bildern zusammengefügt werden. Da gibt es kühne Kosaken zu Pferd, Friedenstauben und -parolen, ganze Landschaften mit Reitern, Figuren aus der Literatur und der Volksmythologie, graphische Muster, Tänzer und Tiere, glückliche Familien und hart arbeitende Kohlekumpel - ein ganzes Sammelsurium an Gestalten und Bildfolgen von Naturmotiven über Volkskunst bis hin zur Propaganda, aber alles Unikate, alle in Handarbeit hergestellt und gepflegt – eine wie Brumme sagt, "Kultur der Verschwendung inmitten des Mangels". – Die schönsten Buswartehäuschen sind in einem Bildteil dokumentiert.
Brumme übernachtet in einem kleinen Zelt, das er außerhalb der Ortschaften, oft mitten im Wald aufbaut. Oft jedoch wird Brumme eingeladen, irgendwo zu übernachten. Die Gastfreundschaft der Ukrainer und Russen scheint umwerfend zu sein – überall. Obwohl alle ihn immer wieder vor den anderen warnen, vor denen, die weiter östlich wohnen, die er noch treffen wird: "Das Böse wohnt immer weit weg."
Doch meist trifft er auf unkomplizierte Menschen, die mit dem Fremden reden wollen, ihn befragen, warum er macht, was er macht, die jemandem zum Reden und oft genug auch zum Trinken suchen. Brumme wird ständig zum Essen eingeladen – eine ewige Bratkartoffeln-, Spiegelei- und Tomatendiät. Dazu lernt er das Wodkatrinken. In ziemlich großen Mengen.
Dass in der Ukraine und Russland gesoffen wird, ist eines der Vorurteile, das Brumme bestätigen kann. Da zweite ist ansatzweise das einer bürokratischen Gesellschaft. Überraschend problemlos überquert er Grenzen, auch dort, wo man als Radfahrer eigentlich nicht einreisen darf, aber sein Versuch, sich in Saratov behördlich anzumelden, endet in einem kafkaesken Gerenne von Büro zu Büro in der zuständigen schwer zu findenden Behörde. Er schafft es schließlich mit Hilfe von russischen Freunden und dem guten Willen einer ebenfalls russischen Beamtin.
Brumme zieht ein doppeltes Fazit aus seiner Tour de Wolga: Er liebt das Alleinsein, und er hat erlebt, dass die meisten Menschen hilfsbereit, freundlich und ehrlich sind. Das klingt recht schlicht, aber vielleicht sind viele Wahrheiten auch genau das.
Mein Fazit: Lesenswert.
Besprochen von Günter Wessel
Christoph D. Brumme: Auf einem blauen Elefanten - 8353 Kilometer mit dem Fahrrad von Berlin an die Wolga und zurück
Dittrich Verlag, Berlin 2009
250 Seiten, 19,80 Euro