Mit Darwin an die Macht?
Was haben unsere Politiker seit Veröffentlichung der "Entstehung der Arten" nicht alles mit Darwin angestellt! Für den Manchester-Kapitalismus sollte seine Lehre ebenso herhalten wie für den sicheren Sieg des Sozialismus.
War der eigene Staat erst einmal mit einem Organismus gleichgesetzt, wähnte man sich im Nu bei der Notwendigkeit eines globalen Auslöschungskrieges – zum Wohle der Menschheit! Rassisten und Zuchtideologen schließlich nutzten Darwin zur Rechtfertigung ihrer wahnhaft reinen Totalitarismen. Es war wirklich alles dabei: von Hayek bis Hitler, von Plato bis Nato.
Indes, es gibt – wie Darwin selbst mehrfach hervorhob – keinen gültigen Schluss von den Prinzipien natürlicher Selektion zu den Regeln und Idealen, die menschliche Gesellschaften leiten sollten. Solche Äffchen sind wir nicht.
Wäre da also wirklich nichts, was Darwin im Jubiläumsjahr 2009 für unsere Politiker tun kann? Aber gewiss doch! Die Guten müssen ja nur in den Spiegel schauen, dann erkennen sie sich als unbehaarte Bonobo-Äffchen mit besonderem Geltungsdrang. Gerade aufstrebende Jungtieren lassen sich deshalb hilfreiche Karrieretipps geben: Zunächst fleißig Lausen und Lächeln – also Parteifreunde schaffen. Danach die Nähe zu einem potenten Alphaexemplar suchen; sofern kompatibel, zügig gemeinsame Nachkommen zeugen. Zu dem Zeitpunkt aber, da eine besonders große Belohnung winkt, gezielt und entschlossen draufkeilen. Mit dieser primatenhaften Protomoral fährt es sich politisch am besten. Das ist empirisch erwiesen. Die Frage ist nur: Bedurfte es für diese Erkenntnisse eines Darwin? Oder hatten uns nicht Machiavelli, Shakespeare und Gracián lange zuvor die Kunst der Ränke viel feiner ausgelegt? Hatten sie.
Darwins politisches Erbe auf soziobiologische Gemeinplätze zu reduzieren, bleibt beschämend klein gedacht. Vor aller Macht und Wissenschaft steht für Wesen wie uns nämlich noch etwas anderes: ein grundlegendes Verständnis der Welt, in der wir leben. Darwin hat es tief gewandelt. Und es war gewiss kein Zufall, dass er vor seiner Entdeckung den Globus mehrfach als aufmerksamer Beobachter umsegelt hatte. Denn Darwins neuer Weltsinn ist wie kein anderer geeignet, unsere eigene Situation in einem globalisierten 21. Jahrhundert neu zu erfassen und zu gestalten.
Zunächst wissen wir seit Darwin alles Lebendige dynamisch miteinander verbunden. An die Stelle statischer Übergänge und absoluter Artengrenzen tritt damit eine Welt aufeinander beziehbarer Differenzen. Existieren, das heißt mit Darwin nichts anderes, als in abhängigen Beziehungen zu anderen zu stehen. Durch die Globalisierung schließlich ist die Welt zu einer einzigen Nische geworden.
Heilserzählungen – seien sie christlicher, kommunistischer, nationaler oder marktliberaler Natur – verlieren in Darwins Welt ebenso ihren Halt wie die Idee, irgendeine Population irgendeiner Art sei in irgendeiner Form privilegiert oder auserwählt. Gleiches gilt für die Vorstellung ewiger Wesenskerne. Ein ewiges Wesen des Menschen gibt es mit Darwin genau so wenig wie ein ewiges Wesen der Giraffe. Es gibt deshalb auch nichts, was aus diesem Wesen ewig folgen könnte. Und zuletzt gilt: Die Abweichung von heute ist die Norm der Zukunft.
Programmatisch folgt aus Darwins neuem Weltsinn, wie gesagt, zunächst einmal gar nichts. Anderseits ist schwer zu erkennen, wie eine erfolgreiche Weltpolitik der Zukunft aussehen könnte, die nicht auf diesen Grundsätzen aufbaut. So sei den Mächtigen unseres schönen Planeten am Ende doch noch ein letzter, ganz konkreter Ratschlag gegeben: Achten Sie auf die Staaten, in denen Darwins Lehre bis heute verboten ist! Dort werden die Aggressoren von morgen gezüchtet.
Wolfram Eilenberger, geboren 1972, ist Philosoph und Cicero-Korrespondent sowie Autor zahlreicher philosophischer Bücher, zuletzt "Lob des Tores" (2006) und "Wie Wittgenstein das Rechnen verlernte" (2004). Er lehrt derzeit an der Indiana University, Bloomington. Im Februar erscheint sein neues Buch "Kleine Menschen, große Fragen" im Berlin Verlag.
Indes, es gibt – wie Darwin selbst mehrfach hervorhob – keinen gültigen Schluss von den Prinzipien natürlicher Selektion zu den Regeln und Idealen, die menschliche Gesellschaften leiten sollten. Solche Äffchen sind wir nicht.
Wäre da also wirklich nichts, was Darwin im Jubiläumsjahr 2009 für unsere Politiker tun kann? Aber gewiss doch! Die Guten müssen ja nur in den Spiegel schauen, dann erkennen sie sich als unbehaarte Bonobo-Äffchen mit besonderem Geltungsdrang. Gerade aufstrebende Jungtieren lassen sich deshalb hilfreiche Karrieretipps geben: Zunächst fleißig Lausen und Lächeln – also Parteifreunde schaffen. Danach die Nähe zu einem potenten Alphaexemplar suchen; sofern kompatibel, zügig gemeinsame Nachkommen zeugen. Zu dem Zeitpunkt aber, da eine besonders große Belohnung winkt, gezielt und entschlossen draufkeilen. Mit dieser primatenhaften Protomoral fährt es sich politisch am besten. Das ist empirisch erwiesen. Die Frage ist nur: Bedurfte es für diese Erkenntnisse eines Darwin? Oder hatten uns nicht Machiavelli, Shakespeare und Gracián lange zuvor die Kunst der Ränke viel feiner ausgelegt? Hatten sie.
Darwins politisches Erbe auf soziobiologische Gemeinplätze zu reduzieren, bleibt beschämend klein gedacht. Vor aller Macht und Wissenschaft steht für Wesen wie uns nämlich noch etwas anderes: ein grundlegendes Verständnis der Welt, in der wir leben. Darwin hat es tief gewandelt. Und es war gewiss kein Zufall, dass er vor seiner Entdeckung den Globus mehrfach als aufmerksamer Beobachter umsegelt hatte. Denn Darwins neuer Weltsinn ist wie kein anderer geeignet, unsere eigene Situation in einem globalisierten 21. Jahrhundert neu zu erfassen und zu gestalten.
Zunächst wissen wir seit Darwin alles Lebendige dynamisch miteinander verbunden. An die Stelle statischer Übergänge und absoluter Artengrenzen tritt damit eine Welt aufeinander beziehbarer Differenzen. Existieren, das heißt mit Darwin nichts anderes, als in abhängigen Beziehungen zu anderen zu stehen. Durch die Globalisierung schließlich ist die Welt zu einer einzigen Nische geworden.
Heilserzählungen – seien sie christlicher, kommunistischer, nationaler oder marktliberaler Natur – verlieren in Darwins Welt ebenso ihren Halt wie die Idee, irgendeine Population irgendeiner Art sei in irgendeiner Form privilegiert oder auserwählt. Gleiches gilt für die Vorstellung ewiger Wesenskerne. Ein ewiges Wesen des Menschen gibt es mit Darwin genau so wenig wie ein ewiges Wesen der Giraffe. Es gibt deshalb auch nichts, was aus diesem Wesen ewig folgen könnte. Und zuletzt gilt: Die Abweichung von heute ist die Norm der Zukunft.
Programmatisch folgt aus Darwins neuem Weltsinn, wie gesagt, zunächst einmal gar nichts. Anderseits ist schwer zu erkennen, wie eine erfolgreiche Weltpolitik der Zukunft aussehen könnte, die nicht auf diesen Grundsätzen aufbaut. So sei den Mächtigen unseres schönen Planeten am Ende doch noch ein letzter, ganz konkreter Ratschlag gegeben: Achten Sie auf die Staaten, in denen Darwins Lehre bis heute verboten ist! Dort werden die Aggressoren von morgen gezüchtet.
Wolfram Eilenberger, geboren 1972, ist Philosoph und Cicero-Korrespondent sowie Autor zahlreicher philosophischer Bücher, zuletzt "Lob des Tores" (2006) und "Wie Wittgenstein das Rechnen verlernte" (2004). Er lehrt derzeit an der Indiana University, Bloomington. Im Februar erscheint sein neues Buch "Kleine Menschen, große Fragen" im Berlin Verlag.

Wolfram Eilenberger© privat